Heute gehen die Olympischen Spiele zu Ende. Zeit, selbst tätig zu werden, wie Ilija Trojanow in den vergangenen vier Jahren, denn: „Im Sommer 2012 lümmelte ich wie Milliarden anderer Erdbewohner vor dem Fernseher und schaute mir Wettkämpfe in Sportarten an, von deren Existenz ich nichts wüsste, gäbe es nicht alle vier Jahre die Olympischen Spiele“, erinnert sich der Bestsellerautor in seinem neuen Buch. „Ich betrachtete wohlgeformte Menschen, die einander tänzelnd abschätzten, die auf dem Rücken eines herausgeputzten Pferdes eine bella figura abgaben, die hoch in die Luft schossen und einige Salti samt Drehungen vollzogen.“ Viele Fragen kamen plötzlich in ihm auf: „Was macht den Reiz dieser Sportarten aus? Was erzählen sie vom Menschen? Und: Wie würde ich mich anstellen, wenn ich sie betreiben würde?“ Also probierte er es aus, vier Jahre lang. Ilija Trojanow lernte aller 80 Einzeldisziplinen der Sommerspiele und setzte sich das Ziel, halb so gut wie die Olympiasieger von London 2012 zu sein. „Das erwies sich in manchen Disziplinen als einfach (etwa im Pistolenschießen), in anderen als unmöglich (etwa beim Wasserspringen), bestimmte aber oft erstaunlich genau die Grenze des für mich Erreichbaren.“ Herausgekommen ist das Buch „Meine Olympiade – Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen.“ (S. Fischer, 336 Seiten, 22 Euro) Ein Gespräch über Bogenschießen, Sportromane und das Lob der Leibesertüchtigung.
Gibt es Sportarten, die Sie auch nach ihrer Olympiade weiterhin betreiben werden? Ich habe mich richtig verliebt in Rudern, Wildwasserkajak, Bogenschießen und Judo.
Was reizt denn am Bogenschießen, einer sehr unspektakulär zu betrachtenden Sportart? Bogenschießen ist eine kleine Wunderkammer, die, wenn man allmählich hineinkommt, immer mehr Facetten des eigenen Selbst offenbart. Bogenschießen ist ein Lackmustest der eigenen Befindlichkeit. Man merkt immer sehr genau, wie man drauf ist. Die nötige Konzentration ist enorm. Die Bestrafung kleiner technischer Mängel ist sehr streng. Es ist so etwas wie die Trance der Meditation, die sich an guten Tagen einstellt.
Es heißt schon bei Juvenal, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohnt – und auch wenn bereits der römische Satriendichter seine Aussage nicht komplett ernst gemeint hat, so überrascht sie ja doch. Es gibt einen Widerstreit zwischen der sportlichen und der kulturellen Sphäre. Sport und Kultur wirken in vielen Betrachten wie Gegensätze. Was lernt der Intellektuelle beim Sport? Es gibt tatsächlich sehr viele Ressentiments unter den Intellektuellen, was Sport betrifft. Es ist teilweise, gerade in Deutschland so, als wären das zwei Sphären, die sich überhaupt nicht berühren. Ich glaube, das ist Folge von Ignoranz. Sport ist im besten Falle auch eine Kunstform. Während der Recherche stellte ich immer wieder Parallelen zwischen dem Schreiben und dem Trainieren fest.
Worin bestehen diese Parallelen, Ihrer Meinung nach? Es besteht aus einer sehr großen Partie Handwerk, aus Disziplin, aus Solidität. Aber es gibt auch diesen Moment der besonderen Inspiration. Es gibt diesen Moment der Erhöhung. Es gibt diesen tiefen Moment der Befriedigung. Und vom sozialen Gesichtspunkt aus ist es sehr kommunikativ.
Welchen Beitrag zur Einigung der sportlichen und der kulturellen Sphäre soll ihr Buch leisten? Es soll eine Inspiration sein, selber wieder etwas zu tun. Eigentlich ist es eine Feier dieser unglaublich schönen und bereichernden Angebote, die viele Menschen nicht nutzen, obwohl wir eine auch sportliche Infrastruktur haben. Das ist auch eine Parallele zur Literatur. Wir haben mehr Sportvereine als Buchhandlungen und die Logistik ist erstaunlich. Es gibt wirklich überall Vereine. Es gibt Trainer. Es gibt relativ viele Möglichkeiten, auch in einem fortgeschrittenen Alter quer einzusteigen und ich denke: das nicht zu nutzen ist genauso schade und traurig, wie die vielen Kulturangebote zu ignorieren.
Allein so ein Bogen ist teuer. Haben Sie, um alle Einzeldisziplinen ausüben mehrere Millionen ausgegeben oder sich die Sachen geliehen? Ich habe, wenn nötig, mir die Sachen selber erworben und da wo ich wusste, dass ich nur auf der Durchreise bin, habe ich mir die Sachen geliehen.
Sie haben also keine eigenen Stabhochsprung-Stäbe? Das ist ganz ungewöhnlich. Das haben nur Spezialisten oder sehr hingebungsvolle Zehnkämpfer. Aber auch der normale Zehnkämpfer nutzt einfach die Stäbe aus dem Club.
