Alle haben Mitleid mit der „Jugend von heute“. – Zu Recht? In ihren Büchern spricht eine »Lost Generation« über »Herzmist«, Uni-Stress und warum am Ende der richtige Körpergeruch wichtiger ist als eine schnelle DSL-Leitung.
„Sie waren zwar meistens schon 20, 25 oder 30 Jahre alt, aber geistig noch erkennbar Jugendliche. Sie würden es wohl auch immer bleiben, denn ein Erwachsenenleben wurde ihnen von der Welt nicht angeboten. Also zum Beispiel eine Karriere, ein echtes Berufs- oder ein echtes Eheleben“, schreibt Joachim Lottmann, 52 Jahre alt, in seinem gerade erschienenen Krisenroman „Der Geldkomplex“ über eine Gruppe Jugendlicher aus Berlin Mitte. Neuerdings hat die Generation 50Plus Mitleid mit dem Nachwuchs von heute: Überbevölkerung, Arbeitsplatzmangel, Klimakatastrophe, Finanzcrash und allgemeiner Globalisierungsstress verdunkeln die Zukunft. Verwunderlich, dass 59 Prozent der 20- bis 35-Jährigen noch nie demonstriert haben. Diese Zahl vermeldet jedenfalls das Magazin NEON („66 neue Tipps für ein besseres Leben“). In seiner Novemberausgabe beschäftigt sich der junge „Stern“-Ableger unter anderem mit digitaler Eifersucht und Mindestlohn für Praktikanten.
Schöne neue Welt – schöne neue Fragen. Die Elterngeneration musste sich zwischen 20 und 35 weder mit Internet und digitaler Eifersucht noch mit unbezahlten Praktika auseinandersetzen. Wohnungen waren Mangelware. Jobs nicht. NEON-Autorin Elena Senft zitiert am Anfang ihres launigen Erwachsenwerden-Buchs „Und plötzlich ist später jetzt“ eine Mutter mit den Worten: „Also, jung sein, da hätt‘ ich jetzt auch keine Lust mehr zu … mit Emails und so.“ – Nur die angesprochene Jugend, die hat, schaut man auf den Buchmarkt, „mit Emails und so“ kaum Probleme.
Die beiden NEON-Chefredakteure Michael Ebert und Timm Klotzek verkaufen über 250.00 Exemplare ihres beruhigend verpeilten Buchs „Planen oder treiben lassen – Wie man merkt, ob man sich zu viel oder zu wenig Gedanken um sein Leben macht“. Nachdem sie über Weltreisen und ein bisschen Altersvorsorge sinniert und im schönen IKEA-Duz-Ton auch zur Familientherapie geladen haben, kommen Ebert und Klotzek zum gleichen Urteil wie die 4568 studi-VZ-Nutzer der Gruppe: „Wir haben und entschieden und sagen: VIELLEICHT!“ Die „Big Problems“, die bei Internationale Konferenzen in Kyoto (Weltklimakonferenz) oder Washington (Weltfinanzgipfel) verhandelt werden, spricht dieses Buch nur am Rande. Erst geht es darum, die eigenen „Dinge geregelt zu kriegen.“
„Planen oder treiben lassen“ ist eine unterhaltsame, gut recherchierte Wanderkarte für etliche Problemzonen der Digitalen Bohème, der Generationen „Doof“, „Umhängetasche“ und „Praktikum“. Die Autoren beruhigen, dass soziale Netzwerke im Internet ok sind, weil man durch sie in der „ganz persönlichen Globalisierung den Überblick“ behalten kann. Man erfährt, wie Geld und Glück zusammenhängen und weshalb Paartherapien nützlich sind: „Eine repräsentative NEON-Studie ergab 2008, dass knapp die Hälfte aller Befragten schon mal ihren Partner mit einem oder einer anderen betrogen hat. Statistisch nicht erfasst sind die zahllosen Fremd-Knutschereien und Fremd-Fummeleien, die jeden Freitagabend angetrunken irgendwo und irgendwie passieren.“
