Das hat wehgetan: Simon Borowiaks fantastische Sommerbeichte „Wer Wem Wen“ strapaziert Zwerchfell, Tränensäcke und Magengruben. Sechs erwachsene, geisteskränkelnde Beziehungsopfer erleben in den Bergen eine nervenaufreibende, nervöse, streitlustige Ferienwoche.
„Am Morgen wünsch ich mir den Tod. – So geht das bis zum Abendbrot“, dichtet der depressive Held. Er, der einige Zeit in der Psychiatrie verbracht hat, ist mal wieder von Irren umringt. Sein bester Kumpel Cromwell (39), frisch verknallt in Alexandra (25), hat ihn zum Skifahren eingeladen, in die Hütte von Alexandras Cousine Susi (28) und ihrem Gatten Wido (37), zur Mitte des Buchs taucht auch noch Heike („irgendeine Zahl zwischen zehn und hundert“) auf, die sich gerade von Cromwells Freund Gregor getrennt hat. Das ist absichtlich etwas wirr, man braucht eine Weile, um zu durchschauen, „Wer“ mit „Wem“ „Wen“ betrogen, verletzt, ausgespielt hat. Denn darum geht es, um Eifersucht und Gelüste, um Sprachunfähigkeit, verpasste Sätze, vergiftete Tage. Ist das banal? Nie. Verstörend? Ja. In diesem Buch haben alle ein Geheimnis und ausgerechnet der anfangs arg beziehungsgestört wirkende Ich-Erzähler orientiert sich zum Schluss dieses rasanten, unterhaltsamen Buchs am passabelsten.
Der Ich-Erzähler akklimatisiert sich vermutlich deshalb so gut in dieser abgeschiedenen Einöde, weil er das „Eingeschlossen-Sein“ gut kennt als einstiger Psychiatrieinsasse. Es gibt Schlimmeres. Bei Susi und Wido kracht es, obwohl die beiden im Alltag als Paartherapeuten arbeiten. Sie ist eifersüchtig auf Heike, die von Wido vor längerer Zeit erfolglos umworben wurde und deshalb bändelt Susi, was wiederum Alexandra nicht gefällt, mit Cromwell an. Wido stürzt sich dumpf in seine Arbeit, hockt allein, verlassen am Kaminfeuer, während die anderen zur Dorfdisco fliehen, wo die „Musik wie eine Tracht Prügel“ zum unheilvollen Finale trommelt und Alexandra sich zu ihrem eigenen Unheil an einen Jugendlichen ranschmeißt. Während in Thomas Manns „Zauberberg“ die Gestörten und Kranken edel, feinsinnig in den befreienden Bergen an ihren Gebrechen leiden, nölen und verzweifeln Simon Borowiaks Protagonisten in trashig-komischer GZSZ-Pedanterie. Sie erkennen die epische Tragweite ihrer Verwicklungen in keinem Augenblick. Simon Borowiak skizziert dieses Dilemma bravourös, indem er schlicht, satirisch, parodierend über die eigentlich erhebenden Bergkatastrophen berichtet.
Der verehrungswürdige Autorenkollege Frank Schulz („Das Ouzo-Orakel“) nennt „Wer Wem Wen“ ein „starkes Stück Prosa“ und gratuliert zum besten „Borowiak-Stil“. Sieben Jahre war Simon als Redakteur (Jahrgang 1964) beim Satireblatt „Titanic“ angestellt, damals unter dem inzwischen abgelegten Namen Simone Borowiak. Nach konsequentem Geschlechterwechsel kehrt nun Simon zum zweiten Mal mit einem glänzenden Text zurück – 2006 erschien bereits das fastmedizinische, von der Kritik gut aufgenommene Alkoholikersachbuch „Alk“. Wenn Simon seine Schlagzahl beibehält, müsste demnächst neuer Stoff angesagt sein. Und wenn er die Kondition mitbringt, dürften auch die weiteren Veröffentlichungen von irrer, seitenleuchtender Qualität sein. „Warum werden die Leute ständig aus dem Paradies vertrieben. Aber nie aus der Hölle?“, heißt es in „Wer Wem Wen“. Vielleicht, damit sie anschließend großartige Romane veröffentlichen können.
Simon Borowiak: „Wer Wem Wen – Eine Sommerbeichte“, Eichborn, 184 Seiten, 14,95 Euro