Der Bundesgerichtshof hat im VG Wort-Urteil den Urhebern das alleinige Recht an den Ausschüttungen zugesprochen. Seitdem zittern die Zeitungs-, Wissenschafts-, und Belletristikverlage, weil sie bereits erhaltene Tantiemen zurückzahlen müssen. Das freut alle freien Journalisten, alle Wissenschaftler – aber die Debatte gerät gerade durch eine dritte Urheberpartei in die Schieflage: Durch eben jene Autoren renommierter Buchverlage, die sich auf die Seite der Verlierer stellen, auf die Gegenseite. Analyse eines fehlgeleiteten Diskurses – mithilfe des vermutlichen strengsten Dialektikers Deutschlands.
„In dem Verfahren ging es um die Frage, ob die Beteiligung von Verlagen an Ausschüttungen der VG Wort mit der aktuellen Rechtslage in Deutschland und in der Europäischen Union vereinbar ist“, fasst das Börsenblatt am 21. April den Urteilsspruch zusammen: „Dies hat der I. Zivilsenat des BGH nun ausdrücklich verneint: ‚Die Beklagte ist nicht berechtigt, einen pauschalen Betrag in Höhe von grundsätzlich der Hälfte ihrer Einnahmen an Verlage auszuschütten.‘ Eine Verwertungsgesellschaft habe die Einnahmen aus der Wahrnehmung der ihr anvertrauten Rechte und Ansprüche ausschließlich an die Inhaber dieser Rechte und Ansprüche auszukehren. Den Verlegern stünden aber, so die Begründung des Gerichts, keine eigenen Rechte oder Ansprüche nach dem Urheberrechtsgesetz zu, die von der VG Wort wahrgenommen werden könnten.“
Es ist verständlich, dass der private Kläger Martin Vogel, der bislang ausschließlich in Wissenschaftsverlagen veröffentlicht hat, den kompletten Ausschüttungsbetrag der VG Wort erhalten möchte, denn er hat den größten Teil der Arbeit geleistet, die Forschung, die Niederschrift seiner Ergebnisse, vielleicht hat er sogar, wie bei Wissenschaftsverlagen üblich, einen Druckkostenzuschuss überweisen und – mir ist das selbst bereits passiert – den später im Wissenschaftsverlag veröffentlichten Text selbst gesetzt. Außerdem legt er sich nicht mit den Ärmsten der Armen an.
Die Steuerzahler müssen dreimal Geld hinlegen, „bevor sie ein akademisches Buch ihr eigen nennen dürfen. Sie zahlen für die Gehälter der Wissenschaftler, die die Bücher schreiben; für die Druckkostenzuschüsse, die häufig aus öffentlichen Förderungsorganisationen stammen, und für das Buch selbst, das sie kaufen wollen“, schreibt Michael Hagner in dem nicht oft genug zu würdigenden Band „Zur Sache des Buches“ (Wallstein 2015, 282 Seiten, 17,90). Es gibt kleine, es gibt große Wissenschaftsverlage. Der größte Wissenschaftsverlag Elsevier hat 2011 einen Umsatz von 2,058 Milliarden Pfund (nach heutigem Kurs 2,64 Milliarden Euro) ausgewiesen. Das ist in etwa so viel, wie Penguin Random House, der größte Publikumsverlag der Welt, im Jahr 2013 umgesetzt hat (nämlich mehr als 2,65 Milliarden Euro). „Pro Jahr erscheinen in seinen 250 Verlagstöchtern ca. 15.000 neue Titel. Mehr als 70 Nobelpreisträger stehen bei Penguin Random House unter Vertrag, darunter Günter Grass, Orhan Pamuk und Mo Yan. Des Weiteren gehören unter anderem Bestsellerautoren wie Dan Brown, Patricia Cornwell, Ken Follett, John Updike und John Grisham zur Verlagsgruppe.“ (Wikipedia).
Der Anlass der Klage von Wissenschaftler Martin Vogel waren die Wissenschaftsverlage. Betroffen sind von dem aus dieser Klage herausgegangenen Urteil aber auch die Zeitungs- und Buchverlage. Dass Zeitungsverlage ihre Urheber inzwischen aufgrund der nicht abebbenden Krise darben lassen, ist bekannt. Einer dieser Zeitungsverlage ist jener, der für Zeit.de verantwortlich ist. 2015 nominierte der Journalistenverband „Freischreiber“ eben diesen Verlag für den „Höllepreis“, den jene erhalten, die besonders unfair mit ihren freien Mitarbeitern umgehen. Pikanterweise sind bei Zeit.de in kurzer Abfolge gleich zwei Texte von Urhebern veröffentlicht worden, die sich auf die Seite der Verlage stellen. Einmal der Kommentar „Ein fatales Urteil“ der in der Zeit-Online-Redaktion angestellten Kollegin und Buchautorin Wiebke Porombka und gestern der offene Brief an den Kläger „Was haben Sie angerichtet, Herr Vogel“, der bei Hanser veröffentlichenden Karen Köhler. Beide sind Pro-Verlag, allerdings Pro-Buchverlag.
