Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, Peter Stamm – das sind die bekanntesten Namen, die einem sofort einfallen, wenn es um Schweizer Literatur geht. Zudem darf nie fehlen: Martin Suter. Der Bestsellerautor legt gerade seinen neuen Spannungsroman „Montechristo“ vor. Anlass genug, um neben diesem auch an drei weitere Bücher aus dem eidgenössischen Nachbarland zu erinnern. Dazu kommt, dass Martin Suter gerade mit absurden Unterstellungen konfrotiert wird, auf die der Schweizer Tagesanzeiger eben hier eingeht: «Staat veredelt Edelfeder» – die Schlagzeile ist schmissig, mit welcher der «Blick» in seiner heutigen Ausgabe einen Frontalangriff gegen Martin Suter platziert. Und selbstverständlich klingt es stossend, dass ausgerechnet das Werk eines Bestsellerautors wie Suter vom Schweizer Staat mit 140’000 Franken unterstützt wurde, womit er einer der «meistgeförderten» Literaten sei. So zumindest die Ansichten des «Blicks». Schaut man sich die Zahl von 140’000 Franken etwas genauer an, gewinnt man ein differenzierteres Bild. Denn Martin Suter hat von dem sechsstelligen Betrag kaum etwas gesehen.“ (hier ein Hinweis im BILDblog von heute). Fotograf des Beitragsbildes ist Alberto Venzago. Zurück zur Literatur:
Der Schweizer Videojournalist Jonas ist Ende 30, hat sich daran gewöhnt, dass seine Arbeit im Verborgenen stattfindet. „Dafür hatte er dann seinen künstlerischen Ehrgeiz ganz auf Montecristo konzentriert und seine Tätigkeit als VJ zum reinen Geldjob gemacht.“ Dann passiert Ungeheuerliches: Zuerst ist er Zeuge eines Selbstmordes. Später wird seine Wohnung durchsucht. Killerkommandos sind hinter ihm her. Alles nur, weil zwei Schweizer Franken-Scheine mit gleicher Seriennummer bei ihm gelandet sind und der dieses eigentlich unmögliche Phänomen gemeldet hat? Suter begibt sich in diesem sehr süffigen Prime-Time-Thriller auf die Pfade der Dauerthemen unserer Zeit: Geld, Spekulationen, Bankenbetrügereien mit Schlagworten wie „too big, to fail“, Systemrelevanz, globalwirtschaftliche Interessen. Mittendrin ist Jonas, der nach Wegen sucht, sein gigantische Debüt-Filmprojekt „Montechristo“ zu finanzieren. Sind diese Franken-Geldscheine und eine dahinter stehende Mega-Verschwörung seine einmalige Chance? Lässt er sich kaufen? Oder wird er sterben? (Martin Suter: „Montechristo“, Diogenes, 312 Seiten, 22,90 Euro)
Zurück zur Paranoia
Gerade erst hat Günter Hacks Erzähler alle 3561 ALDI-Filialen in Deutschland fotografiert, da wird er nach Zürich beordert. Er soll einen Film auftreiben, der 1966 bei den Dreharbeiten zu „Blow Up“, dem cineastischen Meisterwerk des italienischen Starregisseurs Michelangelo Antonionis entwendet wurde. (Hier geht es zum Trailer.) – Wir befinden uns in der Zukunft. Zürich oder „ZRH“, so die Flughafenkennung, ist ein kapitalistisch verseuchtes Drecksloch, in die Händen einer „Schwarzen Zunft“ gefallen. ZRH erscheint als ein Cyberpunk-Märchen par excellence: Der Staat ist tot, St. Gallen an ein britisches Konsortium verkauft. Verfassungen gibt es lediglich im Netz. Neue Technologien, die mit Körpern und Seelen dealen, fressen alles Leben auf. Dazu kommt, man erinnert sich hier fast an Michael Endes „Momo“: Ein „Nichts“ verschlingt die Schweiz. Und der Held verliert sich zwischen anonymen Glasfassaden – bedroht von allen Seiten, unentrinnbar gefangen in der Neo-Hölle „Schweiz“. Souverän puzzelt „ZRH“ mit schwarzen Zünften, dem unheimlich Nichts, dunklen Visionen und ganz viel Paranoia. (Günter Hack: „ZRH“, Frankfurter Verlagsanstalt, 270 Seiten, 19,90 Euro)