Ihr Schriftstellerkollege John von Düffel schwimmt, Haruki Murakami läuft Marathon. Warum mussten es bei Ihnen gleich alle Disziplinen sein? Die Tatsache, dass das bislang niemand gemacht hat ist Reiz genug. Darüber hinaus war das die Idee einer Reise durch die Welt des Sports und vor allem der etwas paradoxe Vorstellung, dass die olympische Idee erst dann verwirklicht ist, wenn man alle Sportarten durchprobiert. Das heißt, dieses „Dabeisein ist alles“ ein bisschen auf den Kopf drehen und sagen: „Was kann man erfahren über den Menschen und über die Gesellschaft, wenn man die verschiedenen Subkulturen des Sportes selber erlebt?“
Was lernt der Intellektuelle beim Sport? Es gibt tatsächlich sehr viele Ressentiments unter den Intellektuellen, was Sport betrifft. Es ist teilweise, gerade in Deutschland so, als wären das zwei Sphären, die sich überhaupt nicht berühren. Ich glaube, das ist Folge von Ignoranz. Sport ist im besten Falle auch eine Kunstform. Während der Recherche stellte ich immer wieder Parallelen zwischen dem Schreiben und dem Trainieren fest. Es besteht aus einer sehr großen Partie Handwerk, aus Disziplin, aus Solidität. Aber es gibt auch diesen Moment der besonderen Inspiration. Es gibt diesen Moment der Erhöhung. Es gibt diesen tiefen Moment der Befriedigung. Und vom sozialen Gesichtspunkt aus ist es sehr kommunikativ. Es besteht aus verschiedenen Aspekten, die man auch in Religion oder im Theater wiederfindet, wie Rituale, Gestik und Inszenierung.
Es ist auch sehr spielerisch. Und dass das Spielerische zum Menschen gehört, wissen wir spätestens seit den Untersuchungen zum „homo ludens“. Wir sind von unserer Konditionierung verspielte Wesen. Es ist wahrscheinlich sehr gut, dass wir vieles in Punkto Aggression, Selbstbehauptung, Konflikt im Spiel, also im Sport auflösen oder durchspielen und dadurch auch eine Sphäre haben, die uns zwar wichtig ist, die aber nicht den bitteren Ernst der existentiellen Notwendigkeit in sich trägt.
Ich habe den Eindruck, dass in den USA mehr Sportromane als in Deutschland erscheinen. Haben sich die deutschen Dichter und Turnvater Jahn auseinandergelebt? Im Buch komme ich immer wieder darauf, dass auch deutsche Autorinnen und Autoren teilweise sportinteressiert und fasziniert waren. Das fängt mit dem Gehen an, was beispielsweise für die Romantiker sehr wichtig war. Wenn man sich anguckt, wie weit die gegangen sind und wie schnell die gegangen sind, das kann man fast mit Sportgehen vergleichen. Die Romantiker waren auch große Schwimmer. Kleist war ein großer Schwimmer. Wieso jetzt vor allem nach dem Krieg es aus Deutschland keinen großen Fußballroman gibt, das weiß ich selber nicht. Das ist sehr verwunderlich.
Sie schreiben, dass Sie mal mehr, mal weniger sportlich gewesen sind. Wie verlief ihre eigene Sportlerkarriere? Ich habe in den Jahren, in denen begonnen habe, intensiv zu lesen, ebenso intensiv Tennis gespielt, war ziemlich gut und habe mich dann eine Zeitlang vom Sport entfernt, gerade in den Jahren, als ich einen eigenen Verlag aufgebaut, den ersten Roman publiziert habe. Dann habe ich festgestellt, das es eine Leerstelle in meinem Leben gibt, die tatsächlich nur durch den Sport auszufüllen ist. Daraufhin habe ich immer wieder etwas ausprobiert, mal einen Triathlon hier, mal Tischtennis, mal Badminton. Die Idee war eigentlich immer, dass ich unbedingt irgendeine Ablenkung und eine Erholung vom Schreiben gebraucht habe. Diese relativ statische Tätigkeit des Schreibens hat mich sehr eingeengt. Da war Sport der Ausbruch in eine Form der Freiheit.
Aber ist, da sich der Athlet an Trainingsvorgaben halten muss, nicht gerade der Leistungssport eher unfrei? Deshalb beschäftigt sich mein Buch absichtlich nicht mit Leistungssport, weil ich den eher kritisch sehe. ich kann mich erinnern an ein Gespräch mit Dieter Baumann, bei dem er mir gesagt hat, dass er erst nach dem Ende seiner Karriere richtigen Spaß am Laufen empfindet und dass es ihm jetzt, wenn er 45 Minuten entspannt joggt, so viel Spaß macht, wie nie zuvor. Der Fokus meines Buchs liegt auf dem Breitensport und ist der Versuch, die Menschen nicht erzählerisch durch diese Vielfalt zu führen, sondern auch zu animieren. Es soll eine Inspiration sein, selber wieder etwas zu tun. Eigentlich ist es eine Feier dieser unglaublich schönen und bereichernden Angebote, die viele Menschen nicht nutzen, obwohl wir eine auch sportliche Infrastruktur haben. Das ist auch eine Parallele zur Literatur. Wir haben mehr Sportvereine als Buchhandlungen und die Logistik ist erstaunlich. Es gibt wirklich überall Vereine. Es gibt Trainer. Es gibt relativ viele Möglichkeiten, auch in einem fortgeschrittenen Alter quer einzusteigen und ich denke: das nicht zu nutzen ist genauso schade und traurig, wie die vielen Kulturangebote zu ignorieren.
Ilija Trojanow: „Meine Olympiade“, S. Fischer, 336 Seiten, 22 Euro / Die Fotos von Thomas Dorn zeigen den Autor bei seinem „Olympics Project 2014/2015″
Schöner runder Beitrag, der mich nachdenklich macht und freut.