„Normalerweise lass ich mich nicht von Jungspunden als Jeansjackenträger beschimpfen. Bei Benjamin v. Stuckrad-Barre mache ich ausdrücklich eine Ausnahme. Weil er Soloalbum geschrieben hat, darf er das. Aber nur ein paarmal.“ Das schrieb der legendäre Pu der Bär-Übersetzer Harry Rowohlt 1998 auf jenes Taschenbuch des KiWi-Verlags, das den Höhepunkt der deutschsprachigen Popliteratur markieren sollte. Mit „Soloalbum“ startete die Schriftstellerkarriere des damals 23-jährigen Pastorensohns Benjamin von Stuckrad-Barre. Es folgten – in der Vor-Charlotte-Roche-Zeit eine absolute Sensation – ausverkaufte Hallen, ein Werbevertrag mit Peek & Cloppenburg, die eigene Fernsehshow auf MTV (der damals noch ein echter Musiksender war), und plötzlich schien es, als hätte wenigstens hierzulande Oasis das Brit-Pop-Rennen gegen die Blur-Konkurrenz gewonnen.
„Gleich stehen sie vor meinem Bett. Gronkwrömm. Das klingt nach Kieferchirurg, schwerer Eingriff, Kasse zahlt kaum was zu. Ein grauenhaftes Schmirgelgebrumm, und das kann ich nun nicht mehr ignorieren, schließlich kreischt das (was auch immer!) deutlich lokalisierbar direkt vor meiner Wohnungstür. Ich siehe mir ein T-Shirt an, mache Licht und gucke durch den Tür-Spion. Draußen stehen viele Leute. Es ist ungefähr 2 Uhr nachts, die Leute tragen Uniformen, und ich glaube, gleich steckt der Bohrer oder die Dampframme, oder was immer das ist, direkt in meinen Bauchnabel.“ – 18 Jahre sind vergangen, seit Benjamin von Stuckrad-Barre mit dieser Eingangsszene die Dampframme zur und in die deutsche Literatur brachte. Mit seinem Debütroman „Soloalbum“, 1998 beim Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen, war die Gegenwartsliteratur plötzlich interessanter als Hollywood, Supermodels und Popmusik.
1998 war ich selbst Oberstufenschüler an einem Wuppertaler Gymnasium und natürlich waren der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre und sein „Soloalbum“-Debüt bei uns Pausengespräch. Denn endlich erzählte ein Buch von uns selbst und wir machten eine Erfahrung, die viele Generationen vor uns bereits gemacht hatten, schon bei den „Leiden des Jungen Werther“ zur Goethezeit oder mit „Der Fänger im Roggen“ von J.D. Salinger in den 1950er Jahren. Mit „Soloalbum“ war Literatur für uns nicht mehr nur der Kanon von früher. Mit „Soloalbum“ wurde Literatur Teil unserer Gegenwart. – Das Buch erzählte von einem jungen Mann mit Liebeskummer, der gerade von seiner Freundin verlassen worden ist und der ungefähr so alt war wie wir selbst. Es geht in „Soloalbum“ um WG-Parties, RTL 2, Sex – und um Musik, vor allem um: Oasis. „Soloalbum“ ist aber auch ein Medienroman der Vor-Internet-Zeit, in der Fernsehen, Radio, Musikkritiken, überhaupt die Musikszene eine große Bedeutung hatten:
„Erst vor einer Woche hatte ich bei der Zeitschrift gekündigt, um bei einem Musikverlag anzufangen. Einfach so, damit mal wieder was passiert, denn eigentlich war es bei der Zeitschrift mehr als in Ordnung: Zwar hatte ich überhaupt keine Lust mehr, Leuten, die seit 20 Jahren dabei sind und die auch diese 20 Jahre älter waren als ich, regelmäßig mitteilen zu müssen, daß es nicht nur unnötig, sondern auch verboten ist, über neue Platten Sätze zu schreiben wie: Der Titel ist Programm, die pumpernden, durchaus zeitgemäßen Clubsounds gemahnen an das und das, die zuckersüßen, schwärmerischen Beatlesmelodien verzaubern, die Texte sind kantiger geworden, man darf gespannt sein auf die Tournee, doch klingt das Ganze inzwischen runder und somit auch poppiger.“
I need to be myself, I can’t be no one else
Wer als Heranwachsender keine Wut in sich spürt, kann gleich bei der Bausparkasse anfangen. Das dachten auch wir, die wir 1998 auf den Schulhof standen und über „Soloalbum“ diskutierten. In diesem Roman haut der Erzähler dem kompletten Establishment eine rein; und dekonstruiert mit Leichtigkeit die Medienwelt dieser Zeit. Das war Ausnahmezustand. Das war Alarm. Benjamin von Stuckrad-Barre, so steht es im Buch, wurde geboren am selben Tag wie die Ausnahmekünstler Mozart und Tricky: am 27. Januar. Allerdings 1975 und in Bremen. Das heißt, bei Erscheinen von „Soloalbum“ war er gerade mal 23 Jahre alt – hatte in diesen 23 Jahren aber schon die halbe Medienlandschaft abgearbeitet.
