In seiner empirisch-kulturwissenschaftlichen Studie über Geschichte, Diskurs und Praxis der Markenkleidung fragt Rudi Maier, was Klamotten zu einem „sozialen Ding“ werden lassen.
„Die Markenforschung datiert den Beginn des ,modernen Markenwesens‘ sehr präzise auf das Jahr 1890. Markenartikel haben sich zum einen zu diesem Zeitpunkt am Markt durchgesetzt, zum anderen findet sich nun vielerorts ein neuartiges Werbemedium, vor allem für Markenprodukte: Große Werbetafeln in den Innenstädten markieren den Beginn der ökonomischen Durchdringung des öffentlichen Raums.“
Mit diesen ersten Marken entwickelten sich Inszenierungsstrategien von Hersteller- und Konsumentenseite, die Rudi Maier im ersten Teil seiner nun als Buch präsentierten Dissertation analysiert, bevor er mittels qualitativer, leitfadengestützter fokussierter Interviews belegt, wie viel Wissen bzw. eher Unwissen über Marken im jugendlichen Diskurs herrscht, in welcher Weise Jugendliche Markenkleidung verwenden, um sich in einer Gruppe zu positionieren und vor allem: welch absurd schlechten Geschmack einigen seiner befragten Damen und Herren attestiert werden kann.
Der erste Teil seiner Studie ist unterhaltsam, da abwechslungsreich und mit ausreichend Nischenwissen versorgt. Mal schreibt Rudi Maier über die „Freiheits-, Individualitäts-. Kreativität- und Autonomieversprechen“ verschiedener Werbeslogans (Here I am, Be yourself, Be different, Just do it) – mit dem Advertising Slogan Generator könnte man die halbe Kreativwirtschaft bemustern und mit ausreichend vergebenen Fußnoten wäre es leicht gewesen, auch die beiden anderen Slogans einer Marke zuzuordnen. Dann geht es um die Ursprünge von Lacoste oder um die Levi‘s-Kopien aus der DDR (der Marke „Wisent“), gegen die das amerikanische Unternehmen erfolgreich Ende der 70er Jahre vorgegangen ist.
Zu den „jugendkulturellen Praktiken“, die Rudi Maier expliziert gehören im zweiten Teil dann das bewusste Tragen von Fake-Klamotten, die Abgrenzung durch No-Name-Marken und Bio-Label (wie „Hess Natur“), die immer wieder neue Rechtfertigung, weshalb man durchaus H&M tragen kann (weil es „ganz einfache“ Klamotten sind), Sprachspiele (das H&M-Hauslabel L.O.G.G. wird gern übersetzt mit „Leider ohne Geld geboren“), rührende Moralentscheidungen (wenn ein Mädchen deshalb Puma-Schuhe kauft, weil es glaubt, diese seien im Gegensatz zu Nike-Sneakern ganz bestimmt nur in Deutschland hergestellt). Themen wie Mobbing, Funktionalität von Marken im Leistungssport, und Schuluniformen (ein Thema, das schulübergreifend in den Curricula der Bundesländer aufgenommen wurde) runden diesen Teil ab.
Ins Absurde ragt diese Studie später, wenn sie nonchalant die Klamotten des 18-jährigen Moritz beschreibt, darunter „zwei schwarze T-Shirts, die mit dem Motiv der Abschiedstournee der Band Böhse Onkelz bedruckt sind“, ebenso Poloshirts der Unternehmen Ralph Lauren, Umbro, Lonsdale, Ben Sherman und Fred Perry und grüne Doc Martens, ebenso „zwei Paar Hosen von Springfield sowie Kleidung des Katalogversandhändlers Heine, bei dem auch seine Mutter immer wieder bestellt.“ Ob Moritz die Heine-Klamotten auch dann in seinen Schrank hängen würde, wenn er wüsste, dass es einen deutschen Dichter gleichen Namens gegeben hat, der ausgerechnet Jude war?
Rudi Maiers Studie ist zwar nicht über alle Maßen erhellend, birgt aber immer wieder stilistische Abgründe, man fühlt sich sowohl an Benjamin von Stuckrad-Barres „Fruit of the Loom“-Trauma aus Tristesse Royale erinnert, ebenso an Unterschichtsfernsehsendungen abseitiger Kanäle wie RTL2 oder VOX. Es überrascht, dass sich in der Verwendung von Marken nahezu keine genderspezifischen Unterschiede feststellen lassen (was bezweifelt werden kann). Manchmal hätten tiefere Kenntnisse über Mode an sich weitergeholfen. – So gibt Rudi Maier freimütig zu, dass er in den Interviews erstmalig von so abwegigen Marken wie Kookai, Sumo und Van Dutch gehört hat (oder meint er „Von Dutch“?). Aber der Barcode auf dem Buchrücken, der ist wirklich chic und als kulturwissenschaftliche Lektüre „zwischendurch“ ist diese Dissertation durchaus unterhaltsam gelungen.
Rudi Maier: „Markenkleidung – Geschichte, Diskurs, Praxis“, Ventil, 242 Seiten, 17,90 Euro
Darüber hinaus lohnt sich ein Blick auf das Online-Portal jugendszenen.com des Dortmunder Instituts für Soziologie
Hier geht es zum 1LIVE Plan B-Audiobeitrag mit Max von Malotki (Sendedatum: 25.07.2013)
[…] Bücher des Jahres 2013, an die ich mich gern erinnere (Teil 4): Rudi Maier: „Markenkleidung“, David Schalko: „Knoi“, Fabio Geda: „Der Sommer am Ende des Jahrhunderts“, Peter Stamm. […]