Das neue Jahr beginnt mit guten Vorsätzen – darüber habe ich gestern diesen Text über „Die Apologie des Zufälligen“ von Odo Marquard veröffentlicht: Wir wollen mehr joggen, weniger Junkfood essen und gewiss mehr lesen. Hier gibt es vier Bücher, mit denen der Einstieg ungefähr so leicht funktioniert wie das Zwanzig-Minuten-Sportprogramm mit Elektrounterstützung. Umberto Eco plaudert aus dem Nähkästchen, Juri Sternburg erzählt vom „Nirvana Baby“ (tatsächlich ohne Bindestrich), Francis Nenik alphabetisiert und Markus Orths begeistert mit einem neuen Stück in der „Literatur Quickie“-Reihe. Das Beitragsbild zeigt Umberto Eco.
EINS Der vielsagende Titel „Bücher sprechen über Bücher“ ist eine Anspielung auf die „Palimpseste“ von Gérard Genette und eine Irreführung. Das 44-seitige Werk aus dem Hanser-Verlag kompiliert nicht nur Texte über Bücher, sondern verschiedene kurze Feuilletons von Umberto Eco. Der Italiener denkt über Verschwörungstheorien im Netz nach, rezensiert ein Buch über die magische Zahl „7“, verkitscht höchst unterhaltsam die „Mona Lisa“ und denkt im titelgebenden Essay darüber nach, ob das Sammeln alter Druckwerke ein Indiz sein könnte für das tatsächliche Verschwinden des Buchs. „Die Sammelwut betrifft die unterschiedlichsten Gegenstände. Die römischen Patrizier sammelten antike griechische Objekte (auch falsch); in den Katalogen von Christie`s liest man von Auktionen, in denen ein paar Socken, die dem herzig von Windsor gehörten, für Millionen versteigert werden. (…) weil man in dem Moment, da ein Objekt vom Markt verschwindet, mit dem Sammeln der übrigen Exemplare beginnt.“ So sammele ich weiter. (Umberto Eco: „Bücher sprechen über Bücher“, übers. v. Anna Leube, Hanser, 44 S., 3,50 Euro)
ZWEI Es gibt zahlreiche Versuche in der Literatur. Man denkt an den „Roman ohne E“ von Georges Perec oder an „Only Revolutions“ von Mark Danielewski (hier im Blog), wo auf jeder Seite exakt 180 Wörter stehen und die Doppelseite somit die Kreiszahl 360 ergibt. Francis Nenik, der bereits einen Loseblatt-Roman in der „ed[ition]. cetera“ vorgelegt hat, also für Spielereien zu haben ist, kommt nun mit einer einem kurzen Abecedarium.
Die Gedichte und Kürzestgeschichten sind alphabetisch sortiert, fangen mit dem jeweils gleichen Buchstaben an und klingen in der Miniatur „Kaltekriegskinder“ zum Beispiel so: „Kaltekriegskinder / kreischen Kreißsäle kaputt, kabbeln Kindergärtnerinnen, / kungeln Kommilitonen, / krönen Klausuren.“ Das ist erstaunlich, aber am Ende vor allem aus Sammlungsgründen (-> Umberto Eco) beachtlich.
