Stoned zum Fünfjahresplan

Um den Sozialismus mit Devisen zu versorgen, bildet eine Apparatschik-Clique Anfang der 1980er das erste Drogenkartell der DDR. Jakob Hein erzählt in seinem neuen Roman, „Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste“ und entwirft eine bekiffte Alternativerzählung über den noch heute rätselhaften Kreditvertrag zwischen Franz Josef Strauß und Alexander Schalck-Golodkowski.

„Mein Arbeitsplatz – Mein Kampfplatz für den Frieden!“ tönt die DDR-Einheitspartei, während ihre Wirtschaft den Bach runtergeht. Dass dem real existierenden Sozialismus nicht zu helfen ist, erfährt vor über 40 Jahren auch Genosse Grischa, der mit einer verwegenen Idee den Weltfrieden herbeiführen will. Grischa ist Absolvent der „Hochschule für Ökonomie Bruno Leuschner“ und Neuling in der Staatlichen Planungskommission. Dort will er sein Wissen im Dienste des Sozialismus einsetzen, und schnell erkennt der junge Mann, dass es ein Wirtschaftsgut gibt, mit dem das sozialistische Bruderland Afghanistan die DDR bereichern kann – und das, obwohl sein Vorgesetzter insistiert: „Die Afghanen haben nichts. Man könnte es so zusammenfassen: Die wollen alles und haben nichts. Die hätten von uns gern Bücher und Maschinen und Fahrzeuge und Konsumgüter und Dünger und alles, was wir sonst noch produzieren. Aber sie haben: nichts.“

Ein Teil der NATO ist bekifft

Tatsächlich prosperiert in Afghanistan die Landwirtschaft, was auch der Vorgesetzte weiß. Die findigen Bauern trotzen dem kargen Gebirgsland in erheblichem Umfang Drogen ab – Schlafmohn und Hanf, die pflanzlichen Grundlagen für die Rauschgifte Heroin und das deutlich weniger gefährliche Haschisch. Grischa entwirft einen heiklen Plan. Den Afghanen soll das Dope gegen Lkws und Töpfe aus DDR-Produktion abgekauft werden, allerdings nicht, um die klassenkämpfende Bevölkerung zu sedieren, sondern um das Zeug den Hippies aus West-Berlin anzudrehen. Vorbild sind die braven Niederlande.

„Seit die Niederlande vor sechs Jahren beschlossen haben, den Kauf und Verkauf von Cannabis nicht mehr zu bestrafen, hat sich nach unseren Informationen ein reger Reiseverkehr aus der BRD in die Niederlande entwickelt. Vor allem Jugendliche fahren dorthin, um Cannabis zu erwerben und zu konsumieren. Das hat teilweise zu Spannungen zwischen der BRD und ihrem NATO-Partner Niederlande geführt. Die Grenzkontrollen durch den Bundesgrenzschutz haben stark zugenommen. Stellen Sie sich vor, was da erst der legale Verkauf von Cannabis in der Deutschen Demokratischen Republik für die BRD bewirken könnte!“

Haschisch für den Klassenfeind

Der getrocknete Traum, wie unter Rausch ersonnen: Wenn die DDR in der Transitzone das Haschisch an den Klassenfeind verhökert, locken einerseits die Devisen. Andererseits fühlt sich die BRD möglicherweise genötigt, ihre Grenzkontrollen auszuweiten, sodass keine NVA-Truppen den „antifaschistischen Schutzwall“ bewachen müssten. Überhaupt würde sich alles umkehren.

„Die Herren in Bonn wären in heller Aufregung! Die Attraktivität unseres Landes gegenüber der BRD würde bei der Westjugend stark ansteigen. Wir könnten anführen, dass im Sozialismus die wissenschaftlich-rationale Sicht von größerer Bedeutung ist, im Gegensatz zu den alten Zöpfen der bourgeois-dirigistischen Weltbetrachtung. Und die BRD müsste dann überlegen, wie sie mit diesem Problem umgeht.“

Grischa, sein Vorgesetzter, die Biologin Dr. Frühling und Genossin Oberleutnant Siebert bereisen halboffiziell Afghanistan und bauen ein sozialistisches Drogenkartell auf, mit festgelegten Routen, mit Qualitätssicherungen, Lagerstätten und einem Coffee-Shop am Grenzübergang an der Sandkrugbrücke, getarnt als „Deutsch-Afghanischer Freundschaftsladen“. Dort gibt es Teller, Wasserpfeifen, Schals – und den berühmten Schwarzen Afghanen, ungestreckt, in bester Medizinalhanf-Qualität. „Um acht Uhr machten sie auf, spätestens halb neun hatten sie alles verkauft, was es an diesem Tag gab. Sie konnten dann auch wieder ins Büro gehen, weil wirklich niemand die Kleidung kaufte, obwohl die Schals aus wirklich schöner Wolle waren.“

Wie es wirklich war

Die Droge geht weg wie Räuchermännchen aus dem Erzgebirge oder Qualitätslinsen des VEB Carl Zeiss Jena. Selten war ein DDR-Roman so „dicht“ wie dieses Schelmenstück des seit jeher schalkhaft erzählenden Jakob Hein. Der Geist von Wolfgang Beckers „Good Bye, Lenin“ und Christian Züberts Kifferstreifen „Lammbock“ weht durch diese straff erzählte Alternativhistorie, die wie im Vorübergehen eine schlüssige Erklärung liefert für den nach wie vor rätselhaften Milliardenkredit, den der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß und DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski im Sommer 1983 ausgehandelt haben. „Sie wollen eine Milliarde D-Mark dafür haben, dass Sie eine Verkaufsstelle für afghanische Produkte an der Sandkrugbrücke schließen?“

Dass die Sache schiefgehen wird, deutet bereits der Titel an. Nur beinahe hätte Grischa den Weltfrieden ausgelöst, den Kapitalismus gezähmt, die Yuppie-Droge Kokain verdrängt und eine ganz andere Wende vollendet als jene, an der weiterhin gearbeitet wird. In dieser umgekehrten Erzählung beuten ausnahmsweise die Ostler den Westen aus – bis sie am Ende doch gekauft werden. Dieses Buch will unterhalten. Es belastet sich an keiner Stelle mit tiefergehender Psychologie, was bemerkenswert ist, da Autor Jakob Hein seit 2011 niedergelassener Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin-Kreuzberg ist. Sein Können stellt er souverän in den Dienst der ernsten Scherze, schmissig erzählt wie Thomas Brussigs „Helden wie wir“, entspannend wie ein Groovy Chair – ein Buch, das die CB1-Rezeptoren im Gehirn mindestens ebenso stimuliert wie ein rechtschaffen gedrehter Joint.

Jakob Hein: „Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste“, KiWi, Köln, 256 Seiten, 23 Euro

Jan Drees

Ich bin Redakteur im Literaturressort des Deutschlandfunks und moderiere den „Büchermarkt“.

Im Jahr 2000 erschien mein Debütroman „Staring at the Sun“, 2007 folgte ein überarbeiteter Remix des Buchs. Im Jahr zuvor veröffentlichte der Eichborn-Verlag „Letzte Tage, jetzt“ als Roman und Hörbuch (eingelesen von Mirjam Weichselbraun). Es folgten mehrere Club-Lesetouren (mit DJ Christian Vorbau). 2011 erschien das illustrierte Sachbuch „Kassettendeck: Soundtrack einer Generation“, 2019 der Roman „Sandbergs Liebe“ bei Secession. Ich werde vertreten von der Agentur Marcel Hartges in München.

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