Stuckrad-Barre war im schnellen Wechsel erst Musikjournalist bei einem Stadtmagazin, dann Redakteur beim Rolling Stone, später A&R bei Motor Music und zuletzt Gagschreiber für die Harald-Schmidt-Show. Später wird er Model für Peek&Cloppenburg, FAZ-Redakteur, Gastgeber verschiedener Fernsehsendungen. Der Autor kannte früh das Showbusiness und sein Auftreten als Autor war dem entsprechend: Wild und hyperaktiv wie das damalige Programm von MTV.
Das hat mich in dem Alter wahnsinnig überfordert, obwohl das meine Idee war“, erzählt mir Stuckrad-Barre im Frühling 2016 bei einem Treffen im im Kölner Grand Hotel Excelsior. „Ich wollte wahnsinnig gerne, dass meine Bücher überall drin sind, dass ich ins Fernsehen und in jeder Zeitung und alles soll voll damit sein, weil ich gerne möchte, dass das alle lesen und weil ich glaubte, dass das gut ist und so. Ich war total naiv. Und daran hat sich nichts geändert.“ – Dieses Hybris, sie fasziniert, sie klingt ungefähr so: „I need to be myself / I can’t be no one else / I’m feeling supersonic / Give me gin and tonic.“ – Auch hier also wieder: Oasis, nun mit „Supersonic“ – einem von ganz vielen Songs, die in Benjamin von Stuckrad-Barres „Soloalbum“ vorkommen. Es geht darin außerdem um die Spice Girls und die Pet Shop Boys, um Michael Hutchence von INXS und um Rage Against The Machine.
Zeit zum Heizen, Monica
Als „neue Archivisten“ hat der Münsteraner Professor Moritz Baßler die damals aktuellen Popliteraten bezeichnet, weil sie alles, was gegenwärtig ist in ihren Büchern aufzählen, oft auch in Listen. Eine dieser „Soloalbum“-Listen besteht aus den natürlich komplett erfundenen Seite-1-Nacktmädchen der BILD-Zeitung, die von der Redaktion die kuriosesten Namen, angeblich erlernten Berufe und Hobbies angedichtet bekommen. So geht es vier Seiten hinweg um Fitnessbiene Jeanette, die knusprige Steffi und Meerjungfrau Caprice. Sie sind hauptberuflich angeblich süße Zuckerbäckerin, eigentlich Arzthelferin (-> das Wartezimmer ist gerammelt voll) oder einfach nur „Miss Juni“. Und die Redaktion ruft ihnen im Text die absurdesten Ferkeleien zu: Einmal Nachschlag, bitte! Mein lieber Scholli – da muss wohl der Techniker ran. Oder auch: „Zeit zum Heizen, Monica.“
Das war die Medienrealität der 90er Jahre, an die sich mit Schaudern zurückerinnert, wer „Soloalbum“ heute noch einmal liest. Besser war es damals ganz sicherlich nicht. Ja, „Soloalbum“ erinnert daran, dass es sogar in Vor-Smartphone-Zeiten so etwas wie die „Tinder“-App gegeben hat: „Es sind ein paar merkwürdige Sender dazugekommen, die aber nur konsequent weiterdenken und -werben, was SAT 1 und RTL vor zehn Jahren begonnen hatten, keine Panik also. Und RTL2 trasht auch immer noch, so gut es eben geht – diese halbseidenen Reportermagazine, die sind schon sehr lustig. Auf SAT 1 erzählt eine dicke Friseuse, wie sie in einem Jahr dank der ‚Flirt-Line‘, einem Telefonservice, bei dem nur Männer zahlen und Frauen einen Riesenspaß und eine Riesenauswahl haben, wie sie da also in einem Jahr 29 Männer kennengelernt hat (= getroffen und gefickt), das hat sie alles säuberlich aufgelistet.“