(Francis Nenik: „Ach, bald crashen die Entrechteten furchtlos gemeingefährliche, hoheitliche Institutionen, jagen kriegserfahrene Leutnants mit Nachtsichtgeräten oder parlieren querbeet Russisch, Swaheli, Türkisch und Vietnamesisch, während Xanthippe Yamswurzeln züchtet“, mit Illustrationen von Halina Kirschner, 64 Seiten, 9,90 Euro)
DREI Für Ende Februar hat der KiWi-Verlag Benjamin von Stuckrad-Barres „Comeback“ angekündigt (was nur folgerichtig ist nach popmusikalisch inspirierten Büchern wie „Soloalbum“, „Livealbum“ und „Remix“). „Panikherz“ wird das Teil heißen, natürlich wieder mit einer Udo-Lindenberg-Referenz – und es klingt nach der kurzen Rückkehr des Pop in der Literatur. Den muss man inzwischen suchen. Wirklich beachtenswert war in den vergangenen Jahren lediglich „Wenn die Nacht am stillsten ist“ von Arezu Weitholz (hier im Blog). Es gibt in versteckten Winkeln manchmal etwas zu entdecken, wie dieses kleine Buch von Dramatiker Juri Sternburg, das schon im Titel auf „Bright Lights, Big City“ und Grunge anspielt, vom Cover beinahe ein Malewitsch sein könnte und in Inneren thematisch wie typographisch von Rolf Dieter Brinkmann inspiriert sein könnte (wenn die Schriftgröße aufeinmal ansteigt hat man das Gefühl, eine Seite lang angebrüllt zu werden). Erzählt werden Dezembertage eines „Rebel without a cause“, der mit seinem Kumpel ein Fußballspiel besucht,
einen Terroranschlag plant, den er niemals ausführen wird und der Tinder gern auf die ganze Welt übertragen würde: „Alles wegwischen, was einem nicht passt. Diese Sitznachbarn zum Beispiel. Oder Yoga-Kurse. Gentrifizierung. Bücher von Paulo Coelho. Bullen. Leere Konten. Longboardfahrer.“ Ein kurzer, harter, sehr oberflächlicher Ritt, nachdem an dennoch eine (Rigips-)Wand einschlagen will. Am Ende klärt sich übrigens auf, dass der Titel viel mit Nirvana, aber nichts mit Jay McInerney zu tun hat. (Juri Sternburg: „Das Nirvana Baby“, Korbinian Verlag, 80 Seiten, 10 Euro)
VIER Markus Orths scheint ein Faible für Hotels zu haben, mindestens seit seinem 2015 verfilmten Bestseller „Das Zimmermädchen“. In seiner sehr kurzen Geschichte „Es gibt mich nicht“, schlägt ein äußerst verspannt wirkender Typ in einem edlen Hotel auf. Er will die Präsidentinnensuite mieten, weil sie im Internet angepriesen ist mit den Worten, sie sei „eine Suite, die es eigentlich nicht gibt, für Gäste, die eigentlich gar nicht da sind“, also ein Utopie, ein Nicht-Ort, bewohnbar für 2400 Euro pro Nacht. An der Rezeption gefragt, wie sein Name sei, antwortet der Mann, er wisse nicht, wie er heiße, er hätte schon länger nicht im Ausweis nachgesehen;
„ich hätte schon länger jedes Gefühl für mich und meine Existenz verloren, ich sei ein Niemand, ein Nichts, ein Nicht-Ich, ein nichtiges Nicht-Ich, oder – wie ich gerne meinen Zustand poetisch in Worte zu fassen pflegte –, mein ICH sei in N und T gekleidet.“ Er wird eintauchen in eine unwirkliche Welt, geschmückt von Picassos, die keiner kennt, versehen mit Shakespeare-Sonetten, die in keiner Werkausgabe vorkommen, „und hier“, erklärt ihm der persönliche Butler, „jenes originale Notenmanuskript der Mozart-Oper Penelope könne keiner vermissen, das keiner von einer Oper Penelope Kenntnis habe.“ Eine phantastische Geschichte über das Spekulative, die aus der Zeit gefallen ist, die in der Mitte abrupt endet und abgelöst wird von der Story „Ein nackter Mann steht vor der Tür“, in der eine Frau mit ihrem 60. Geburtstag schreckhaft feststellen muss, dass die Zeit nun wie ein Trichter vor ihr liegt. Es könnte ein trostloser Tag werden – doch dann steht da jemand vor der Tür. Nackt. (Markus Orths: „Es gibt mich nicht“, Literatur Quickie, 42 Seiten, 2,50 Euro)