Als „Verwandlungen“ bezeichnet Manon Hopf ihre neuen Gedichte. Wer beim Band „Hier steht dein Mensch“ an Ovids „Metamorphosen“ denkt, liegt keinesfalls falsch. Näher kommt man dieser Lyrik aber mit Gilles Deleuze’ und Félix Guattaris „Tier werden“-Konzept in „Tausend Plateaus“.
Tiere sind komplett anders als Menschen. Diese Auffassung galt jahrtausendelang. Ludwig Wittgenstein mutmaßte, dass wir den Löwen selbst dann nicht verstünden, wenn er sprechen könnte. Elias Canetti erschienen Tiere merkwürdiger als wir, weil sie ebenso viel erleben, es aber nicht sagen können. „Ein sprechendes Tier wäre nicht mehr als ein Mensch.“ Martin Heidegger wertete Tiere als „weltarm“ ab. Inzwischen hat sich das Bedeutungsgeflecht zwischen Tier und Mensch weiter aufgespannt.
Die sogenannten „Animal Studies“ erkennen im Tierreich eine unerschöpfliche philosophische, anthropologische und psychologische Ressource. Die Literatur bedient sich freimütig. Man denke nur an Marcel Beyers ornithologischen „Kaltenburg“-Roman, an Teresa Präauers „Oh Schimmi“-Affentext oder zuletzt an Eva-Maria Leuenbergers Lyrikreigen „die spinne“. Letzterer hat eine gewisse Verwandtschaft zum neuen Buch der nur ein Jahr älteren Kollegin Manon Hopf. „Hier steht dein Mensch“ heißt ihr Band, und er will:
„von andren tieren lernen: / befehle ignorieren / langsam sein / arbeit verweigern / streiken / außerplanliche pausen erzwingen / equipment zerstören / auch gehege / steine schmeißen / zurückschlagen / ausbrechen und wegrennen / alles zur richtigen zeit // auch das von andren tieren lernen: / das wort so lange im mund halten / bis es sauer wird / und dann ausspucken“
Endlich wieder Tier-Werden
Bei Manon Hopf wird das lyrische Ich zum Tier, aber ganz anders, als sich Gregor Samsa bei Kafka in ein ungeheueres Ungeziefer verwandelt. Das lyrische Ich, das Manon Hopf vorstellt, nähert sich absichtlich der Sphäre des Animalischen, obwohl, vielleicht auch weil es sich so an Grenzen begibt. Diese besondere Art des „Tier-Werdens“ erinnert an die tierimitierenden Yoga-Positionen. Sie geht ebenso zurück auf den französischen Philosophen Gilles Deleuze, dessen 100. Geburtstag in diesem Januar posthum begangenen wird. Ein „Tier-Werden“ im Sinne Deleuze’ heißt, dass man sich zu den Rändern unserer Wahrnehmung begibt, unserer Normen, Werte und selbstverständlich auch: der Sprache. Das Ich bei Manon Hopf möchte genau das:
„grenzen stören gehen / den rand in besitz nehmen // [mich] im unheimlichen einrichten / auf der schwelle treten / bleiben dem winzigen riss / tief in den rachen blicken: auch im nichts / gibt es ein wort durch die ritze murmelnd / geflüstert // wo sind die totzonen der sprache welche arten leben dort“
Eröffnet wird dieser dreiteilige Zyklus aufbruchsgestimmt: „vor all der gewalt ins tier fliehen“ strebt dieser Text an, der sich hypnotisch liest, wie ein Gedankenstrom oder eine religiöse Schrift, wie christlich-jüdische Psalmen oder muslimische Suren. Im Austausch mit einem ebenfalls nicht näher definierten „Du“ begibt sich Manon Hopfs Figur auf die Reise. Sie probiert Identitäten aus, Sprechmodi, Anrufungen: „mache es wie blumen / habe geduld mit der erde und gehe / mit der sonne“
Das Meer entküsten
Das mag esoterisch klingen – und die gelegentliche Undeutlichkeit der hier vorgestellten Bilder macht den Interpretationsraum weiter, als er sein müsste. Doch Uneindeutigkeiten, auch das Unbehagen gehören zu einer jüngeren Generation, die auf permanenter Suche nach neuen Verbindungen ist, ob sie nun pansexueller, transhumaner oder genderfluider Natur sind. „für dich den wind einschließen / die wolken platzen / lassen das meer entküsten“
Manon Hopfs Band birst vor ozeanischem Begehren. Er will das Meer entküsten, etwas explizit „anders sein lassen“ und neue „ent / bindungen“ eingehen. Die verwendeten Vokabeln sind einfacher Natur. Der Neologismus „pheromond“ dürfte das fremdartigste Wort dieses Triptychons sein, eine Zusammensetzung aus dem Pheromon, dem Lockstoff und dem ebenfalls lockenden Himmelskörper. „dem mond ein ständchen ein kleines / stelldichaus und stelldich / nicht so an“
Honigsüße Träume
Es ist also viel enthalten, auch Zeilen, die an Kalauer erinnern. Das formal Verbindende sind die extrahäufig verwendeten Enjambements, die nicht immer ganz schlüssigen Umbrüche inmitten eines Gedankens. Und doch erscheint literarisch rührend, wie hier gesucht und gestochert wird, ersehnt und probiert, wie Grenzen eingerissen werden und wie das größte Gefühl am Ende dennoch klingt, als sei es eine Variation des biblischen Hoheliedes „reibe dich mit meinen augen / ein für honigsüße träume / mein psalm ist das pssst eines auf deinen wimpern / gezupften lieds“
Als „Verwandlungen“ bezeichnet Manon Hopf ihre Lyrik. Ovids „Metamorphosen“ wird angespielt, im angehängten Quellenverzeichnis gleich sechsmal erwähnt; doch an keiner Stelle findet sich Gilles Deleuze’ und Félix Guattaris „Tausend Plateaus“. oder das mittelalterliche „Falkenlied“ des Kürenbergers. Aber auch sie stecken in diesem Band, möglicherweise nur indirekt, hineingeschwemmt von der Tradition selbst. Mit „Hier steht dein Mensch“ schreibt sich Manon Hopf ein in den Sagen- und Forschungskreis der Animal-, ebenso der Gender Studies. Darin steckt die radikal-konstruktivistische Sehnsucht, weder nach dem Ursprung noch nach Wurzeln zu suchen. Es ist eine Lyrik, die – Zitat – „in flüssen denken“ will und bei all dem Neuen doch einen uralten Wunsch hat: dass das Ich auch mal etwas Anderes sein darf.
Manon Hopf: „Hier steht dein Mensch. Verwandlungen“, Hochroth Verlag, Heidelberg, 54 Seiten, 10 Euro