Allein der Titel begeistert seit seinem Erscheinen vor über 220 Jahren: „Herzergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ von Wilhelm Heinrich Wackenroder, in der die selbstreferentielle Kunst zur Religion erhoben wird. Erst vor Kurzem ist in der deutschsprachigen Literatur ein ultraromantischer Aufbruch ausgerufen worden, der zum Ende des Jahres 2017 gipfelte in einem F.A.Z.-Artikel von Simon Strauß (hier im Blog), überschrieben mit den Worten „Künstler, emanzipiert euch“, in dem zu lesen waren Sätze wie: „Es gibt im Moment keine künstlerische Gruppe, keine Bewegung oder Schule, die ihre Energie vor allem auf das Ästhetische konzentriert. (…) Wo ist die künstlerische Lust am Befremdenden, am Gegensätzlichen, Geheimnisvollen, Unerklärlichen hin?“ – Hier gibt es also vier Texte, die als romantisch gelten können, auf die eine wie die andere Weise. (Das Beitragsbild ist geklaut von dieser Homepage und zeigt Leonhard Hieronymi)
EINS Erotisch beginnt die große Liebe zwischen Buchhändlerin Alina und Schriftsteller Wolf. Eitel endet der Text, als habe sich Ralf Rothmann beim Schreiben ständig durchs Haar gestrichen. Uneins wie eine Dreiecksgeschichte, reizvoll und schal zugleich. „Feuer brennt nicht! Feuer flackert oder leuchtet oder raucht. Brennen tut was anderes…“ Blass vor Scham hört der junge Autor Wolf der verführerischen Alina zu. Später sind seine Texte reifer und erfolgreicher, als Charlotte, eine andere gebildete Frau am Horizont auftaucht, und genauso ein Brennen spürt. Da ist er lang mit Alina zusammen: „Er will sie nicht verlassen, das steht von vornherein fest. Er will etwas freier an Alinas Seite bleiben, das ist alles.“ Alles Lüge. Ralf Rothmann erzählt im exhibitionistischen Ton aus dem Leben eines Schriftstellers, eines Lüstlings, eines Gatten, der im Osten Berlins zur Nächsten schielt, um das Ehemann-Alleinsein ertragen zu können. Und er berichtet ausufernd vom immer wieder großen Sex. Charme und Scham kommen hier zusammen. (Ralf Rothmann: „Feuer brennt nicht“, Suhrkamp, 304 Seiten, 19,80 Euro)
ZWEI „Leonhard Hieronymi ist Verfasser mehrerer unveröffentlichter Romane und Novellen hyperrealistischen und ultraromantischen Stils. Bekannt ist er vor allem für seinen 2007 entstandenen Dokumentarfilm ‚Doggie High‘. Er wurde in Bad Homburg vor der Höhe geboren und studierte Informatik, Philosophie, Komparatistik und Deutsche Literatur in Mainz, Berlin, Offenburg und Wien. Sein Buch ULTRAROMANTIK erschien im Korbinian Verlag. Im Herbst erscheint seine Erzählung BABYLON BLUT CLUB bei Sukultur.“ Wenig ist bekannt über diesen Künstler, der verantwortlich ist für den Hashtag #richkidsofliterature. Es gibt Verknüpfungen mit der Zeitschrift „Der Freund“, mit Christian Kracht, Berlin Mitte und den Denkweisen des #Akzelerationismus – und sein Manifest ist ein Kunstwerk, das in einer Manier, die an Rafael Horzon erinnert, Sätze aneinanderreiht wie: „Wahrheit kann nicht gefunden werden, indem man einen Stift nimmt und versucht, ehrlich zu sein. Wahrheit entsteht durch Fiktionen“ und „Taten sind für Ultraromantiker das
Wichtigste. Worte wiegen wenig.“ Hier wird eine neue Denk- und Kunstrichtung entworfen, auf gerade einmal 85 Seiten, von denen viele schwarz sind. Es gibt zwei Erzählungen und einige Listen, die beispielsweise eine Genealogie des Ultraromantischen entwerfen, von Ridley Scotts „Blade Runner“ und Werner Herzogs „Fata Morgana“ über „It“ von Stephen King und Rainald Goetz’ „Rave“. Man möchte Teil dieser Bewegung sein, denn „Autorinnen und Autoren der Ultraromantik sind Touristen, die alte Burgen und Starfighter zur gleichen Zeit fotografieren.“ Es gibt noch einige Exemplare dieses auf 750 Stück limitierten Heftes. (Leonhard Hieronymi: „Ultraromantk. Ein Manifest“, Korbinian, 90 Seiten, 12 Euro)
DREI „Nun war Igor weg. Er hinterließ eine Kiste leerer Arznei-Spiritusflaschen.“ Seine Freundin Irina sitzt allein in der Wohnung ihres Angebeteten und wartet, bis Igor aus der Tundra zurückkehren wird. Die Spiritusflaschen hat er vor der Abreise in riesige Plastikbehälter umgefüllt. „Sie werden ihn austrinken, im Zug, bevor sie überhaupt angekommen sind.“ Vollräusche sind vorprogrammiert. Irina bewohnt drei Monte lang „Fremdes Territorium“ und haut mächtig auf den Putz. „Ein arbeitsloses und trunksüchtiges Ding von fast 25 Jahren“, ist sie, „verlassen vom Mann ihrer Träume.“ Für dieses Verlassenwerden revanchiert sich die junge Russin, feiert mit Striptänzerin Dana, Lyrik- und Wodkasammler Rubin und dem Klopapier klauenden Iwanow eine Sommer-Dauerparty. Igors Wohnung wird zum Waffen- und Drogenlager. Iwanow befestigt seine Hängematte in der Küche. Kumpan Gleb nächtigt „gewöhnlich im Wohnzimmer oder im Badezimmer auf dem Fußboden. Je nachdem, wo er gerade umfällt.“
Irina lümmelt zum Ende wie Oblomow im Bett und liest, während ihr verwüstetes Leben vorüberzieht. Irina Tabunowas Stärke sind, wie im Debüt „Erwachsenenwelt“, schnelle Dialoge, ein frivoler Sound, gute Unterhaltung. (Irina Tabunowa, „Fremdes Territorium“, BvT, 8,90 Euro, 230 S.)
VIER Zum Abschluss wird das Licht gedimmt mit diesem Lesebuch, das Geschichten zeigt von Goethe, E.T.A. Hoffmann, Bram Stoker, Arthur Conan Doyle – das exakte Gegenstück zum metrosexuellen Edward und Bella-Kitsch aus „Twilight“ oder „House of Night“. Weshalb man auf Exemplare trifft, die sogar Leichen fressen. Nachzehrer heissen die und man weiß nun, woher J.K. Rowling die Inspiration für ihre Dementoren gefunden hat. Es gibt Blattnasen, Fledermäuse, die ihre Artgenossen zerfleischen. Der große Tierforscher Alfred Brehm hat sie beschrieben in einem Artikel, der selbst 120 Jahre später schauderhaft ist. Es kommen ganz moderne Vampire vor: Zum Beispiel ein Auto, das mit Menschenblut fährt und im Lenker eine kleine Nadel versteckt hat. Mit dieser Nadel wird der Fahrer langsam ausgesaugt. Das ist nichts für schwache Nerven und schmachtende Schmusekatzen. (Tilman Spreckelsen (Hg.): „Vampire – Das große Lesebuch,“ Fischer, 256 Seiten, 8 Euro)