Doch sie werden veröffentlicht in einem Zeitungsverlag, eben jenem, der für besagten Höllepreis nominiert war, der also durchaus zu Recht Tantiemen zurückzahlen muss (das Geld bleibt bereits aus, andererseits hat der Zeitungsverlag auch Buchreihen, das war von mir unpräzise formuliert) und deshalb gerade eben nicht für seine Urheberfreundlichkeit bekannt ist.
Update 10:55 Uhr: Zeitungsverlage sind zwar betroffen, aber weniger stark als Buchverlage. Dies hat auch andere Konsequenzen. „Betroffen sei beim BDZV die Akademie Berufliche Bildung der deutschen Zeitungsverlage (ABZV). Wegen der weiterhin ausbleibenden Ausschüttung der Reprogelder an die Verlegerverbände auf Bundes- und Länderebene werde die gemeinsam getragene ABZV voraussichtlich noch vor der Sommerpause die Liquidation anmelden müssen. Das Bildungswerk war Ende der 80er Jahre gegründet worden, nachdem sich die Verlegerorganisationen gegenüber den ausschüttenden Verwertungsgesellschaften verpflichtet hatten, die Zuwendungen ausschließlich für Zwecke der journalistischen Bildung zu verwenden.“ Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Bestsellerautorin Miriam Gebhardt heute auf Twitter, unter meinem Posting: „Das Sowohl-als-auch-Argument stimmt ja nun immer. Es ist für mich vielmehr die Frage, wieviel bekommt ein Urheber von der Vermarktung seines Textes. Meiner Meinung nach geht die alte Rechnung: 10 Prozent vom Netto-Verkaufspreis nicht mehr auf, auch wegen der Verlagspolitik, die immer mehr auf Masse setzt und vier Programme im Jahr unters Volk bringt. Die technischen Rationalisierungseinsparungen bei der Herstellung von Büchern sind ja nie an die Autorinnen und Autoren weitergegeben worden. Selbst eine Hausautorin eines Großkonzerns wie Random House gelingt es nicht ansatzweise, davon zu leben. Deshalb betrachte ich die VG Wort als eine Art Reparatur der asymmetrischen Verhältnisse.“
Niemand will, dass es Hanser schlecht geht. Niemand möchte, dass kleine Verlage wie der Verbrecher Verlag von Jörg Sundermeier (der hier etwas zur Debatte geschrieben hat) oder Mairisch, oder Voland & Quist durch diese Rückzahlungen in Bedrängnis gebracht werden. Aber die Lenkung der Debatte von Seiten der Zeitungsverleger auf die Buchverlage lässt vermuten, dass sich hier beachtete Schriftstellerinnen vor einen Karren spannen lassen, den sie vermutlich gar nicht ziehen wollen.
Um die Art der Lenkung vonseiten der Zeitungsverlage zu verstehen habe ich mir Rat geholt bei dem Philosophen Daniel Pascal-Zorn. Der vermutlich präziseste Dialektiker Deutschlands schreibt eine faszinierende Logikkolumne beim Magazin „Hohe Luft“, zerlegt Populisten auf Facebook mit philosophischen Argumenten (und Querverweisen auf Quentin Tarantino), hat gerade seine zweibändige (!) Dissertation „Vom Gebäude zum Gerüst. Entwurf einer Komparatistik reflexiver Figurationen in der Philosophie“ veröffentlicht und er schreibt außerdem gerade an einem Buch über Konservatismus, für Klett-Cotta. Da ich bekanntlich Systemtheoretiker, Daniel Pascal-Zorn aber Dialektiker ist habe ich ihn in dieser Nach gebeten, die Mechanismen der Debatte aus dem Blick seiner Fachdisziplin zu bewerten. Er schreibt:
„Die grundsätzliche These, die vor Gericht verteidigt wurde, ist diese: Autoren werden von Verlagen in verschiedenen Hinsichten ausgebeutet. Eine dieser Hinsichten ist, dass die VG Wort einen Teil des Geldes, das dem Autor zusteht, den Verlagen zukommen lässt. Dagegen wurde geklagt und die Klage wurde gewonnen. Dieses Urteil hat nun zur Folge, dass Verlage – z. T. rückwirkend – das von der VG Wort erhaltene Geld an ihre Autoren zurückzahlen müssen. Und das wiederum hat zur Folge, dass Verlage, die wirtschaftlich direkt und hauptsächlich abhängig sind von den Zahlungen der VG Wort, durch diese Rückzahlungen und die ausbleibenden zukünftigen Zahlungen wirtschaftlich ruiniert werden. Eben dieses Argument wird nun von Seiten der Verlage auch vorgebracht.
