Heute ist das Deutschlandfunk-Programmheft für den Dezember erschienen – und ich durfte mich den HörerInnen vorstellen, mit einer persönlichen Geschichte über meine langjährige, große Liebe zum Radio. Schöne Sache. Hier gibt es die komplette Fassung (die etwas umfangreicher ist als die im Heft abgedruckte).
Über das Radio zu schreiben bedeutet, zwei sich entgegengesetzt stehende Medien zu verbinden. Über das Radio zu schreiben bedeutet, einen Text über das Hören zu verfassen. Während aber ein Text den sich kreisenden Diskurs der gesprochenen Sprache in ordnende Linien übersetzt, löst die Literaturkritik im Radio diese Ordnung wieder auf. Das begeistert mich seit vielen Jahren und doch hat die Liebe zum Radio natürlich viel früher angefangen, zu einer kindlichen Zeit, als ich nicht einmal das Wort Diskurs kannte und von Ordnung keine Ahnung hatte (die ständige Ermahnung, das Kinderzimmer wenigstens ansatzweise aufzuräumen).
Meine Eltern besaßen einen VW Passat, in dem es immer ein wenig nach Benzin gerochen hat und nach den Zigaretten, die mein Vater auf dem Rastplatz geraucht hat, bevor wir wieder eingestiegen sind, um weiterzufahren Richtung Norddeich Mole, bei eingeschaltetem Radio. Im Radio liefen, das Radio lieferte die Verkehrsnachrichten – und jedes Mal, wenn der Sender langsam schwächer wurde und schon kurz darauf der Antennenempfang abbrach, die Stimmen der Moderatoren endgültig im Rauschen untergingen, wurde mit dem Drehrad nach einer nördlicheren Verkehrsnachrichtenalternative gesucht. Mit jedem Umschalten war eine weitere Urlaubsetappe geschafft. Das Radio als Wegmarke.
Doch schon im Alter von 13 Jahren bekam ich mein eigenes Kleinstgerät, mit dem ich mich am späteren Abend unter der Bettdecke verkrochen habe, um das „Zeitzeichen“ im Westdeutschen Rundfunk zu hören; Bildung, die mich im Gegensatz zum Schulstoff wie warme Wellen umspielten und dass Radio auch etwas mit Wellen zu tun hat verstand ich irgendwie. Ich verstand es besser als Jahre zuvor, als mein Bruder und ich mit einem uralten Radio, das in unserem Kinderzimmer stand, aufgeregt den Polizeifunk abgehört hatten, einer mit Blick zur Tür, ob denn die Eltern kommen, der andere am Fenster stehend, um rechtzeitig einen jener Peilungswagen der Post zu entdecken, die damals in der BRD der Achtziger zum mythologischen Kosmos eines jeden Grundschulkindes gehörten.
Die Polizeifunkzeit endete an jenem Tag, als ich beschlossen hatte, das Gerät aufzuschrauben, um ein Walkie Talkie daraus zu bauen, quasi eine Standleitung direkt zur Ordnungsmacht. Ich wollte nicht mehr nur zuhören, sondern auch aktiv beteiligt sein: was damals misslang und erst vor über zehn Jahren mit dem Einstieg in den Radiojournalismus gelang. Nach dem Zeitzeichen schaltete ich um auf BFBS, allerdings nicht aus Bildungs-, sondern aus Diskosehnsuchtsgründen. Diskos, die damals schon Clubs hießen – aber das wusste ich nicht – waren düstere, für mich nicht einsehbare Orte, an denen Basslastiges die Nächte begleitete, während die Erwachsenen dort vermutlich Alkohol aus chicen Gläsern tranken, Zigaretten rauchten und sich küssten – die Vorstellung war aufregender als die Lektüre der wöchentlichen Dr.-Sommer-Seite in der Bravo.
Mit dem Radio nahm ich aus der Ferne, unter der Bettdecke, Teil an diesem Geschehen und irgendwo zwischen diesen vielen ersten Eindrücken, die mit Vorfreude verbunden waren, mit Gefahr und Einsicht ins Erwachsene, liegt sie noch heute: meine Begeisterung für dieses Medium, für das Radio, das in Echtzeit die komplette Welt abbildet. Über das Radio zu schreiben bedeutet, zwei sich entgegengesetzt stehende Medien zu verbinden, sich aber auch immer wieder zu vergegenwärtigen, wie es angefangen hat, mit den Wellen und der Sehnsucht. Das Radio verwandelt die ordnenden Linien in einen kreisenden Diskurs