Das aktuelle Buch von Ralf Rothmann aus dem Jahr 2015 wurde sehr gemischt aufgenommen – und er, einer einer liebsten Autoren, hat davor mit „Feier brennt nicht“ etwas vorgelegt, das einen die Schamesröte stellvertretend ins Gesicht treibt. Nach VIER x Verrisse (1) gibt es nun also den Nachfolger, mit Ralf Rothmann, Max Goldt, Jonathan Lethem und Adam Olschweskis „Ewa“.
EINS „Feuer brennt nicht! Feuer flackert oder leuchtet oder raucht. Brennen tut was anderes…“ Blass vor Scham hört der junge Autor Wolf der verführerischen Alina zu. Später, seine Texte sind reifer und erfolgreicher, taucht Charlotte am Horizont auf. Eine andere gebildete Frau, die genau so ein Brennen spürt. „Er will sie nicht verlassen, das steht von vornherein fest. Er will etwas freier an Alinas Seite bleiben, das ist alles.“
Alles Lüge. Ralf Rothmann erzählt im exhibitionistischen Ton aus dem Leben eines Lüstlings, der im Osten Berlins zur Nächsten schielt, um das Ehemann-Alleinsein ertragen zu können. Und er berichtet ausufernd, in keinem Moment zu schwülstig, vom immer wieder großen Sex. Charme trifft Scham. Erotisch beginnt die große Liebe zwischen Buchhändlerin Alina und Schriftsteller Wolf. Eitel endet der Text. Schade. (Ralf Rothmann: „Feuer brennt nicht“, Suhrkamp, 304 Seiten, 19,80 Euro)
ZWEI Die junge Polin Ewa ist mit vierzehn nach Berlin gekommen, wo sie zehn Jahre später einen Chefredakteur kennen- und lieben lernt. Sein „Name ist Doktor. Pardon, Rainer.“ Und obwohl Rainer lehrbuchgleich knutschen kann, wirkt er hanseatisch steif, urdeutsch korrekt, ordentlich wie ein Leitzordner. Diese leicht langweiligen Konturen passen zum Debütroman des 1966 im polischen Tuchola geborenen Autors Adam Olschewski. Von einer ungleichen Liebe will er berichten, von Schlachtfeldern, von Mann und Frau, West und Ost, Alt und Jung. Schon auf den ersten Seiten hantiert Ewa mit einer Pistole, die sie wenig später gegen ihren Rainer richten wird – aus Liebe. Der Kampf beginnt, theoretisch, nur im Buch leider nicht. Ewa entführt Rainer nach Polen und der folgende Plot besteht aus dieser mysteriösen Reise sowie halbmelancholischen Liebesrückblicken, Leidenschaftsszenen. In Polen wartet Ewas Jugend, in Polen lauert Rainers Tod. Die Waffe des Mädchens bleibt die ganze Zeit geladen.
Es gibt schöne, fremdartige Momente, rotzige Dialogpassagen, einen cleveren Schluss und doch wünscht man Rainer viel zu früh ein schnelles Ende. Muss man nicht gelesen haben. (Adam Olschewsi: „Ewa“, Rogner & Bernhard, 344 Seiten, 19,90 Euro)
DREI Viele US-Gegenwartsromane beschäftigen sich mit New York, weil die Megacity aufgrund der WTC-Terroranschläge und den Zusammenbruch der Wall Street beispielhaft fürs 21. Jahrhundert steht. Im neuen Roman von Jonathan Lethem heisst New York „Chronic City“ – eine vom Autor abgewandelte Form der Stadt nach dem 11. September 2001, mit leicht verschobener Realität: So streunt beispielsweise ein zwei Stockwerke hoher Tiger umher. Die Straßen sind ständig mit Nebel verhangen. Hier treffen aufeinander: der ehemalige TV-Kinderstar Chase Insteadman, gern gesehener Gast auf den High Society-Partys von New York ist, und der dauerkiffende Ex-Rockkritiker Perkus Tooth, das exakte Gegenteil von Chase Insteadman. Aus diesem Material, seltsame Stadt plus skurrile Figuren, bastelt Jonathan Lethem ein Panorama das zeigen will, wie New Yorker heute versuchen, mit den Problemen und Fragen und Verwirrungen unserer Zeit zurechtzukommen. Dieses Buch kommt daher wie ein Fotoband in Worten, mit Bildern über Paranoia, die „Matrix“, über
Terror, Parties, Drogenexzesse, Second Life, Aberglaube und Urban Legends – man kann auch sagen: Über alles. Man kann aber auch sagen: Über nichts. Und das ist das große Problem an diesem unfassbar gehyptem Roman: „Chronic City“ hat kein Zentrum und keine wirkliche Story, es ist nicht einmal übermäßig originell. Dicker Roman, schwerer Stoff. Verhoben. (Jonathan Lethem: „Chronic City“, übersetzt von Johann Ch. Maass und Michael Zöllner, Tropen-Verlag, 500 Seiten, 24,95 Euro)
VIER Max Goldts Debüt hatte vor 31 Jahren den ebenso langen wie kuriosen Titel: „Mein äußerst schwer erziehbarer schwuler Schwager aus der Schweiz.“ Sein neues Buch ist schlicht mit „Räusper“ überschrieben, einem so genannten „Erikativ“. Als diesen bezeichnet man scherzhaft kurze Inflektive, die klingen, als habe sie Übersetzerin Erika Fuchs in einer ihrer Mickey-Maus-Hefte verwendet. Lange ist es her, dass Comicsprache abfällig zur Seite geschoben wurde. Doch ausgerechnet Max Goldt gibt mit seinem neuen Werk vielerlei Gründe, den Erikativ zu schmähen. Um die im Katz&Goldt-Duo entstandenen Comicstrips bühnentauglich zu machen hat er Bilder in kurze Szenen übersetzt. Es geht um unliebsame Tischnachbarn, um Business-Knechte und um Jugendliche mit Handfeuerwaffen. Für Goldt typische Wendungen tauchen auf wie: „Möge der Wein auch weiterhin munden.“ Die sozialen Situationen sind aber – vom Kennenlernen der Schwiegereltern bis zum kein Stück weit hilfsbereiten Spießer im Kaufhaus – von der Gegenwart des Jahres 2015 ungefähr so weit
entfernt wie Loriot-Sketche von der Loveparade Mitte der Neunziger. Pur als Buchstabenlinien dastehend, ohne Bilder, ist dieser Band bedauernswerte Weise kein Stück komisch, hintersinnig, unterhaltsam. Als Hörbuch könnte „Räusper“ eventuell funktionieren, obschon sein Witz gestrig wirkt, wie eine harmlose Zote, die der Großonkel beim Familienfest zum Besten gibt. Was man dem neuen Buch von Max Goldt zu Gute halten kann sind allein das große Schriftbild, die weiten Zeilenabstände – und dass es deshalb in kürzester Zeit gelesen ist. Wenn man denn will. (Max Goldt: „Räusper“, Rowohlt, 172 Seiten, 19,95 Euro)