Im Raum stehen also zwei Thesen:
(1) Autoren werden von den Verlagen ausgebeutet
(2) Verlage werden durch die Entscheidung ruiniert
Diese beiden Thesen sind jedoch an bestimmte Bedingungen geknüpft. Denn nicht alle Autoren werden von ihren Verlagen ausgebeutet und nicht alle, die ausgebeutet werden, werden im gleichen Maß ausgebeutet. Diejenigen, die ausgebeutet werden, sind dadurch mehr auf die Rückzahlungen der Verlage angewiesen als andere, die nicht ausgebeutet werden. Richtig ist, dass ihnen das Geld nach dieser Entscheidung zusteht. Aber nicht jeder Autor kann sich in gleicher Weise auf ‚Ausbeutung durch den Verlag‘ berufen.
Gleiches gilt für die Verlage. Nicht jeder Verlag wird durch die Gerichtsentscheidung ruiniert. Wirtschaftlich mächtigere Verlage sind von dieser Entscheidung weit weniger betroffen als wirtschaftlich schlechter stehende Verlage. Die Klage der letzteren in einem Diskurs nach These (2) ist nachvollziehbar: ihre wirtschaftliche Existenz ist ja auch tatsächlich bedroht. Warum haben aber wirtschaftlich mächtigeren Verlage ein so großes Interesse an einem Diskurs nach These (2)?
Dazu müssen wir noch einmal zur ursprünglichen Klage zurückkehren. Diese Klage etabliert einen Diskurs: Die Verlage beuten die Autoren aus. An diesem Diskurs haben Verlage, die ihre Autoren ausbeuten ebenso wenig Interesse, wie Verlage, die ihre Autoren zwar nicht ausbeuten, denen die Etablierung dieses Diskurses aber in irgendeiner Weise einen Nachteil bedeutet. – Die Verlage, für die der in These (2) vertretene Sachverhalt irrelevant ist, können also durchaus immer noch ein Interesse daran haben, den in These (1) vertretenen Sachverhalt im Diskurs zu verhindern.
Nun ist mächtigen Verlagen aber gerade deswegen, weil sie mächtig sind und wirtschaftlich nicht besonders abhängig von den Zahlungen der VG Wort, eine direkte Argumentation nach These (2) versperrt. Wer würde ihnen glauben, wenn sie klagten, das Gerichtsurteil würde ihnen wirtschaftlich schaden? Der Sachverhalt in These (2) ist für sie irrelevant – er lässt sich aber einsetzen, um einen Diskurs zu verhindern, der These (1) folgt. Man platziert These (2) als Red herring, als Ablenkung von These (1) und etabliert einen Diskurs, der – entgegen der ursprünglichen Klage! – die Verlage als Opfer etabliert. Ein solcher Red herring erfüllt damit den Tatbestand einer Täter-Opfer-Umkehrung.
