Mein Haus, mein Auto, mein Boot – alles weg, in David Pfeifers Medien-Krisen-Roman “Der Strand der Dinge“. Der Lifestyle-Journalist aus Berlin erzählt vom großen New Economy-Crash um die Jahrtausendwende.
“Wenn sich eine Tür schließt, fällt auch woanders eine zu.“ Mit dieser bitteren Feststellung beginnt David Pfeifer die Geschichte um einen namenlosen Ex-Start-Up-Chef, der nach einer Insolvenz alles verliert: Kreditkarte, Wohnung, Celebrity-Freundin, Lebens(in-)halt und Aktiendepot. Er muss raus, aus seiner Wohnung, rein, in die WG von Kumpel Nils. “Im Nachhinein, wenn viele Zufälle sich rückblickend zu Schicksal verdichten, sagt es sich leicht, aber ich wusste bereits in dem Moment, als ich bei Nils einzog, dass ich über diese Zeit meines Lebens einmal viel zu erzählen haben würde.“ – Wo steht der Thirty-Something-Typ jetzt, nachdem alle verstanden haben, dass seine Webzaubereien auch von mittelguten Grafikprogrammen erledigt werden können?
Nun geht es um den “Strand der Dinge“, ein Wortspiel, das Autor David Pfeifer im Interview nach eigener Aussage “gar nicht so gut erklären kann, weil es sich irgendwann mal durch die vielen Gedanken, die ich mir zu dem Thema gemacht habe, nach vorne gekämpft hat und einfach da stand. Es geht mir einerseits um das Gefühl, im eigenen Leben gestrandet zu sein, andererseits auch darum, sich zu sortieren. Seine Dinge zu regeln, wenn man so will. Gleichzeitig ist der Strand ein mythischer Ort, an dem man meditieren kann, weil man das Land und damit den eigenen Lebensraum im Rücken hat und in die theoretische Unendlichkeit eines anderen Elements blickt. Das macht einen angenehm klein, ähnlich wie es hohe Berge tun. Alles nicht wichtig – das fühlt man doch am Strand, oder? Und schon gar nicht irgendwelche Dinge.“
Der Held seines Romans kann also meditieren – aber das gelingt ihm nicht, weil er, im Gegensatz zu Nils, wenig mit frei verfügbarer Zeit anfangen kann. “Ist Arbeit denn nicht Lebensinhalt? Ich arbeite ja nicht, um Geld zu verdienen, sondern um Zeit einen Sinn zu geben.“ Solche großspurigen, nach Hochglanz-Metrosexuellenmagazin klingelnden Yuppie-Sprüchlein hat er sich immer brav aufgesagt und beim Cocktailabend oder in der Saune kommen solche Sätze lässig rüber: “Als ich noch Chef gewesen war, hatte ich mich natürlich für etwas Besseres gehalten. Ich blickte herab auf das Heer der Dreißigjährigen, die im Lebensstil eines Teenagers verhaftet blieben. ich war anders, ich hatte ein richtiges Leben, eine Firma, Angestellte, eine gut eingerichtete Wohnung, eine schöne Freundin, regelmäßiges Einkommen, ich hielt die Welt im Gang.“
Nun hat die Welt ihn angehalten und er muss erkennen – nicht Arbeit macht glücklich, sondern Glück macht glücklich. Dem würden Arbeitsethiker wie Karl Marx (”Das Kapital“) oder Rainald Goetz (”Irre“) widersprechen. Denn Arbeit kann den Menschen zu seiner Bestimmung führen (Marx), sein Leben ordnen (Goetz), was sich irgendwo in der schaurigen Mitte trifft beim nationalsozialistischen Propaganda-Slogan “Arbeit macht frei“, der als zynische KZ-Inschrift “Karriere“ gemacht hat und in “Irre“ beispielsweise zitiert und der arbeitsscheuen, wahnsinnigen Punk-Kultur entgegengesetzt wird. Da sind wir nämlich mitten drin, im Meditieren. Was ist eigentlich Arbeit? Wohin kann Arbeit führen? Das wird doch täglich in den Medien debattiert. “Etwas zu schaffen macht glücklich, aber Arbeit als Konstruktion macht nicht glücklich“, sagt David Pfeifer im Interview. “Da man in einer Firma große Teile seiner Energie darauf verwendet, seine Position zu sichern, die der anderen zu schwächen, nicht schlecht aufzufallen oder auf sich aufmerksam zu machen, um sich für eine Karriere in Position zu bringen, merkt man nach einer Weile gar nicht mehr, dass der Schaffensanteil verschwindet klein geworden ist. Aber irgendwann werden die Leute unglücklich, weil sie sich nicht mehr damit beschäftigen, was sie eigentlich tun wollen, sondern nur noch damit, wie sie dastehen und wie andere Leute im Vergleich zu ihnen dastehen – und dann wird es pathologisch, denn es gibt ja immer ein oder mehrere Personen, die irgendwie besser dazustehen scheinen.“
David Pfeifer: “Anders gesagt: Arbeit ist wichtig, weil ich glaube, dass man sich auch nützlich machen will, auf dieser Welt. Aber das ganze Status- und Wertedenken, das wir damit verbinden, macht Menschen im Grunde nur klein und missgünstig, weil man im Karrieremodus ja andauernd dem Wohlwollen und der Willkür anderer ausgesetzt ist.“ Das Gegenmodell lebt Nils, der alternative WG-Mitbewohner, der nun Unterschlupf gewährt und zeigt, dass man Kunst (z.B. Graffties) auch kostenlos beschaffen kann, dass wir sowieso alle in einer “Matrix“ leben (der Film zu Gefühl der Jahrtausendwende), dass Udo Lindenberg eine verdammt gute Hilfe sein kann, Frauen Dates nicht nur mit Gewinnern verabreden und man durchaus ein bisschen Karmapflege betreiben kann. “Der Strand der Dinge“ erzählt also einmal von einer gerade beendeten Zeit, die vor zirka 10 Jahren stattfand und sie erzählt vom Jetzt, wie man eigentlich leben sollte, während ringsum die sicher geglaubte Welt in Scherben liegt. Und weil David Pfeifer klar bleibt, den Überblick gewinnt gegen das Chaos ist “Der Strand der Dinge“ ein wirklich gutes Buch.
David Pfeifer: „Der Strand der Dinge“, Dumont, 290 Seiten, 19,95 Euro