Morgen beginnen die 30. Olympischen Spiele in London. Bis zur Schlussfeier am 12. August werden dann Helden auserkoren, in sage und schreibe 302 Wettbewerben. Die Sieger, soviel steht jetzt schon fest, werden mit Medaillen geehrt, mit Sponsorenverträgen entlohnt.
Schon bei den vergangenen Olympischen Spielen 2008 in Peking haben 4,4 Milliarden Fernsehzuschauer weltweit die Liveübertragungen verfolgt. Olympische Spiele – das ist eine Rekordveranstaltung, in vielerlei Hinsicht. Welchen Weg der Sport vom antiken Olympia zum Massenphänomen des 21. Jahrhunderts genommen hat, wird nun in einem umfangreichen Sachbuch dargestellt. Wolfgang Behringer, Geschichtsprofessor am Lehrstuhl Frühe Neuzeit an der Universität des Saarlandes, hat eine „Kulturgeschichte des Sports“ verfasst, die erzählt von: ringenden Philosophen, fechtenden Staatsoberhäuptern – und Sportmetaphern in der Heiligen Schrift.
Wie selbstverständlich jubeln wir inzwischen den Spitzensprintern auf der Tartanbahn zu, den Besten, der Besten. Höher, schneller und weiter sollen die Athleten kommen. Doch: Wann begann die Glanzzeit der heroischen Medaillengewinner? In Paris, 1900, waren die Olympischen Spielen noch versteckt im Rahmenprogramm der gleichzeitig stattfindenden Weltausstellung. An ein Mega-Event mit mehreren Milliarden Zuschauern weltweit – war damals nicht im Ansatz zu denken.
„Die sehr erfolgreichen Schweizer Schützen erfuhren erst Jahre später, dass sie Olympiasieger geworden waren, die US-Golferin Margret Ives Abbott, die mit ihrer Mutter zum Besuch der Weltausstellung und zum Kunststudium nach Paris gereist war, wusste bis zu ihrem Lebensende nicht, dass sie bei Olympia gewonnen hatte – denn es gab noch keine formelle Registrierung, Nationalmannschaften oder Siegerehrungen mit Überreichung von Urkunden und Medaillen.“
im Damen-Tennis unterlag die einheimische Mannschaft den Amerikanerinnen. Die Französinnen wollten auf dem Tennis-Court gut aussehen – und traten deshalb in hochhackigen Schuhen und Haute Coutuire an. Unbekannte Anekdoten wie dieses listet das fast 500-seitige Werk von Wolfgang Behringer auf. Zugleich zerstört es allbekannte Sportgeschichten. So hat Sir Winston Churchill niemals zum Sportverzicht aufgerufen. „Sport ist Mord!“ soll er angeblich gesagt haben, ebenso „First of all: no sports!“. Dafür gibt es weder Belege, noch sind solche Aussagen des britischen Premier wahrscheinlich. In seiner Jugend war Churchill nämlich ein erfolgreicher Fechtmeister – und bis ins höhere Alter ein begeisterter Polo- und Golfspieler. Diese Bewegungsbegeisterung teilt der berühmte Politiker und Nobelpreisträger mit vielen weiteren Geistesgrößen:
„Der antike Philosoph Platon nahm in seiner Jugend an den Isthmischen Spielen teil und war ein preisgekrönter Ringer. Der Begründer der modernen Physik Sir Isaac Newton zeigte noch im hohen Alter gerne seinen Bizeps vor und erinnerte an seine Zeit als erfolgreicher aktiver Boxer.“
Freilich geht es Behringer um mehr, als um hübsch arrangierte Anekdoten. Der Historiker hat akribisch recherchiert; in mittelalterlichen Handschriften und in Regelwerken aus dem 17. Jahrhundert. Er zitiert Bücher wie das „Curiöse Reit-, Jagd-, Fecht-, Tanz- oder Ritter-Exercitien-Lexicon“ von 1742, ebenso das „Turnbuch für die Söhne des Vaterlandes“ von 1813. Behringer gibt den Antiken Olympischen Spielen Raum, ebenso den Ritterturnieren der Höfischen Klassik. Und keineswegs zu kurz kommt König Fußball – der einen langen Weg hinter sich hatte, bis zum durchreglementierten Massenspektakel.
„Eine um 1200 entstandene Chronik berichtet von einer Fußballschlacht zwischen zwei Dörfern in Flandern Anfang des 11. Jahrhunderts auf einer breiten und ebenen Wiese. Wie die Steinschlachten dauerte der mittelalterliche Fußball von morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit. Weder war die Anzahl der Teilnehmer begrenzt, noch gab es große Beschränkungen beim Körpereinsatz – nur Mord und Totschlag waren verboten.“
Als Tore dienten damals, falls vorhanden, die Stadttore. Von Völkerverbindung und Frieden war zu jener Zeit wenig zu spüren. Heutzutage dagegen prägt der Sport das gesamte, moderne Leben. So zählt ein amerikanisches Lexikon über 1700 Sportmetaphern auf. Und Politiker lassen sich besonders gern während des Joggings ablichten. Vorhaben werden erfolgreich durchgeführt wenn man wie beim Reiten „fehlerlos über den Parcours“ kommt. Abseits, Auszeit, Eigentor, Fair Play – solche Begriffe fallen nicht nur auf Sportplätzen. Selbst im biblischen Korintherbrief hat der Apostel Paulus mit Metaphern aus dem Lauf-, und Kampfsport seine Anhänger überzeugt:
„Ihr wisst doch, dass von allen Läufern bei einem Wettkampf im Stadion nur einer den Siegeskranz bekommt. Darum lauft so, dass ihr ihn bekommt!Jeder Wettkämpfer verzichtet auf viele Dinge -, nur um einen vergänglichen Siegeskranz zu bekommen. Wir aber werden einen unvergänglichen erhalten. Darum laufe ich nicht wie ins Blaue hinein und kämpfe nicht wie ein Faustkämpfer, der Luftschläge macht, sondern ich treffe mit meinen Schlägen den eigenen Körper und mache ihn mit Gewalt gefügig.“
Die inhaltliche Breite des Projekts macht Wolfgang Behringers „Kulturgeschichte des Sports“ zu einem faszinierenden Lesevergnügen. Denn geradezu mühelos gelangt er vom ringenden Platon über den predigenden Sportfan Paulus zu den 30. Olympischen Sommerspielen 2012. Besser kann man sich kaum auf die Wettkämpfe der kommenden Wochen vorbereiten.
„Kulturgeschichte des Sports – Vom antiken Olympia bis ins 21. Jahrhundert“, Wolfgang Behringer, C.H. Beck, 498 Seiten, 24,95 Euro
[…] “Tooooor! Tooor! Tooor!” – über Behringer, Wolfgang (2012): “Vom antiken Olympia bis ins 21. Jahrhundert […]