Hanna Lemke erzählt in ihrem sehr schönen Geschichtenband “Gesichertes“ vom großen Rückzug und feigen Jungs. Klar ist am Ende nur eines: Sie ist eine verdammt gute Debütantin.
Im jedem ersten Satz triggert Hanna Lemke einen ganz geschickt an. “Boris hatte etwas Prolliges an sich.“ – “Matthes hatte ein Talent, so plötzlich aufzutauchen und wieder zu verschwinden, als könne er bestimmen, ob er gesehen werden wollte oder nicht.“ – “Die Tür zu Toms Zimmer stand immer offen, selbst wenn er schlief.“ – “Judiths Blick auf mich war, als würde sie sich Witze über mich ausdenken.“ Danach will man weiterlesen und sich für ein paar Seiten (Hannas Geschichten sind sehr kurz), von unruhigen Studentinnen, Aushilfskellnerinnen, verunsicherten Töchtern und lesbischen Kommilitoninnen durchs ungesicherte Leben führen lassen.
Stilsicher, ohne einen vollzutexten , also mit ganz wenigen Strichen, erzählt “Gesichertes“ von alltäglichen Wendepunkten. Jedes Mal entscheidet sich irgendeine Figur um, und die Erzählerin steht dann einsam da mit ihren Hoffnungen, Wünschen, Lebensplänen. Mal lässt sie sich am Ende der Beziehung wortwörtlich auszahlen, weil sie sich in ihren Chef verknallt hat und ihr zum Schluss sowohl Lohn als auch Abfindung zustehen. Dann erfährt sie viel zu spät, dass die Frau, mit der sie sich trifft, eine Ex ihrer Mutter ist: “Ich habe mir gedacht, dass sie dir davon erzählt“, sagte sie, “warst du sehr überrascht?“ Dann zieht der neue Mitbewohner direkt nach der Einweihungsparty aus. Das sind alles kleine Schocks, aber Hanna zeigt, warum es nicht immer die großen Katastrophen sein müssen, die einen umhauen.
Wo lernt man sowas? Am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig natürlich, wie so viele gute SchriftstellerInnen (von Moritz Rinke bis Juli Zeh) dieser Tage. “Institutsleiter waren zu meiner Zeit Josef Haslinger (”Opernball“) und Hans-Ulrich Treichel (”Tristanakkord“). Dann gab es mehrere Gastdozenten“, schreibt sie im Emailinterview. “Durch das Studium habe ich einen genaueren Blick auf Texte bekommen, wie sie gemacht sind, wie ich sie machen will. Aber das ist eine Sache, die man sich im Grunde selbst beibringen muss.“ Das ist ihr übrigens gelungen. Es gibt ganz wenige Autorinnen in Deutschland – Glanzlichter wie Nina Jäckle und Jenny Erpenbeck mal ausgenommen – die in knapper Form Höchstleistungen zustande bringen. “Gesichertes“ tritt ohne große Worte auf die Bühne und hat doch den vollen Applaus verdient.
Aber wie sichert Hanna ihr eigenes Leben gegen Unverbindlichkeiten ab? “Arbeitsvertrag, Buchvertrag, Ehevertrag, so habe ich das geregelt“, antwortet sie und ergänzt schnell, dass es den Ehevertrag selbstverständlich noch nicht gibt. “Aber meine Figuren verharren oft in so einer Unverbindlichkeit, und ich glaube, sie tun das alle ganz gerne. Zum Beispiel könnte Georg (einer der Helden) sich ja mal für eine Arbeit, einen Wohnort entscheiden – will er aber nicht.“ Hanna hat sich währenddessen entschieden und über den Umweg Wuppertal (Heimat) – Siegen (abgebrochenes Studium) – Leipzig (abgeschlossen) ausgerechnet Berlin als Lebensumfeld gefunden. Literarisch ist die Hauptstadt überbevölkert, und doch verspricht “Gesichertes“, dass Hanna noch etwas Neues rausziehen wird. Verdammt gutes Buch.
Hanna Lemke: „Gesichertes“, Kunstmann, 192 Seiten, 17,90 Euro