Droemer-Knaur hat das Gerichtsverfahren gegen Voland & Quist tatsächlich für sich entscheiden können. Die restlichen Exemplare von Julius Fischers „Die schönsten Wanderwege der Wanderhure“ müssen bis zum Herbst abverkauft und der Titel darf ab dann nicht mehr verbreitet werden. Aus der Stellungnahme von Voland & Quist: „Das Gericht befindet schließlich, »die Freiheit der Kunst [habe] hinter das durch das Eigentumsgrundrecht und einfachgesetzlich durch §§5,15 MarkenG geschützte Recht der Antragstellerin an ihren Werktiteln [zurückzutreten]«. Das heißt: Das Eigentumsrecht von Droemer Knaur ist höher zu bewerten als das Recht auf Kunstfreiheit, in unserem Fall: Satire. Der weitgehende Titelschutz für die »Wanderhuren«-Romane von Droemer Knaur entsteht also nach Auffassung des Gerichts durch die enorme Bekanntheit der Bestseller-Reihe. Und damit sind wir wieder bei »Satire darf alles – außer kommerziellen Erfolg parodieren«. Übrigens: der Begriff »Wanderhure« ist keine Erfindung von Iny Lorentz, wie dieser Titel des italienischen Autors Pietro Aretino beweist.“ Autor Julius Fischer hat das Gerichtsverfahren in einem Essay für Die Zeit kommentiert. Und ich schließe verwundert meine Erinnerungen an das Wanderhurenehepaar mit Teil 3 der denkwürdigen Iny Lorentz-Begegnung aus dem Jahr 2009 (hier geht es zu Teil 1 und Teil 2). Gerade noch wurde erklärt, wie sich das Ehepaar kennengelernt und Elmar seiner Iny Liebesbriefe aus Kassetten zugeschickt hat.
Und wo sind die Kassetten jetzt? „Weggeworfen“, sagt Iny, ganz pragmatisch, „wir haben vor Kurzem auch alles Manuskripte entsorgt – was sollen wir damit?“ Ihre Texte tauschen die beiden jetzt auf Speicherkarten. Iny lektoriert in mehreren Durchgängen die Rohentwürfe ihres Mannes, schreibt um, stellt Fragen. Kommt es dabei nie zum Streit? „Naja, in manchen Stunden sollte Elmar nicht in mein Zimmer kommen.“ Iny lacht. Elmar schweigt. „Einmal, als wir im Autobahnstau wild eine Geschichte diskutierten, fingen die Leute hinter uns an zu hupen und erst da sahen wir, dass unser Auto brannte – ein Keilriemen war gerissen, ist uns überhaupt nicht aufgefallen.“
Die „Wanderhuren“-Bücher entstehen also zum Teil auf der Autobahn, meistens jedoch in Poing, einem kleinen Nest nahe München, das als Rückzugsort dient nach den ausgiebigen Recherchereisen, die beide in ihrem fünfeinhalb Meter langen Wohnwagen hinter sich bringen. Sie könnten sich mehr Luxus leisten, aber Iny winkt ab: „Keiner von uns muss in goldenen Betten schlafen.“
Im zarten Alter von zwölf Jahren, Anfang der Sechziger, fing Iny an, Hundeabenteuer zu schreiben. Es folgten Veröffentlichungen in Anthologien, während sie hauptberuflich in einer Versicherung als EDV-Spezialistin zuerst mit Lochkarten, später mit elektronischenDatenspeichern hantierte. Ihr Mann ist ein Druckspezialist. „Das heißt, wir kennen den kompletten Produktionsablauf unserer Texte“, sagt Iny. Seit Mitte der Achtziger arbeiten sie zusammen, dichten und erfinden im Tandem. „Mal stand der eine, mal der andere Name darüber“, erinnert sich Elmar. „Wenn wir uns heute die Sachen aus den Achtzigern ansehen, können wir teilweise nicht mehr auseinanderhalten, wer was geschrieben hat.“
Ihr Erfolgsrezept: „Neunzig Prozent Unterhaltung und zehn Prozent eingestreutes Wissen.“ Jetzt lacht Elmar. „Man braucht sich gar nicht so viel auszudenken, die kuriosesten Dinge stehen direkt in den alten Chroniken oder in Sachbüchern, man muss sich nur inspirieren lassen. „ Wenn Elmar schreibt, kann es passieren, dass seine Fantasie direkt in die Realität übergeht: „Einmal habe ich eine Schneesturm-Szene geschrieben, und als dann ich später die Haustür öffnete und nach draußen sah, war ich sehr verwundert, dass kein Schnee lag, sondern die Sonne schien. Es war Hochsommer.“
Die entrückende Kraft begeistert ihre Leser nicht nur, wenn die beiden als „Iny Lorentz“ schreiben, sondern auch, wenn über den Geschichten Eric Maron („Die Fürstin“), Mara Volkers („Die Tochter der Apothekerin“), Diana Wohlrath („Der Feuerthron“) oder Nicola Marni („Die Tallinn-Verschwörung“) steht. Und manchmal lockt es die beiden fort aus dem Mittelalter hin zum romantischen Alpenglühen, unter dem Pseudonym Anni Lechner („Hotel Edelweiß“, „Die Berghebamme“).
„Wir haben nie verraten, dass wir auch andere Bücher schreiben“, schwört Iny Lorentz, „aber irgendwer hat es ausgeplaudert, im Internet verbreitet und jetzt kann es jeder nachlesen.“ Offiziell sind Iny Klocke und Elmar Wohlrath jedoch nur „Iny Lorentz“. – „Es gab beim ersten Band einen Coverentwurf mit unseren beiden Namen“, erinnert sich Elmar, „aber das sah so komisch aus.“ Als Gentleman ließt der Gatte seiner Liebsten den Vortritt. Die hebt bereits zur nächsten Anekdote an, dann hält sie inne: „Ich weiß, ich rede immer so viel, aber wenn wir allein sind, dann kann Elmar auch kräftig reden.“ Die beiden sehen sich an. Immer noch verliebt.
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