Los Angeles, die Traumstadt der verlorenen Engel ist Heimat etlicher Schriftsteller: Charles Bukowski, Ray Bradbury, James Ellroy, Raymond Chandler. Romane wie „Schnappt Shorty“ von Elmore Leonard, „Unter Null“ von Bret Easton Ellis oder „Stille Tage in L.A.“ von Severin Winzenburg haben der größten Stadt Kaliforniens ein Denkmal gesetzt. Mit dem Thriller „Gesetz des Todes“ von Robert Crais erscheint ein neuer Pageturner, der sich aus verschiedenen Gründen vom gewohnten L.A.-Setting abhebt. (Beitragsbild: Andri Pol)
EINS „Er wollte berühren, aber konnte es nicht. Er wollte sie beschützen, aber tat es nicht. Sein Zeigefinger war der einzige Teil von ihm, der sich noch bewegt. Zuckend, als besäße er ein eigenes Leben. Sein Schussfinger. Drückte nichts als Luft.“ Ein ehemaliger Gangster muss daheim ansehen, wie seine Familie von einer Killerbande gemetzelt wird. Ex-Marine und Privatermittler Joe Pike, einstiger Kumpan des Ermordeten, recherchiert in L.A., trifft auf Menschenfleisch fressende Pitbulls, eine geheimnisvolle Frau (wie aus einem Film Noir), serbischen Mafiaclans und eine geradezu biblische Familiengeschichte, die im jugoslawischen Bürgerkrieg ihren Anfang genommen hat. Dieser kalifornische Thriller kommt ohne schillernde Filmsets, sonnigen Glamour, ohne das wilde Meer und die Hollywood Hills aus, zeigt dafür aber einen kalifornischen Baumarkt von innen und das Umland einer Traumstadt: trist wie der Coen-Kinofilm „The Big Lebowski“. Teilweise ist das „Gesetz des Todes“ aus grobem Holz geschnitzt, dennoch gute Genreunterhaltung. (Robert Crais: „Gesetz des Todes“, übers. v. Jürgen Bürger, Heyne, 414 S., 9,99 Euro) In 1LIVE Plan B mit Moderator Max von Malotki hier nachzuhören.
ZWEI L.A. hat bereits eine Menge durchgemacht, wurde heimgesucht von Atomkatastrophen, Außerirdischen, Erdbeben, Soldaten, Fruchtfliegen, Waldbränden. Hollywood fand, wie in den Filmen „Blade Runner“und „The Terminator“ seinen „Untergang in der Zukunft oder Vernichtung aus der Zukunft heraus“. Kevin Vennemann schreibt in seinem smarten Essay „Sunset Boulevard“ über die lange Tradition kalifornischer „Film Noir“, über die Villenviertel von Palm Springs, über Filmleichen und andere Opfer des „Ersatzparadieses“. Das macht er auf verschiedene Weise. Er schaut sich zum einen Filme an, zitiert hier John Malkovich in „Changeling“ wo die Stadt in einer „Jauchegrube aus Angst, Einschüchterungsversuchen und Korruption“ versinkt., Dann geht es, harter Schnitt, um berühmte Architekten, die dem L.A. wie wir es kennen, eine modernes Gesicht gegeben haben. Filmkulissen und Realität werden gegenübergestellt, dann wieder über die „Abwesenheit der Schwarzen im Film Noir“ spekuliert und bis zum Schluss detailreich erklärt, wie unser Bild von Hollywood durch Filme beeinflusst wurde – und was davon „wahr“ ist. Smart. (Kevin Vennemann: „Sunset Boulevard“, Suhrkamp, 184 S., 14 Euro)
DREI „Zu der Zeit, als ich in Venice Beach eintraf, war Lilys Totenwache bereits in eine Art Orgie ausgeartet, mit über zweihundert Leuten, die im ganzen Hotel verteilt tanzten und redeten und koksten und tranken. Niemand wusste, wer ich war, also wanderte ich herum, mein abgegriffenes Basecap tief im Gesicht, wie ein Kind auf einer Cocktailparty.“ Das „Pink Hotel“aus Anna Stothards (Beitragsbild) Debüt steht im knallig-heissen L.A. Dorthin fliegt die 17-jährige Heldin, von London aus – mit einer geklauten Kreditkarte. Sie will dem Tod ihrer gerade mal 32-jährigen Mum Lily hinterher spüren. Als Lily mit 15 Mutter wurde verschwand sie kurz darauf aus dem Leben ihrer Tochter; Die daraufhin beim Vater aufgewachsen ist. Mit Koks und Cocktails fängt es an, mit noch mehr Party, Knutschen in Hinterhöfen und betrunkenen Nächten in ranzigen Hostels geht’s weiter. Immer im Nacken: Lilys Vater und die beklaute Stiefmutter, die täglich anrufen, abwechseln drohen, bitten, diskutieren. Kommt mit Highway-Picknicks in SUVs, Raves in Venice Beach, vielen Teenage Dreams. (Anna Stothard. „Pink Hotel“, Diogenes, übers. v. Hans M. Herzog, Astrid Arz, 352 S,, 10,90 Euro)
VIER Autor Tony O’Neil stand bereits mit Marc Almond von Soft Cell („Tainted Love“) auf der Bühne. Um verdorbene Liebe geht es auch in O’Neills neuem Buch „Black Neon“. Die postmodern abgelegte Story spielt im Drogen- und Filmmilieu Kaliforniens. (im Buch „Black Neon“ wird ein Film unterm dem Titel „Black Neon“ sogar bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt) Underground-Starregisseur Jacques Selzer will einen realistischen Transvestiten-Stricher-Drogenporno filmen. Der muss erstmal recherchieren und Rohmaterial zusammenfilmen: mit einer amputierten Lesbe im Blut- und Drogenrausch und dem, was sie mit ihrer nackten Killerfreundin und dem einzig‘ verblieben Arm abstellen kann. Es kommen aber auch harmlose Irre vor, wie der verwirrte Freak auf Angel Dust. Geladen ist „Black Neon“ mit zahnlosen Transvestiten, einem Hehler, der geklaute Thriller auf der Straße an Junkies vertickt und: einer 90-Jährigen, die sich Koks spritzt, um Kontakt mit der Geisterwelt aufzunehmen. Wie ein Mix aus Lucky#Slevin, den Surferkrimis von Don Winslow und Quentin Tarantinos „Natural Born Killers“. (Tony O’Neill: „Black Neon“, übers. v. Stephan Pörtner, Walde+Graf, 380 S., 24,95 Euro)
(Hier kann der Beitrag aus 1LIVE Plan B – mit Christiane Falk nachgehört werden)
[…] eigener Sache: In der neu eröffneten VIERx-Rubrik auf LesenMitLinks sind VIERxL.A. und VIERxPrag erschienen. Es gibt neue Texte im Blog zu Büchern von Martin Kordic, David Finck, […]