Einmal John Cage, einmal Bossa-Nova, und eine Erinnerung an „High Fidelity“ – das bringt diese Sammlung mal lesens-, mal anschauenswerter Musikbücher der vergangenen Jahre: Staunenswertes von Eilon Paz, Die Geschichte von Sonic Youth, eine Suche nach dem Bossa Nova vom viel zu früh verstorbenen Marc Fischer und eine Erinnerung an „A House Full Of Music“. Play!
EINS Das schwarz-weiße Cover von “Goo“, dem wahrscheinlich besten Album von “Sonic Youth“, musste in den Neunzigern millionenfach für Indie-Flyer herhalten. Das Artwork von Raymond Pettibon, der 2001 sogar zur Documenta11 eingeladen wurde, catchte zum Sound der Zeit mit seinem schwer an die Ästhetik von Pop-Artist Roy Lichtenstein erinnernden Strich (nur eben ohne fröhliche Popfarben) auch das Bildgefühl des neuen Jahrzehnts, das zwischen Heroin Chic und Loveparade-Neon schimmern sollte. Die Coverwahl war genial und ist vielleicht darin erklärt, dass Sonic Youth, wie die Talking Heads oder heute eben Franz Ferdinand aus dem Kunsthochschulenmilieu kommen, wo keine Musik gespielt, sondern Konzepte umgesetzt werden. Es ist eines der großen Leistungen von David Browne, dem Ersthörer zu erklären, warum Lärm (Noise) etwas ganz Wunderbares sein kann, wieso die Ehe zwischen Kunst, Diskurs, Free Jazz und Pop nicht zwangsläufig zu unhörbarem Mist führt und wieso Rockstars keine Drogenexzesse brauchen. Das kommt nicht immer ohne jenes
obligatorische Name-Dropping aus, das man aus anderen (den meisten) Popstarbiographien kennt, manchmal fehlt es an Ironie – aber es macht Spaß; obwohl “Goodbye 20th Century“ unfreiwillig komische Momente hat, beispielsweise wenn gefaltete Schlagzeugerhände “inspiriert von einer Jesus-Statue“ sein müssen, “an der er auf dem Weg zum Fotoshooting vorbeilaufen war.“ Das ist ja, dekt man sofort: der Oberhammer! (David Browne: “Goodbye 20th Century: Die Geschichte von Sonic Youth“, übersetzt von Ralf Niemzcyk, KiWi, 470 Seiten, 14,95 Euro)
ZWEI Es wundert nicht, dass einige der Portraitierten in „Dust & Grooves“ (aus dem auch das obige Beitragsbild ist) zugeben, dass das Sammeln von Vinylschallplatten nicht zwangsläufig mit Musik zu tun hat. Wer etliche Bücher sein Eigen nennt, sortiert in Regalen, die eventuell mehr wert sind als die eigentliche Bibliothek und wer Geschichten selbst in E-Book-Zeiten gern anfasst, der versteht, warum Menschen weltweit Keller umbauen, die Statik ihrer Wohnungen prüfen lassen und auf Urlaube verzichten, um sich dem Sammeln hinzugeben, dem Archiv. Platten- und Büchersammler sind Archivare, die etwas Beständiges um sich wähnen, während alles Da-Sein doch nur ein Sein zum Tode ist. Egal. Dieses endlich auf Deutsch erhältliche Standardwerk des Fotografen und Platten-Bloggers Eilon Paz zeigt Vinylbegeisterte aus der ganzen Welt vor ihren Sammlungen, mit ihren
Lieblingsplatten, Stöberkisten und vielen anderen Ordnungssystemen. Aber das Buch ist mehr als ein DJ-Pult-Buch (analog zum Cooffee-Table-Book). Es kommt mit zahlreichen Reportagen und Portraits, wie über den legendären Gilles Peterson, der auch von seinen Pinkelpausen-Platten berichtet und die schöne Geschichte erzählt, wie er vor einiger zeit im türkischen Antalya aufgelegt hat: „Mein Set ging zu Ende, und ich spielte ‚Springtime‘ von Eric Dolphy. Ein irrer Song, und vor allem 14 Minuten lang. Ich legte ihn auf, sprang ins Meer, schwamm eine Runde und spielte dann #Excursions’ von A Tribe Called Quest.