In Stahlgewittern
Der erste Weltkrieg geht weiter: „Es war notwendig, dass der Krieg weiterging. Er war der Sinn und Zweck unseres Lebens, dieser Krieg.“ Der Schweizer Christian Kracht beschreibt in seinem dystopischen Reise-Marsch-Roman „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“, was nach 96-jährigem Artilleriefeuer von der Gegenwart übrig bleibt. Die sowjetische Schweiz hat sich teilweise in den großen Reduit, eine Alpenfestung, verkrochen. Engländer und Deutsche kämpfen im faschistischen Bund gegen die kommunistischen Nachfolger Lenins. Hinrichtungen, Massenmorde, Explosionen, Bomben abwerfende Luftschiffe gehören zum lichtlosen Kriegsalltag aller. Auf der Welt dieses Romans lebt kein Mensch, der weiß, was Frieden bedeutet, jedes Kind ist ins Verderben hineingeboren worden. Ihr karges (Über-)Leben erscheint unwirklich. Alles ist unter postatomarem Fallout-Schneegestöber verborgen. Deutschlands Neckarauen gehören zur ständigen Front. Durch dieses popferne Anti-Faserland irrt ein afrikanischer Parteikommissär hinter Kriegsverbrecher Brazinsky her. Es wird eine Reise ans Ende aller Nächte, Zeiten und Gedanken. Hart. Klar. Ein kaltes Wort- und Stahlgewitter, in bestechend schönem Deutsch. (Christian Kracht: „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“, KiWi, 160 S., 16,95 Euro)
Eis, Eis, Baby!
Daniel Zahnos Cover von “Die Geliebte des Gelatiere” punktet mit einer verführerisch gefüllten Eiswaffel, die zu Julisonne, den Geruch von Sonnencreme, zu Schwimmbadnachmittagen und Sommerferienflirts passt. Das kurze Buch erzählt: von einem wilden Paar. Alvise verliebt sich während der Schulzeit in die verführerische New Yorkerin Noemi, selbstverständlich im romantischen Venedig, seiner Heimatstadt. Nachdem Noemi in die USA zurückkehrt, hängt Alvise sein Herz an unzählbare Nachfolgerinnen, bleibt aber hoffnungslos in seine erste große Liebe verschossen. Das Eis vom Cover steht während dieser Odyssee mal stellvertretend für große Liebe und große Schmerzen, dann wieder für Leben und Tod, oder auch für Angst und Zuversicht, für die Höhen und Tiefen eines eigentlich unspektakulären Lebens, das durch die Liebe wächst und wächst und wächst. Das Buch ist vollgepackt mit rührend-schönen Szenen. Ein paar Wermutstropfen gibt es allerdings wegen des hastigen Endes. Aber wer bei Temperaturen über 30 Grad ein bisschen schmachten möchte, ist genau richtig bei diesem rätselhaften, flirrenden Roman. (Daniel Zahno: „Die Geliebte des Gelatiere“, weissbooks, 194 Seiten)
[…] im Magazin der Süddeutschen Zeitung. In der aktuellen Ausgabe wird Bestsellerautor Martin Suter (hier im Blog) und wenn man das obige Beitragsbild mit der zweiten Antwort eben hier vergleicht, muss man […]
[…] Millonenbetrag (Franken) eingespart werden. Deshalb wird Diogenes, Heimat guter Autoren wie Martin Suter, Benedict Wells (Bild) und Hartmut Lange 2015 nicht auf der Frankfurter Buchmesse vertreten sein […]