Ob Kommunismus, Kapitalismus, wer auch immer: Alle versprechen ihre „Legende vom Glück des Menschen“. Peggy Mädler macht aus diversen Heiligen kurzerhand Scharlatane.
„Was das alles bedeuten kann, ein glückliches Leben zu führen. Da hat jemand etwas richtig gemacht, sagt man gern. Oder einfach nur Glück gehabt.“ Lebensklug zeigt sich die 1976 geborene Dresdnerin Peggy Mädler in ihrem hoch gelobten Debüt. Da findet eine junge Frau im Nachlass der verstorbenen Oma einen DDR-Fotoband, der die „Legende vom Glück des Menschen“ erklären will. Man muss sich das als eine sozialistische Handlungsanweisung vorstellen, die auf der grauen Seite des Eisernen Vorhangs zeigen will, was in den USA seit 1776 „The Pursuit of Happyness“ heisst – das gesetzlich verankerte Recht eines jeden US-Amerikaners, nach „Glück“ zu streben.
Wie streben Menschen nach Glück? Die Erzählerin erinnert sich: Wie ihre Oma ausgerechnet Gott im Himmel für eine lächerliche Erfindung gehalten hat, „aber den Teufel sah sie in jedem Detail.“ Sie schildert das Leben ihrer Grosseltern, die sich vorm Krieg in gesundem Zustand kennen- und nach dem Krieg stark verletzt, geschunden, neu kennengelernt haben. Das Leben ist hier in der Tat ein „hakenschlagendes Karnickel“. Was heute galt, ist morgen falsch.
„Ich ahnte nicht“, schreibt die Erzählerin, „dass ich mich einmal dafür schämen würde, beim Appell am Montagmorgen die flatternde Fahne gehalten zu haben.“ In diesem Roman zerbrechen Staaten (Deutsche Reich, die DDR), Ideale (Nationalsozialismus, Kommunismus), Rituale (Deutscher Gruss und Fähnchenschwenken im blauen Hemd der FDJ). Jeder Staat, jedes Ideal, jedes Ritual behauptet, Glück schaffen zu können. Die Art und Weise, wie Peggy Mädler diese Glücksversprechen auseinandernimmt und literarisch zu einer ganz eigenen Legende verarbeitet ist rührend und über alle Maßen einfallsreich.
Es verwundert nicht, dass Peggy Mädler multibegabt ist, nachdem sie Wohnungen im Roman mithilfe eines Topfschlagen-Spiels beschrieben hat: Im Anschluss an ein Studium der Theater-, Erziehungs- und Kulturwissenschaften in Berlin arbeitete die Autorin seit 2000 als freischaffende Dramaturgin und Autorin für Theaterproduktionen und Dokumentarfilme. Sie hat eine Doktorarbeit über „Die Inszenierung von Arbeit und Geschlecht in Theatertexten der DDR und durch ostdeutsche AutorInnen nach 1990“ verfasst, Stipendien gewonnen und gemeinsam mit Julia Schleipfer das „Labor für kontrafaktisches Denken“ gegründet.
Kontrafaktisches Denken! Das klingt absichtlich abgehoben und ist ein Zweimann-Kunstprojekt, das Filme, Ausstellungen, „Picknicks für den Weltfrieden“ organisiert und fest glaubt, dass es mehr als eine Wirklichkeit geben muss. „Realität ist selten so, wie man sie haben will. Vor allem in der Liebe nicht. Es gibt zu viele Realitäten gleichzeitig. Immer funkt eine andere dazwischen, wenn es gerade gut zu laufen scheint.“ So steht es auf der Homepage, als Skizze für einen Filmessay – Seite an Seite mit dem abgeschlossenen Projekt „Weinen für die Polkappen“ und der ebenfalls präsentierten Aktion „Du bist ein weißer Fleck auf meiner Landkarte“, bei der Peggy und Julia regelmäßig wildfremde Menschen bekochen, die zufällig in der Fußgängerzone an ihnen vorbeigehen.
„Wir glauben an die Existenz paralleler Wirklichkeiten“, schreiben die Damen. „Und damit sind nicht außergalaktische Lebensformen gemeint, sondern der Bademeister aus dem Schwimmbad, die Oma von nebenan, die Verkäuferin aus der Bäckerei unten vorm Haus.“ Was das alles mit dem Roman „Legende vom Glück des Menschen“ zu tun hat? – Glück, das zeigen die Geschichten, ist relativ und kann nicht von Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus oder auch Katholizismus vorgeschrieben werden. Glück läuft an uns vorbei. Wir müssen es ansprechen. Wir müssen es festhalten. Wir sind frei. Kann Kunst eine schönere Botschaft haben?
Peggy Mädler: „Legende vom Glück des Menschen“, Galiani, 210 Seiten, 16,95 Euro