“ Ein Kompendium, das man am besten Musik hörend mit baumelnden Beinen auf dem Teppichboden liest – denn einfach in der Hand halten lässt sich der Klotz keinesfalls und wer möchte schon wie ein Rezensionsbeamter am Schreibtisch sitzen, während vor ihm der inzwischen 79-jährige Joe Bussard, Samler vor allem alter 78er-Scheiben, schimpft: „Heute kommt nichts auf den Markt, was irgendwas wert ist. Die Kids heute werden alle einer Gehirnwäsche unterzogen, wenn sie diesen elektronischen Müll hören. Klar, es gibt ein paar, die sich für alte Musik interessieren. Die müssen Unsummen bezahlen, um an diese Musik zu kommen. Die seltenen Platten verschwinden in Sammlungen und Schwarzen Löchern. Du siehst sie nie wieder.“ (Eilon Paz: „Dust & Grooves – Plattensammler und ihre Heiligtümer“, Edel, 488 Seiten, 49,95 Euro)
DREI Antonio Carlos Jobim mag als Erfinder des „Bossa Nova“ gelten, dieser brasilianischen Musikrichtung, die Ende der 50er Jahre aus einer Samba- und Cool Jazz-Mischung entstand. Bekannt gemacht hat sie allerdings Gitarrist João Gilberto mit Jobims „Chega de Saudade“ (Schluss mit der Sehnsucht). Als er 1965 den Grammy gewann, setzte sich Gilberto durch gegen Louis Armstrong und die Rolling Stones. Dennoch hat ihn die britische Plattenfirma EMI fallengelassen, die alten Aufnahmen in veränderter Modulation auf CD herausgebracht, sich nicht engagiert für den großen Künstler. Seitdem er eingesehen hat, dass die EMI auf die Beatles, nicht auf den Bossa Nova setzt, schweigt Gilberto, gibt keine Interviews. Er spielt zehn, zwölf Stunden am Tag allein Gitarre. Er redet mit Niemandem, außer mit seinem Agenten und der kleinen Tochter. Der Journalist Marc Fischer hat sich in Rio auf die Suche nach Gilberto und der Bossa Nova-Melodie von „Hobalala“ gemacht, mit Gilbertos Koch, mit der Mutter seines Kindes, mit einstigen Weggefährten gesprochen. Getroffen hat er den Musiker
allerdings nicht. Am Ende ging es ihm wie seinen Interviewpartnern: „Alle, die in dieser Geschichte was mit João zu tun hatten, sehnen sich nach etwas.“ Sehnsucht eine Sprache zu geben war die große Kunst von Marc Fischer, der viel zu früh im Alter von 40 Jahren gestorben ist. (Marc Fischer: „Hobalala – Auf der Suche nach Joao Gilberto“, Rogner & Bernhard, 200 Seiten, 17,90 Euro)
VIER Anlässlich des 100. Geburtstages von Komponist John Cage (1912-1992) veranstaltete Darmstadt die Ausstellung „A House Full of Music“. Wie stehen Kunst und Musik im 20. Jahrhundert in Verbindung? Was haben Dada, Jacques Derrida und der Gitarren zerstörende „The Who“-Frontmann Pete Townshend gemeinsam? Wie funktioniert Musik, die ausdrücklich geschaffen wurde, damit man ihr nicht zuhört und wie kommt man von dort aus zu Brian Enos „Music for Airports“? Was verbindet Robert Rauschenbergs White Paintings mit dem komplett stillen John Cage-Stück 4’33“? Die Ausstellung war vermutlich großartig zu werden – die Texte im Ausstellungskatalog sind oft unverständlich. Das Wort „realisiert“ gehört zum Lieblingsvokabular dieser Kunstüberhöhungstexte. Aber: Die Abbildungen lohnen sich. Wer weiß schon, wie eine „Box with the Sound of its Own Making“
aussieht, eine „Olivetti-Yamaha-Grundig Combo“ aus Schreibmaschine, Orgel, Kassettenrekorder, Lampe, Polaroidkamera und Büroklammer“ und Yoko Onos „Voice Piece for Soprano“ von 1961? Letzteres ist ganz einfach. Das „Voice Piece“ besteht aus drei Teilen. „Scream“, werden wir aufgefordert: „1. against the wind. 2. against the wall. 3. aginst the sky,“ (Ralf Beil, Peter Kraut: „A House Full of Music“ Hatje Cantz, 384 Seiten, 49,80 Euro / Audioguide: Hatje Cantz, 48 Seiten + CD, 16,80)
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