Solche Sätze besitzen die gleiche Anziehungskraft wie das Bekenntnis vom 36-jährigen NEON-Chefredakteur Timm Klotzek, der im Interview sagt: „Manchmal bin ich zu verplant, zum Beispiel das ganze Berufsfeld betreffend. Bei Steuer-, Versicherungs-, Freundschaftsdingen lasse ich hingegen die Sachen oft zu sehr laufen…“ Wer das als 20- bis 35-Jähriger liest, erkennt eigene Schwächen, bleibt aber gelassen, weil Timm Klotzek als dennoch erfolgreicher Journalist durchs Leben gehen kann. Überaus authentisch kommt die Antwort übrigens durch die drei abschließenden Punkte daher. Auch zu diesem Phänomen gibt es mehrere Gruppen bei studi-VZ: „…-Liebhaber – Nichts drückt Gedanken so schön aus wie 3 Punkte“ (6027 Mitglieder). Punkte sagen mehr als Worte. Standpunkte sehen allerdings anders aus. Warum liest von diesen Standpunkten so wenig, warum löst sich in der NEON-Welt vieles nach drei Punkten auf?
Nachdem die angeblichen Probleme der „Generation Praktikum“ als Phantasmen einer hysterischen Medienkampagne entlarvt wurden, hat sich die Lage auf dem Buchmarkt entspannt. Es bringt wenig, sich über eine Bildungskrise aufzuregen, wenn man entweder längst mit dem Studium fertig ist oder gerade mittendrin steckt, also irgendwie „klarkommen“ muss. Bevor das Problem mit der Überbevölkerung gelöst ist kommt das Dispogespräch mit dem Sparkassenberater und dass sich politische Probleme selten durch Demos lösen lassen, weiß man in Westdeutschland seit der (gescheiterten) Friedensbewegung. Heute werden ein paar Hörsäle besetzt und die „Piratenpartei“ trommelt für mehr Freiheit im Netz. In den Generationenbüchern herrscht dagegen gepflegte Langeweile – oder einfach nur: Gelassenheit.
„Bildungsmisere, Terrorismus, Börsencrash, Überalterung der Gesellschaft, Klimawandel – all das kennen sie nur aus den Medien. Einfluss auf ihr Leben hat das kaum, Die Abiturienten bekommen weiterhin ihr Taschengeld, wohnen gemeinsam mit ihren Eltern in einer Altbauwohnung in der Stadt oder in einem eigenen Haus, fahren in den Urlaub, gehen shoppen, feiern und zum Sport“, schreibt NEON-Redakteurin Lara Fritzsche in ihrer Studie „Das Leben ist kein Ponyhof“. – Ein Jahr lang hat die 25-Jährige Abiturklassen in Köln begleitet. Jetzt berichtet sie von Discobesuchen, Lerngruppen, Prüfungsstress, Alkoholabstürzen – aus dem gleichen „Crazy-“, „jetzt“-Magazin-Kosmos, der schon vor zehn Jahren das „Lebensgefühl“ einer Generation zu beschreiben wusste. Selbstverständlich gibt es Unsicherheiten. Aber gab es die nicht immer in Umbruchsphasen eines Lebens?
