Katja Oskamp, hat mit „Hellersdorfer Perle“ einen faszinierenden Feminismus-Sex-Abhängigkeits-Erotikroman geschrieben. Zur Frühjahrsbuchmesse 2010 traf ich die Autorin in „Bürheims Literatursalon“ in der Leipziger Mozartstraße. Sie hatte einen Füllfederhalter mitgenommen, zum Signieren. Denn: Die meisten Schriftsteller fragen noch am Lesetisch nach einem Kugelschreiber. Ihre Unterschrift drückt sich tief in die folgenden Seiten, weil oft nur billige Werbestifte zur Hand sind.
Die Autorin und ich saßen im Wohnzimmer des Herrn Bürheim, der einen kleinen Verlag und ein Antiquariat sein Eigen nennt; eine edle Wohnung, hohe Decken, vom Stil her eher Frankfurt als Leipzig, die Billyregale (weiß) gleich dreimal mit Ausätzen übereinander bestückt, was ganz hübsch aussieht. Ich erinnerte mich an Christine Westermanns Empfehlung, die mir 2009 bei der lit.COLOGNE gegeben hatte. Ich solle einfach zwei hohe Billys übereinander an die Wand dübeln („das zweite auf dem Kopf, damit die Leiste nicht stört“). So muss man sich die Welt von Rezensenten vorstellen: die Bücher geschenkt, das Regal beinahe.
Mit „Hellersdorfer Perle“ hat Katja Oskamp (40) „9 1/2 Wochen“ aktualisiert Eine Frau verlässt ihr langweiliges Familienleben und verfängt sich im bizarr-devoten Liebesspiel mit einem dubiosen, älteren Unbekannten, der den Sex aus der Mami lockt. Katja Oskamp sagte dann zu meiner Überraschung: „Das Thema ist die Liebe.“ Obwohl Unterwerfung noch passender gewesen wäre. „Da behaupten ja viele voneinander, sich gegenseitig zu lieben.“ Aber es ist dieses Rätselhafte, das die zirka 35-jährige Ich-Erzählerin anlockt. Es sind die Widersprüche zwischen Tagwelt (Familie) und Nachtwelt (Lack, Leder, Korsett und Vierfüßlerstand). Ein altes Motib
Warum geht die mit Mitte 30 noch relativ junge Ich-Erzählerin auf dieses devote Liebesspiel mit einem älteren Herrn ein? Weil sie sich wahrscheinlich langweilt in ihrem Angekommen-Sein, ihrem erreichten Status mit Freund, Kind, Wohnung und Beruf. Und man fürs Leben ausstaffiert. Dann kommen die Fragezeichen und das anfänglich erotische Spiel zwischen Mann und Frau geht zu Gunsten von Nestbau, Rente einzahlen, Versicherungen abschließen und Kinder großziehen verloren.
Die Frau im Roman lässt sich wegen dieser Starre auf ein Liebesspiel ein, „dass man eigentlich schon überwunden hatte“, heißt es im Buch, überwunden durch die Frauenbewegung, sie lässt sich in einer üblen Spelunke, der „Hellersdorfer Perle“ von einem Fremden unter den Rock greifen. Sie lässt sich verführen und damit auch ablenken vom Gatten Michael, der unter Karrieredruck steht, der seine Mann-Rolle als Beschützer des Nestes immer weniger ausfüllen kann. „Das sind dann diese ausgeleierten Ehen, die dann zurückbleiben, wenn alle Kinder aus dem Haus sind.“
Ist ihr Gatte, dessen Karriere den Bach hinabrauscht, einer der neuen Krisenmänner? Ja. Er ist ein Vertreter der sogenannten „Neuen Väter“, die immer auf allen Vieren durch den Sand krabbeln. Es ist ein Fortschritt der Frauenbewegung, dass sich nun beide Parteien und Gleichberechtigung bemühen. Aber wie jeder Fortschritt hat das alles einen Preis.
Welchen Fehler machen denn die modernen Männer? Das kann man natürlich nicht immer den Männern anlasten, da gehören die Frauen dazu. Das sind doch eigentlich lauter erwachsene Leute, sollte man meinen. Es gibt Fortbildungen für Yoga, Computerprogramme und Fremdsprachen, Angebote für Bildungsreisen und den Wunsch, mit der Moderne mitzuhalten. Nur der Forschungsdrang in Sachen Liebe schläft irgendwann ein. Die meisten Paare sehen tatsächlich nicht so aus, als ob es zwischen ihnen noch knistert.
2015 sei dazu angemerkt: Selbstverständlich ist das Frauenbild in „Hellersdorfer Perle“ feministisch geprägt und durchaus auf eine Weise angelegt, dass auch eine Karen Duve damit zurechtkommen würde. Es ist vielleicht auch das Gegenstück zu dem genderkritischen, gerade erschienenen Roman „Das kurze Leben des Ray Müller“ von Ralf Bönt, eines Intellektuellen, der sich mit den weiblichen Anforderungen an die neuen Männer, Väter, Jungs intensiv auseinandersetzt. Die Geschlechterfront ist offen und man muss fragen, ob ein Song wie „Manchmal haben Frauen“ von Die Ärzte aus dem Jahr 2000, heute denkbar, erwünscht, erfolgreich, geächtet werden würde. Man weiß es nicht. Die Lage ist unübersichtlicher denn je.
Katja Oskamp: „Hellersdorfer Perle“, Eichborn, 220 Seiten, 18,95 Euro