„Der Witz ist ja: Techno war nie weg, im Gegenteil“, antwortet Rainer Schmidt, im Jahr 2009, als er gefragt wird, ob Techno wiederkommen wird (damals erschien das großartige Boys Noize-Album POWER). Schmidt brachte „Liebestänze“ heraus und sagte: „Der Begriff Techno war verbrämt, verbrannt, was weiß ich. Aber die elektronische Musik an sich ist heute verbreiteter denn je. Es ist nicht mehr neu und deswegen keine Story mehr. Aber Millionen Menschen sind in den vergangenen Jahren an jedem Wochenenden in Clubs, Hallen und zu Festivals gegangen, um genau zu diesen Klängen abzufeiern – und tun das immer noch. Bei der letzten Loveparade in Dormund waren 1.6 Millionen, auch wenn das niemand wahrhaben wollte. Nenn es Techno, nenn`es elektronische Musik, völlig wurscht, das ist mehr denn je der Sound, zu dem die Republik tanzt.“ Hier gibt es vier Mal auf ganz unterschiedliche Weise den Blick auf die Musik, zu der auch ich am liebsten gefeiert habe. (Das Bild ist von Wikipedia und zeigt einen Roland TB-303.)
EINS Tief ins Finanzchaos führt „Mille Plateaux-Labelchef Achim Szepanski: Mit den Label „Force“, „Ritornell“ und „Mille Plateaux“ (nach dem Kapitalismus & Schizophrenie-Gewaltbuch „1000 Plateaus“ von Deleuze/Guattari aus dem Jahr 1980) hat der gebürtige Karlsruher in den 90ern Noise-Technogeschichte geschrieben. Frickelking Asmus Tietchens, Acid-Pionier Robert Babicz, Digital Hardcore-Held Alec Empire gab er eine Heimat. Nach Suhrkamp-, De:Bug-, Wissenschaftstexten holt er zur Megabuchtriolgie aus und veröffentlicht auf eigene Faust drei fette Romane, die leicht wahnsinnig daherkommen. „Saal 6“ erzählt auf 750 Seiten eine systemkritische Geschichte über die gedopte Bankerszene im Jahr 2013. Der Finanzhai und Teilzeitsadist Dr. Dr. Hanselmann will das Weltgeld einführen, während ein geschasster Philosoph und ein alternder Starkoch am See sitzen und abgehobenen Big-Talk pflegen. In dieser Welt zwischen Hegel und Hedge-Fonds geht es unter anderem um: Jelly Beans, Rastertunnel-Mikroskopie, Konstruktivismus, Fußfesseln, Nietzsche,
selbstgebastelte Flugdrohnen, thailändische Steroide und um Typen, die Boxer-Dieter oder Freaky Franky heissen. Kurz: Die Textparty glüht. „Saal 6“ ist vergleichbar mit „Inland Empire“ von Regisseur David Lynch – man muss die Story schlafwandlerisch passieren lassen, wie eine Performance, nicht an Handlungsstränge und Creative Writing-Kniffe glauben, dann wird’s eine gute Zeit. Abgedreht. (Achim Szepanski: „Saal 6“, Rhizomatique, 750 Seiten, 24 Euro)
ZWEI Emma Fröhlich, genannt EMD-Emm-A, ist magersüchtig („Kotzen hilft. Immer und gegen alles. Genau wie Rauchen.“). Sie steht auf Techno-Spontansex, wohnt in einer Party-WG und geht gern von Mittwochabends bis Sonntagmorgens aus (der Dauer dieses durchgeschallterten Feierromans) . Ihre Lieblingstiere sind Mausmakis und blaue Pumas, was die Autorin Mareile Kurtz in ihrem Teaservideo mit den knappen Worten erklärt: „Mausmakis sind kleine Tierchen, die sehen immer aus, als wären sie kurz vorm Heulen, die haben ganz ganz riesengroße Pupillen – wie ein Druffi eben“. Und wer einmal die XTC-Variante „Blauer Puma“ geschluckt hat, ist nicht mehr weit vom „Seelen-Hangover“ entfernt, was dann zu verpeilten Dialogen mit depressiven, malenden Mitbewohnern führen kann, wie in diesem autobiographisch gefärbtem Roman: „Es ist alles leer.“ – „W… wie?“ – „Es ist alles leer.“ – „Die Farbe, oder was?“ – „Nein.“ – „Was meinst Du denn?“ – „Es ist alles leer Wir. das Universum. Bald sind wir nicht mehr
hier – und alle leer.“ – „Soll … soll ich ’nen Krankenwagen rufen oder so?“ Vier Tage (überwiegend) wach, dazwischen Rückblicke auf Emmas Jugend: der Beginn ihrer Magersucht, erste Ekelsexerfahrungen, viele Partys, ein bisschen Liebe, viel mehr Familienprobleme und eine Suche nach dem einzig wahren Gott, der am Ende wie bei Faithless ein DJ zu sein scheint. „Mausmakis blaue Pumas“ ist ein großer, dialoggetriebener Spass und liest sich, wie Rindercarpaccio aus Beinscheibe schmecken würde. Nichts für den feinen Geist und vielleicht gerade deshalb die prägnantere Alternative zur Diskurs-Popliteratur der Intro– und Suhrkamp-Schule, die eher für Seminar als die Clubtoilette geschrieben ist. (Mareile Kurtz: „Mausmakis blaue Pumas – Über chemisches Heilfasten und die Angst, sich zu Tode zu feiern“, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 352 Seiten, 14,95 Euro)
