Einfach fliehen? „Wir zwei allein“ – so lautet die Wunschvorstellung eines 29-jährigen, frisch verknallten Paares. Doch Matthias Nawrats umfeiertes Debüt ist keine Kitschromanze. Dafür ist es viel zu ironisch gemacht.
Eigentlich hat der 29-jährige Freiburger beschlossen, langsam in Vergessenheit zu geraten. Er will sein Leben auf Sparflamme dimmen. Statt seine Karriere anzuschieben, fährt er Gemüse aus. Abends versucht er, zu Hause zu bleiben. Für ihn „schläft ein Tod in allen Dingen.“ Er will keinen zweiten Sessel besitzen, „Besitz abstoßen, Bekanntschaften einschränken, jede Tätigkeit in Anführungszeichen setzen. Es sind die anderen, die arbeiten, erziehen, sparen. Unsereins sinkt in die Geschichte zurück wie ein Stein.“ Er wirkt melancholisch.
Doch dann tritt die gleichaltrige Theres in sein Leben, ganz leise, „als ob sie nur ein Luftzug von draußen wäre“. Sie fühlt auf ähnlicher Ebene wie ihr neuer Liebhaber – macht jedoch mehr aus ihren Möglichkeiten. Theres malt Miniaturen, so klein, dass sie bald ein Mikroskop brauchen könne. Sie ist verträumt, stellt sich vor, im Schauspielkostüm zu essen, zu schlafen, unter die Dusche zu gehen. Bei ihr schläft nicht ein Tod in allen Dingen – sondern das aufregende Leben. Dennoch kommen Theres und der melancholische Gemüseauslieferer zusammen. Auch in ihm scheint sie Leben entdeckt zu haben.
Der Puls verlangsamt sich. Der Alltagsstress vergeht. Die laute Welt entfernt sich. Matthias Nawrats erholsames Debüt ist perfekte Flucht vor allem Schnellen, Hektischen, Schrillen und Grellen – vielleicht gerade deshalb mit sehr vielen Preisen ausgezeichnet. Sein Liebespaar ist denkbar weit von wummernden „Leider geil“-Lyrics entfernt.
Während das Video von Deichkind viele Menschen in peinlichen Extremsituationen zeigt, der Song sich selbst, die Zeilen preist, kommt „Wir zwei allein“ ohne großes Personal, ohne riesige Ausschläge nach oben oder unten aus, ohne Euphorie. Gerade das ist eine irrlichternde Stärke des Buchs. Es ist das nachgezeichnete Kennenlernen von zwei Geistesverwandten.
Wenn es nach dem Helden ginge, würden sie gemeinsam nach Südamerika reisen, in den „Dschungel im Amazonasbecken. Niemand wird uns dort finden“. Dieses zurückgezogene Leben wird in Sachbüchern seit Jahren gepriesen. Überall gibt es diese „Simplify your life“-Forderungen, das ständige Gerede von Offline-Alltag („Ohne Netz: Mein halbes Jahr offline“), von heilsamer Armut („Der Mann ohne Geld: Meine Erfahrungen aus einem Jahr Konsumverweigerung“) vom Globalisierungsoverkill („Ein Jahr ohne Made in China: Eine Familie ein Boykott – ein Abenteuer“).
Deshalb ist „Wir zwei allein“ mehr als ein Liebesroman. Es ist eine leise Satire auf antimoderne Strömungen, die in jeder Generation auftauchen. Eine päpstliche Verordnung aus dem Jahr 1838 verbot Gasbeleuchtung für den Kirchenstaat, weil diese eine „Erfindung des Teufels“ sei. Aus dem gleichen Grund wurden bereits Dampfschiffe abgelehnt (vom Niederländer Willem de Clercq – weil Dampfschiffe nicht wie Segelschiffe durch Gottes Wind angetrieben werden), der Blitzableiter (weil die Entladung des Blitzes Gottes Wille ist) und die Eisenbahn (die Schulaufsichtsbehörde in Ohio nannte sie Satansmaschinen, um unsterbliche Seelen in die Hölle zu locken). Manch einer ging lieber zu Fuß, kenterte in seiner Barke, fürchtete sich weiterhin vorm Gewitterschlag.
Dieses „Simplify“-Dasein, diese Ablehnung aller Erfindungen hat seine Tücken. Deshalb stößt auch das 29-jährige Paar an Grenzen. Stillstand bedeutet Tod. „Theres kauft nichts mehr ein. Sie geht nicht mehr in ihre Werkstatt. Sie isst nichts mehr, und wenn doch, dann schmeckt es wie Sand, Zement, Wurzelbrei. Sie wäscht sich nicht mehr.“ Das kann man melodramatisch lesen, oder als urkomische Antwort auf die Weniger-Sucht angeekelter Superkapitalisten. Wer sich für die zweite Variante entscheidet hat bei diesem wunderbaren Debüt doppelt Spass. Die ironisch verzopften Möhren auf dem Cover“ könnten ein erster Hinweis sein.
(Matthias Nawrat: „Wir zwei allein“, Nagel & Kimche, 192 Seiten, 17,90 Euro)
[…] geben. Denn wovon sollen wir Klimpergeld haben, wenn nicht vom Unternehmertum?“ Matthias Nawarat („Wir zwei allein“) schildert in seinem zweiten Roman „Unternehmer“ eine Kindheit unter marktliberalen […]