35 Jahre „Shining“. Zeit, sich zu fürchten – mit vier Thrillern, die Pagerturner-Qualitäten haben. Knallharte Spannung mit Zoran Drvenkar, Lisa Gardner und Christopher G. Moore.
EINS Der Mörder hat sein Opfer gepackt, in eine Wohnung verschleppt und sie dort mit einem vierzig Zentimeter langen Nagel durch die Stirn an die Wand gepfählt. Der atemraubende Thriller „Sorry“ erzählt von der Hatz eines Wahnsinnigen. Dieser Wahnsinnige ruft nach seinem ersten Mord bei einer so genannten „Entschuldigungsagentur“ an und bittet die Kollegen, in eine Wohnung zu fahren, dort warte eine Frau, die ihm verzeihen sollte – er habe sie umgebracht. „Sorry“ heisst die Agentur. Sie besteht aus vier jungen Menschen, die ihr perspektivloses Leben zum Guten wenden wollen, die im Namen ihrer feigen Kunden zu geschädigten Ex-Angestellten und Ex-Freunden fahren, dort um Verzeihung bitten.
Die Entschuldigungsprofis können allerdings nicht ahnen, in welche Hölle sie nun kurzerhand gestoßen werden – einer Hölle, die so viel barmherziger konstruiert ist als die Gruben und kleinen Abgründe, in die sie bisher hinabschauen mussten. Der Mörder will sich rächen. Aber wofür? Lange ist unklar, was diesen Getriebenen angetan worden ist, welches Trauma einen Menschen in ein wild jagendes Tier verwandelte und warum er ausgerechnet „Sorry“ instrumentalisiert, um seine Wahnsinnstaten rein zu waschen. Zoran Drvenkar hat das Drehbuch für Detlev Bucks brutalen Kinofilm „Knallhart“ geschrieben und jetzt mit einem wesentlich härteren Thriller nachgelegt. Vor wem soll man sich mehr fürchten – vor dem Mörder oder den nächsten Geschichten dieses kompromisslosen Schriftstellers? (Zoran Drvenkar: „Sorry“, Ullstein, 400 Seiten, 19,90 Euro / die gekürzte Lesung ist bei Downtown erschienen, mit dem vom Hersteller empfohlenen Alter „ab 16 Jahre“)
ZWEI Die 23-jährige Lehrerin Sandra Jones, Mutter einer vierjährigen Tochter, verschwindet unter zweifelhaften Umständen. Schnell glaubt die weibliche Ermittlerin Sergeant Warren, in Sandra Ehemann Jason, einem nur vordergründig unscheinbaren Lokaljournalisten den Mörder seiner eigenen Gattin zu erkennen. In einem Dickicht aus Halbwahrheiten, falschen Fährten, Drohungen und immer neu fließendem Blut, vertuschten Misshandlungen und enttäuschten Lieben versucht Warren, den oder die Täter zu identifizieren. „Leider gab es zu viele Personen, die sie hätte unter Druck setzen müssen. Zum Beispiel Ethan Hastings. Dreizehn Jahre, erschreckend schlau und hoffnungslos verknallt in seine vermisste Lehrerin. Angehender Schürzenjäger oder ausgeflipptes Teeniemonster? Dann war da Aidan Brewster, vorbestraft, weil er mit eine Minderjährigen geschlafen hatte.“ Es ist atemraubend, wie Lisa Gardner nahezu jeder Figur in ihrem knallharten Thriller
mehrere Biografien, andichtet und einen kompletten Vorort in gefährliches Terrain verwandelt. (Lisa Gardner: „Ohne jede Spur“, übersetzt von Michael Windgassen, Rowohlt, 544 Seiten, 9,99 Euro)
DREI „Ein schmutziger Sieg ist besser als eine saubere Niederlage.“ Diese bittere Erkenntnis kommt Privatdetektiv Calvino während seiner düsteren Ermittlungen in Bangkoks Unterwelt. Christopher G. Moore lässt seinen geschundenen Helden dieses Mal im Milieu der Massagesalons ermitteln. In einem dieser Schuppen, dem „One-Hand-Clapping-Massagesalon“ direkt unter Calvinos Detektei wird eine Bedienstete nackt mit aufgeschnittenen Pulsadern gefunden – und schon bald erkennt Calvino einen Zusammenhang zwischen der Toten und seinem an gleichen Abend ermordeten Klienten, für den er einen Medikamentenskandal recherchieren sollte. Es tauchen von eifersüchtigen Ehefrauen über den mächtigen Wirtschaftsboss mit Untergrund-Kontakten bis zum mordverdächtigen Karriere-Kollegen im Edelzwirn eine Menge klassischer Genrefiguren auf. Doch das heisst nicht, dass Christopher G. Moores thailändisches Abenteuer mit abgedroschenen Szenen punktet. Keineswegs. „Der Untreue-Index“ ist vielschichtig, wendungsreich, zynisch und auf faszinierende Weise brutal – irgendwie ein „schmutziger Sieg“.
Aber was bei Privatermittlungen stimmt, gilt auch für Thriller. Fantastisches „hard boiled“-Abenteuer. (Christopher G. Moore: „Der Untreue-Index“, übersetzt von Peter Friedrich, Unionsverlag, 360 Seiten, 16,90 Euro)
VIER ”Dass Du paranoid bist heißt nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.” Im Hörbuch von Zoran Drvenkars Thriller “Du bist zu schnell” wird der Spruch traurige Realität, weil die Heldin Val im Wahn glaubt, dass ihre Clique durch “die Schnellen” bedroht wird. Und es kommt zum Mord. Gegen bestimmte Psychosen sind die stärksten Psychopharmaka machtlos. Das Schockierende: Vals wollen ihr nach dem ersten Todesfall helfen, die Schnellen ausfindig zu machen – anstatt sie in die nächstbeste Nervenheilanstalt einzuweisen. Damit nimmt ein viel größeres Unglück seinen Lauf, übrigens im wahrsten Sinn des Wortes: “Du bist zu schnell” ist ein atemlos rasanter Roman, den man wirklich am besten hört – Hochspannung par excellence.
Zoran Drvenkar: “Du bist zu schnell” (gekürzt). Gelesen von Susanne Wolff, Felix Knopp, Hans Löw: Hörbuch Hamburg, 4 CDs, 313 Minuten, 19,95 Euro / Der Roman erscheint bei Klett-Cotta, 290 Seiten, 19 Euro