Hannes Köhler entwirft in seinem Debütroman „In Spuren“ ein mysteriöses Spiel: Ein BWL-Absolvent verschwindet und hinterlässt ein abgeworfenes Leben, in das nun sein bester Freund reinschlüpft.
Jakob arbeitet in der Computerspielindustrie und kennt sich aus mit verrückten Plots. Sein bester Freund Felix hat BWL studiert und Grundlagen der „Spieltheorie“ kennengelernt. Als Felix eines Abends für immer verschwindet, weil er sein eigenes Leben nicht mehr aushalten kann, startet Jakob ein Experiment – aus Tagebucheinträgen, Festplatten-Dokumenten, aus Notizen, Anzügen, Wohnungshinterlassenschaften bastelt er Felix‘ Leben nach und schlüpft hinein. Jakob wird Felix. Doch bleibt am Ende die Frage, wer eigentlich verschwunden ist: Der Geflohene, oder der, der in die Rolle des Geflohenen gestiegen ist? Es ist die Geschichte von doppelten Leben, wie man sie eigentlich aus Spionageromanen kennt. Jakob zieht Felix‘ Klamotten an. Jakob besucht Felix‘ Bewerbungsgespräche. Gibt es Felix nun doppelt? Einmal? Keinmal? Es ist eine Frage, die ebenso Felix‘ Papa betrifft. Der hat in Flensburg eine zweite Frau, eine Dänin, mit dieser eine gemeinsame Tochter. „Und seine Mutter ignorierte es und lächelte, bis an die Schmerzgrenze.“
Bis zu seinem Verschwinden lächelten auch Felix‘ Exfreundinnen, wenn er wieder mit einer Neuen im Arm ankam. Auch Jakob hat gelächelt, während er selbst mit seiner Freundin zusammengezogen ist, quasi das monogame Gegenmodell ausprobiert hat. – Und mit diesen ständigen Gegensätzen und Spiegelungen arbeitet „In Spuren“. Felix Vater, währenddessen, hat Alzheimer, verliert langsam das Gedächtnis. Der Sohn verschwindet aus der Welt. Und die Welt verschwindet gleichzeitig aus dem Vater. Noch so eine Spiegelung. „In Spuren“ ist neben vielem anderen auch ein Buch über Literatur. Es kommen eine Menge Bücher vor: „Krieg und Frieden“, das Gesamtwerk von Thomas Mann, die Bibliothek der Abenteuer mit „Ben Hur“, „Die Schatzinsel“, „Die letzten Tage von Pompei“ und, als wichtigstes Buch, das „Tagebuch“ von Felix. Hier bedient sich Hannes Köhler eines postmodernen Kniffs. In Filmen hinterlassen Verschwundene seltsamerweise immer Super-8-Bänder, in der Musik bleibt vom verschwundenen Mädchen nur eine Melodie und in Büchern lesen die Helden Bücher. Was will uns der Autor damit sagen?
„Ich habe mich zuerst eher an anderen Prosatexten und Romanen orientiert“, sagt der Autor im Mairisch-Verlagsblog, „und dann habe ich mir die Frage gestellt, ob und wie Tagebuch und Postkarte in einem zeitgenössischen Roman, in dem es ja auch um mehr oder minder junge Menschen geht, noch adäquates Mittel sein können.“ Internetforen können ein Tagebuch nicht ersetzen, weil das eine öffentlich, das andere privat ist. Warum sollte man nicht auf Konzertkarten von „The Rifles“ etwas über den Abend mit seiner Freundin notieren? Das ist hochromantisch. Dahinter steckt der Wunsch: „Wer schreibt, der bleibt.“ Diesem schönen, klugen, warmen Roman kann man nur wünschen, dass er nicht untergeht, sondern bleibt – wenigstens ein paar Berliner Sommer lang, nicht nur „In Spuren“, sondern komplett.
Hannes Köhler: „In Spuren“, Mairisch, 232 Seiten, 17.90 Euro