Mehr Personal als die großen Russen, aber weniger Stil als ein Manufactum-Katalog. Warum Katharina Hackers „Die Habenichts“ nervt.
Als der Deutsche Buchpreis 2005 zum ersten Mal vergeben wurde, gewann Arno Geigers Langweiler-Familiensaga „Uns geht es gut“ gegen Daniel Kehlmanns Bildungsbestseller „Die Vermessung der Welt“. So etwas passiert. Manchmal fallen Kinder kurz nach der Geburt in den Brunnen. Gutmütige Spötter ließen die Entscheidung diese Entscheidung als Anfängerfehler durchgehen. „Beim nächsten Mal wird alles anders.“ Aber diese Prophezeiung sollte sich nicht erfüllen. Im Jahr darauf stand Ilja Trojanows opulenter Reise- und Geschichtsroman „Der Weltensammler“ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Aber es gewannen „Die Habenichtse“ von Katharina Hacker. Niemand kann der Autorin vorwerfen, dass sie für ihre zweitschlechteste Arbeit auch noch ausgezeichnet wird – schlimmer ist nur Katharina Hackers Debütgeschichte „Tel Aviv“. Aber warum habe viele Leser und Kritiker ihr umso frenetischer applaudiert?
Das Buch ist überaus verworrenen konstruiert. Nur mit umfangreichen Lesenotizen kommt da einer durch; und mit ganz viel Kaffee, um nicht einzuschlafen. – Es geht um Isabelle, die ihren Jugendfreund Jakob am 11. September 2001 auf einer Party in Berlin wiedertrifft. Dieses Datum ist in deutschen Romanen ein Warnsignal: Hier will sich (meistens) jemand wichtig machen. Isabelle und Jakob heiraten später und ziehen nach London, wo der Gatte als Anwalt arbeiten kann, weil sein Kollege beim Anschlag aufs World Trade Center ums Leben gekommen ist. Jakob vertritt Opfer, die eine Entschädigung erhalten sollen, weil wahlweise die DDR ihr Grundstück enteignet oder der NS-Staat Opas Haus konfisziert hat. Jakob arbeitet viel. Isabelle langweilt sich sehr. Sie verknallt sich folgerichtig in den animalischen Dealer Jim. Jakob bändelt derweil mit seinem schwulen, jüdischen, alten Chef an. Nach 300 Seiten Blut, Schweiß und Tränen fällt eine Tür ins Schloss.
Wenn man den Plot in ein paar Zeilen rafft, klingt er fast einleuchtend. Tatsächlich ist dieser Roman ein Monstrum. Selten wirkte ein Text derart gebaut und konfus zugleich. Hier ist nichts von Katharina Hackers Kraft aus „Eine Art Liebe“ zu spüren. Es fehlt die Poesie, die ihren großartigen Roman „Der Bademeister“ auszeichnet. – Die Probleme fangen beim unübersichtlichen Personal an. Anfangs tauchen mehrere Dutzend Menschen auf und bis man verstanden hat, wer für die Handlung wichtig ist, sind 1100 Seiten rum, die von Saras, Alexas, Claras, Annegritts, Jims, Bens, Alberts und so weiter bewohnt, aber nicht wirklich belebt werden. Das Katharina Hacker ihren Figuren nichts Spezifisches mitgeben kann, kommt bei jeder Namensnennung die gleiche Frage auf: Wer war das noch mal?
„Die Habenichtse“ ist wie „Wetten, dass…??“ – es wird die die ganze Zeit überzogen. Es gibt den 11. September, Terrorismus, Nazis, DDR, Homosexualität, Unterschicht, Kinder, Tiere. Alles ist irgendwie spiegelbildlich zu sehen. Jede Ohrfeige wird zum Terrorakt, jede Demütigung erinnert an Guantanamo. Was denkt Isabelle beim Anblick einer Platzwunde im Gesicht der kleinen Sara? „Es könnte überall sein, dachte sie, in Bosnien, in Bagdad, es war immer die Gegenseite ihres eigenen Lebens. Als wäre das Maß Leid festgesetzt, nur die Verteilung offen.“ – Das findet noch eine Steigerung, als das gleiche Kind wenig später von ihrem Kind Jim verprügelt wird: „Jim trat Sara leicht mit der Schuhspitze, einmal, ein zweites Mal, als prüfe er einen Gedanken.“ Hätte nur jemand das Manuskript geprüft und dagegen getreten .
Katharina Hacker: „Die Habenichtse“, Fischer TB, 308 Seiten, 9,90 Euro