„Absolute Beginners“ gilt als britisches Gegenstück zum amerikanischen Coming-of-Age-Bestsellers „Fänger im Roggen„: Colin MacInnes hat 1959 die Teenagerkultur in Soho und dem damals noch heruntergekommenen Notting Hill portraitiert. Jetzt, 54 Jahre später, gibt es das Buch endlich in einer vollständigen, unzensierten, unveränderten Übersetzung.
Das waren übersichtliche Zeiten, Ende der 50er Jahre in London, als Teenager und Teddy Boys um das Vorrecht auf der Straße kämpften. Bereits zwanzig Jahre später gab es Punks, Gothics, Popper, Rocker, Hooligans, Metaller et cetera. Mit den 50ern fing das alles an. Zum ersten Mal hatten junge Menschen Geld, konnten Platten kaufen, Eintritte in Nachtclubs bezahlen, ihren eigenen, kostspieligen Klamottenstil zusammenstellen: „die grauen spitzen Slippet aus Krokodilleder, das Paar neonpinker, knöchelhoher Nylonsocken, meine Cambridge-blaue enganliegende Jeans, ein vertikal gestreiftes Hemd, aus dem die Kette mit einem Glücksanhänger herausblitzte, und das italienisch geschnittene, arschkurze Sakko.“
So beschreibt sich der bald 19-jährige Teenagerheld aus Colin McInnes „Absolute Beginners“, einem dokumentarischen Roman über den Londoner Sommer 1958, der in die Rassenunruhen von Notting Hill gipfelte. Dieser namenlose, leicht aufgekratzte Typ arbeitet als freiberuflicher Fotograf, portraitiert die Schwulen und Transvestiten, die Drogendealer, Zuhälter und Jazzfreaks in Soho und Notting Hill. Er ist unglücklich verliebt in seine zauberhafte Exfreundin mit dem fürchterlichen Namen Crêpe Suzette. Er wohnt allein und trifft sich manchmal mit seinem schwerkranken Vater. Er will auf eigenen Füßen stehen.
Einen Sommer lang zeigt der Roman in schnellen Schnitten und sehr schnodderiger Sprache, wie einer der ersten Teenager der Welt auf das Erwachsenwerden zugeht: Ohne Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, ohne Klassenbewusstsein, ohne Protestwillen. Sexualität, Geschlecht, Rasse spielen bei den hedonistischen Teenagern keine Rolle. – Ihnen gegenüber stehen die nationalistischen Teddy Boys, die Ihre Männlichkeit in Messer- und Eisenkettenkämpfen beweisen müssen, die Notting Hill gentrifizieren wollen (ohne freilich das Wort zu kennen), die nichts wissen wollen von den verarmten Schwarzen aus den britischen Kolonien.
Interessanterweise war die Verlagswelt 1959 nicht so weit wie Colin MacInnes Teenagerheld. Die erste Fassung war schon im Original zensiert. In Deutschland kam 1986 eine stark veränderte, zweite Übersetzung heraus, die an den Musicalfilm mit David Bowie angelehnt ist. Das Buch war lange in beiden Fassungen vergriffen. 54 Jahre nach Erscheinen gibt es endlich eine anständige Übersetzung im neu gegründeten Metrolit-Verlag aus Berlin. Nun kann jeder selbst entscheiden, ob das sehr in seiner Zeit verhaftete „Absolute Beginners“ an den zeitlosen amerikanischen Klassiker „Fänger im Roggen“ heranreicht. Darüber wird noch zu diskutieren sein…
Die Querverweise
Es gibt viele Jazzromane, man hat fast den Eindruck, es gäbe mehr Jazz- als Rockmusikbücher. Den glänzenden Anfang macht Hans Janowitz, Autor des Films „Das Cabinet des Dr. Caligari“ bereits 1927 mit dem Roman „Jazz„, der vor einiger Zeit inklusive Musik-CD bei Weidle erschienen ist. Neueren Datums ist dagegen der in Berlin spielende Jazz-Breakbeat-Roman „Slumberland“ vom New Yorker Paul Beatty. Interessant ist die in vielen Jazzbüchern vorkommende Darstellung des schwarzen Musikers als Hipster (in „Absolute Beginners“ taucht eine Figur mit dem schönen Namen „Cool“). Dieses schwarze Hipstertum wird von den „White Negros“ kopiert, der Film „Black & White“ hat es brillant gezeigt, der Suhrkamp-Autor Thomas Meineke in „Musik“ thematisiert. Ein altes Spiel – in „Absolute Beginners“ eindrücklich gezeigt im Gegensatz der schwarz inspirierten „Teenager“ und den weißen „Teddy-Boys„.
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