Seit Lara Fritzsches eigener Abizeit hat sich nur das Kommunikationsverhalten verändert. „Die Vernetzung, die Menge der Freunde, der Druck online zu sein, dort seine digitale Visitenkarte zu hinterlassen, sich darzustellen. Das gab’s früher nicht“, sagt Lara Fritzsche. „Und es verändert die Jugendlichen, diese Art der Kommunikation ist schnell. Das verführt zur Oberflächlichkeit von Wissen, von Informationen, von Freundschaften, aber auch zur oberflächlichen Darstellung der eigenen Persönlichkeit. Profile die zu ausufernd sind, zu komplex und widersprüchlich, die funktionieren nicht. Das kann dazu führen, dass man auch im echten Leben versucht sich unkompliziert zu geben – weil man online so gute Erfahrungen damit gemacht hat.“ – Hier könnte der Schlüssel für den Erfolg dieser Bücher liegen. Das Internet provoziert widersprüchliche Selbstdarstellungen. – Wie beruhigend sind dann NEON und Bücher aus den Häusern KiWi, Heyne oder Schwarzkopf & Schwarzkopf, die immer wieder signalisieren: Alles ist ok!
Wenn bei Juleska Vonhagens SPIEGEL-Bestseller „Herzmist“ fünf Frauen zwischen 22 und 23 Jahren darüber diskutieren, was sie schon alles „weggedatet“ haben, was den besten Sex ausgemacht hat oder warum das Singleleben toll sein kann („Glühende Lippen. Verkatert. Keine Rechenschaft“), dann beruhigen diese Sätze ebenso wie Andreas‘ Bekenntnis in „Sex, Liebe oder was? – Jungen und Mädchen erzählen von ihrem ersten Mal“, der gesteht: „Mir war‘s ein bisschen peinlich, dass sie mir das mit dem Kondom erklären musste, aber nur ein ganz kleines bisschen.“
Hier liegt der zweite Grund für den Erfolg. Die Älteren können nämlich einfach durchs Schlüsselloch blicken: „Ich denke, die Zielgruppe für „Das Leben ist kein Ponyhof“ sind alle, die noch „analog“ aufgewachsen sind und die etwas über die Lebensrealität der „digital natives“ erfahren wollen“, sagt Petra Düker von der KiWi-Presseabteilung. Auch Schwarzkopf & Schwarzkopf wissen, dass ihre Bücher über jugendliches Sexualverhalten nicht nur von 17-Jährigen in den Warenkorb gelegt werden. Das Geschäft mit der NEON-Generation wunderbar und ist Dank Zeitschriften- und Buchmarkt für jeden offen. Nie war es so einfach, Teil einer Jugendbewegung – jedenfalls auf dem Papier. Mit diesem Lebensgefühl lässt sich Geld machen. Ist deshalb alles nur Panikmache?„Joachim Lottman gebe ich im Prinzip recht“, sagt Elena Senft im Interview. „Die ewige Forderung, beruflich flexibel und anpassungsfähig zu bleiben und in immer unsicherer werdenden Arbeitsverhältnissen zu stehen, behindert das Erwachsenwerden.“ Es bleibt also spannend – irgendwie. Der Nachfolger für NEON ist bereits erfolgreich gestartet. Er heisst „Nido“ (italienisch für „Nest“) und wirbt mit dem Slogan: „Wir sind eine Familie“. Mit diesem „Wir“ sind wir alle gemeint…
Lara Fritzsche: „Das Leben ist kein Ponyhof“, KiWi, 220 Seiten, 17,95 Euro / M. Ebert, T. Klotzek: „Planen oder treiben lassen?“ Heyne, 274 Seiten, 17,95 Euro / Elena Senft: „Und plötzlich ist später jetzt“, Knaur, 220 Seiten, 9,95 Euro / Friesl, I. Kromer, R. Polak: „Lieben Leisten Hoffen“, Czernin, 330 Seiten, 20 Euro / Armin Himmelrath: „Handbuch für Unihasser“, KiWi, 224 Seiten, 7,95 Euro / Jutta Vey: „Sex Liebe oder was?“, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 280 Seiten, 9,90 Euro / Juleska Vonhagen: „Herzmist“, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 302 Seiten, 9,90 Euro / Joachim Lottmann: „Der Geldkomplex“, KiWi, 350 S., 9,95 Euro / Hauke Brost: „Wie Teenies ticken“, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 290 Seiten, 9,90 Euro