DREI Spezielle Musik für spezielle Menschen verspricht das Label „Shitkatapult“ aus Berlin. Techno-Punk Marco Haas und Kumpel Sascha Ring verantworten das umfangreiche Elektronikprogramm von Micro-House bis Shuffle-Techno. 1998 wurde Shitkatapult gegründet. Heute, sieben Jahre und mehrere Dutzend Veröffentlichungen später begeistert vor allen Dingen die französische Musikerin Judith Juillerat. Mit „Soliloquy“ ist der Björk-Remix-Contest-Gewinnerin von 2005 ein experimentelles Minimalkunstwerk gelungen. Wer Can kennt, oder Amon Düül, den Hamburger Asmus Tietchens oder Skandinavier im Rinne-Radio-Stil mag, der hat seien Gefallen an diesem Album. Das sind jetzt eine Menge Namen, beschreiben lassen sich Juillerats mehrspurig aufgenommenen Klangcollagen auch. Ohne Computer, dafür mit unzähligen Analog- und Digital-Synthesizern, Beatboxes, Effektgeräten und Minisamplern ist ein punktuell ausgeloteter Raum entstanden. Punktuell deshalb, weil die spürbare Leere größer ist als die Fläche, auf der die Stücke wahrgenommen werden. Wie blinkende Stecknadeln im Nachthimmel. Die Töne schwingen einem Squash-Ball
gleich hin und her, formen sich langsam zu einem fein gesponnene Netz – sehr melancholisch, zart besungen, ungewöhnlich. Der tanzbare Gegensatz ist Peter Grummichs „Dirty Floor“-Techhouse-Set aus dem Berliner Club Maria. Intelligent, industriell und tiefbassig gibt es Ostbahnhof-Partyflair für den heimischen Plattenteller, von Funkkanone Ark bis Audio Werner. Shitkatapult führt ganz eigenständig elektronische Strömungen weiter, fernab Energiegetränk gesponserter Balleralben großer Musikkonzerne.
VIER: Drei Fragen (im Jahr 2009) an Rainer Schmidt. Wie sehr warst Du „Raver“, welche „Auswüchse“ hat das genommen? „Über viele Jahre war das – neben der Arbeit – der bestimmendste Faktor in meinem Leben. Da meine damalige, langjährige Freundin Mitgründerin der Loveparade und später Chefin eines bekannten Techno-Labels war, blieb mir ja auch nichts anderes übrig. (Smiley) Im Ernst: Ich war praktisch jedes Wochenende unterwegs, meist in Berlin, aber auch in Hamburg oder Düsseldorf. Auf jeder Parade sowieso, auch in Wien oder Mexiko-Stadt. Auf jeder Mayday, auch in Polen oder Ungarn. Ich bin für Auftritte etwa von Paul van Dyk mit nach New York oder Ibiza geflogen etc. pp. Man könnte sagen: Das war schon sehr intensiv.“ Gehst Du noch in Clubs? In welche? Ja, auch wenn nur noch relativ selten, teilweise, weil es sich einfach in der Nacht ergibt, oderganz gezielt, weil dort Freunde auflegen. Zuletzt war ich z.B mal im Admiralspalast beim „The Broken Hearts Club“, weil Fetisch aufgelegt
hat, oder im Weekend, als dort Paul van Dyk war. Bar 25, Weekend, Watergate, ab und zu natürlich auch der gute alte Tresor waren in den letzten Jahren so die wichtigeren Adressen für mich. Der Gegensatz Arbeit/Club ist bekannt seit John Travolta aber auch durch Romane wie „Bright Lights, Big City“. Hattest Du damit zu kämpfen? Logo. Zum einen gab es den körperlichen Aspekt, dass man morgens nach einem durchgefeierten Wochenende manchmal nicht wirklich in Höchstform in der Redaktion saß. Schlimmer war es natürlich, wenn man mitten in der Woche abgestürzt ist. Dann saß ich wie ein Zombie vor dem Schirm und musste trotzdem funktionieren. Hat in der Regel auch ganz gut geklappt, glaube ich zumindest ☺. Der andere Aspekt war, dass ich mich schon eine zeitlang gefragt habe, ob diese Nacht- und Musikwelt nicht wirklich die bessere für mich ist: coolere Leute, größere Intensität, mehr Spaß. Ich weiß, das stimmte nicht immer, war aber oft der Eindruck. Mich hat die Energie dieser Nachtmenschen, insbesondere der Macher, also: DJs, Plattenlabel-Betreiber, Club-Betreiber, Loveparade- und Mayday-Macher, immer extrem fasziniert und inspiriert. Deren Einsatz und enorme Leidenschaft fand ich beeindruckend. Deutlich beeindruckender als die professionelle Distanz und das Wichtigtuerische vieler Journalisten-Kollegen. (Rainer Schmidt: „Liebestänze“, KiWi, 320 Seiten, 8,49 Euro)