Wie werden diese Thesen platziert? Ganz einfach: Man lässt die Opfer der ursprünglichen These (1) – Autoren werden durch Verlage ausgebeutet – die Täter aus These (1) zu Opfern aus These (2) machen. Der Trick ist aus populistischen Kontexten bekannt: Wenn ein Jude sich über die zionistische Weltverschwörung beklagt, dann kann er doch kein Antisemit sein, oder? Wenn ein Migrant sich über zuviele Ausländer beschwert, dann misst man ihm ein Höchstmaß an Authentizität zu. – Ebenso funktioniert es hier: Der Täter wird zum Opfer gemacht, indem das Opfer den Täter zum Opfer derjenigen Entscheidung macht, die das ursprüngliche Opfer gegen den ursprünglichen Täter angestoßen hat. Am Ende ist der Autor der Täter – und der Verlag das Opfer des gierigen Autors.“
Die Argumentationen von Wiebke Porombka und Karen Köhler sind aus vielerlei Gründen verständlich, erhalten aber durch den Veröffentlichungsort „Zeit.de“ eine seltsame, und für die Debatte exemplarische Färbung. Übrigens verstehe ich als leidenschaftlicher Leser guter Literatur auch die Argumente von Hanser-Verleger Jo Lendle und Verbrecher-Verleger Jörg Sundermeier. Stefan Niggemeier hat auf seiner Seite „Über Medien“ eben hier das Problem ausreichend skizziert. Diskurse funktionieren, das sagte mir Daniel Pascal-Zorn während unseres vorherigen Telefonats, eben so, dass sie allein einen Sachverhalt thematisieren und wenn dieser abgehandelt ist, ist auch der Diskurs beendet. Mithilfe von Autoren versuchen Zeitungsverlage nun, den Diskurs auf einen Nebenschauplatz zu verlagern, und zwar eben so lange, bis keiner mehr über die Wissenschaftsverlage, über die Zeitungen, auch nicht über all jene Belletristikverlage spricht, die niemals für sich in Anspruch nehmen können, die Kultur auf altruistische Weise zu verwalten.
Enno Stahl hat auf Facebook bereits geschrieben: „man müsste dann eben differenzieren zwischen belletristischen und wissenschaftlichen Verlagen, für viele Autoren sind die Konsequenzen ein Horror, die erste hörte ich persönlich heute schon, der Mann hat uns einen Bärendienst erwiesen – danke für nichts, Herr Vogel. Und übrigens: wenn es bald vielleicht gar keine VG Wort mehr gibt, können wir Autoren uns über 100% von nichts freuen.“ – Es wird in dieser Sache versucht, Urheber gegeneinander auszuspielen und die Gegenseite der Verlage dadurch zu schwächen. Das sollten wir, die Urheber, nicht zulassen. Wir sollten den Mut haben, zu differenzieren. Das ist ein abschließendes, ein systemtheoretisches Argument.
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[…] der ausführt, in welcher Weise der Indiebookday Karriere gemacht hat. Sorge bereiten der Szene das VG Wort-Urteil und das Wegbrechen des Mittelfeldes (oder -standes?), also eines Bürgertums, das nicht mehr liest, […]
Hier gibt es ein paar weitere Links
aus der VG WORT-Perspektive: http://wp.ujf.biz/?p=52829
aus der Verlegerperspektive (Jo Lendle): http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article154728834/Frontalangriff-auf-die-Buchkultur.html
aus der AutorInnen-Perspektive (Tanja Dückers): http://www.deutschlandradiokultur.de/vg-wort-urteil-die-autoren-sind-das-schwaechste-glied-der.1270.de.html?dram%3Aarticle_id=353397
aus juristischer Perspektive (Tilman Winterling): http://www.54books.de/bgh-vogel-gegen-vg-wort-teil-2-die-argumente-freebird/
[…] möchte ich heute deshalb einen um Sachlichkeit bemühten Blogbeitrag von Jan Drees mit dem Titel „Warum verbünden sich Schriftsteller mit Verlagen?“ zum Anlass nehmen, ein paar Hintergründe zu erklären und Missverständnisse gerade zu rücken. […]
Sie stellen hier ja eine ganz schön steile These auf, nein, eine (aufgrund der apodiktisch daherkommenden Verallgemeinerung) nachweislich unwahre Behauptung:
„Das freut alle freien Journalisten, alle Wissenschaftler.“
So schwarzweiß ist die Welt nicht, auch wenn manche Ideologen das gerne hätten. Nicht, dass es keine Ausbeuter gäbe in der Verlegerzunft. Man findet sie sowohl an Tageszeitungen als auch in wissenschaftlichen Verlagen, am seltensten in den kleinen Buchverlagen. Es sind aber eben keineswegs allein die Bestsellerautoren, die sich nicht als Opfer böser Verleger sehen. Es gibt auch Journalisten und Wissenschaftler, die die Sache differenziert sehen, die also die Leistung der Verlagsmitarbeiter anerkennen und schätzen.
Mehr dazu in meinem Blog:
http://wp.ujf.biz/?p=52829
Danke für diesen Text. Ich bin gespannt, ob für die Gesetzesänderung auch die Urheber angehört werden oder nur die Verlage.
Dass wir Autoren nicht geschlossen auftreten, macht uns den Verlagen gegenüber so hilflos. Und das wird sich, fürchte ich, auch nicht ändern.
viele dank für die differenzierung, dieser text war mir sehr hilfreich!
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