Was hält das Show-Business im Inneren zusammen? Das beobachtet der Held in „Soloalbum“ sehr genau – und die Frage, wie diese Oberfläche des Mainstreams, des Pops eigentlich entsteht, treibt Benjamin von Stuckrad-Barre seitdem und bis heute um. „Ja, und zwar eben gar nicht entmystifizierend, das ist ja alles nur gespielt und Kleists Marionettentheater und so weiter“, sagt er 2016 im Interview, „sondern weil mich der Vorgang der Eindruckserweckung interessiert und ich total bereit bin, mich komplett vom Showbusiness umhauen zu lassen. Also, das hat nicht dieses Vordergründige: Ich glaube, Julia Roberts sieht gar nicht so gut aus wie in der L’Oreal-Werbung. Das ist doch mir Wurscht, also, funktioniert bei mir beides und gleichzeitig interessiert mich diese Hinterbühne, ja, aber eben nicht „der Mensch dahinter“ und dieser Unsinn immer. Auf gar keinen Fall. Ich will nur sehen, wie es gemacht wird, und das kommt dadurch, dass ich mich eigentlich allem als Hysteriker und Fan nähere und das heißt einfach: So nah wie möglich komme.“
The Kinks statt Oasis
Stuckrad-Barre, das war der inszenierte Gegenentwurf zum „Leben im Man“, denn „wenn man sie morgens in der Bahn sieht, die Eiligen, die kaum älter sind als ich, so dicht aneinander gedrängt, im Cocktails aus Schweiß und brünftigen Rasierwässerchen die Pest der Gesellschaft inhalierend – dann weiß man ja, daß sie keine Oasis-Platte kennen, nur „Wonderwall“ vom Kuschlerock-Sampler. Und Jungs mit Kuschelrock-Sampler kuscheln garantiert nicht.“ – Das klingt schon sehr nach „No future“-reloaded. „Soloalbum“ ist aber nicht die Fortführung des Punks mit anderen Mitteln. „Soloalbum“ ist auch nicht der erste deutschsprachige Bestseller, der sich befasst mit den Befindlichkeiten junger, heranwachsender Männer, die Ende der 90er immer unsicherer suchen, wo ihr Platz im Leben ist.
Diese spezielle Form der Männerliteratur wird später „lad-lit“ genannt, vom englischen Wort für „Jüngling“ oder „Bursche“. „Lad-lit“ ist das maskuline Gegenstück zur „chick lit“ für die jungen Frauen. Zur chick-lit gehören Bücher wie „Der Teufel trägt Prada“ oder „Schokolade zum Frühstück.“ Der Klassiker des Lad-Lit-Genres ist „High Fidelity“ von Nick Hornby, dessen Plot dem von „Soloalbum“ streckenweise ähnelt; es kommt nur ältere Musik darin vor: „The Kinks“ statt „Oasis“, „Bob Dylan“ statt Spice Girls. – Im deutschsprachigen Raum wird mit „Soloalbum“ eine richtige lad-lit-Welle losgetreten, von Marc Fischers „Eine Art Idol“ bis zu „Vollidiot“ von Tommy Jaud.
Dann steigt ein Vollidiot ein
Nun wird Belletristik überwiegend von Frauen gelesen – aber die Literatur von Benjamin von Stuckrad-Barre oder Nick Hornby zieht auch die Männer auf ihre Seite, denn hier geht es eben nicht nur um Befindlichkeiten der Seele, sondern auch um Autos, Pop-Musik, Fußball und verschiedene Rollenerwartungen, die an junge Männer adressiert werden.
„Dann steigt ein Vollidiot ein. genauer: noch einer. Ich schätze mal: Theologe, eine fette Frau mit unrasierten Beinen, mindestens zwei ungewaschene Kinder. Natürlich mit einem Trecking-Rad, mit dem man mühelos die Taiga durchqueren könnte, aber er muß damit natürlich durch die Stadt fahren (Helm auf, ist klar!) und uns allen zeigen, daß es auch ohne Auto geht. Warum er dann allerdings mit seinem Fahrrad in den Bus steigt, ist mir nicht ganz klar. Wahrscheinlich, damit die Einkäufe nicht naß werden. Denn natürlich hat er eingekauft, die Frau liegt wahrscheinlich schon wieder schwanger auf dem Sofa, hat keine Lust auf Sex und riecht nach Gemüserülps.“
Es sind Stellen wie die über den armen Theologen, die Benjamin von Stuckrad-Barre unbarmherzig erscheinen lassen. Schaut man durch die Presseberichte zum Buch kann man haufenweise Vorwürfe lesen: „Soloalbum“ sei allerhöchstens eine Glossensammlung, aber kein Roman. Es würde eigentlich um nichts gehen darin, außer um Geschmacksfragen. Die Süddeutsche Zeitung bemängelt gar, Stuckrad-Barre würde sich lediglich auf ziemlich ausgetrampeltem Gelände bewegen. „Als Zeitungsschreiber war Stuckrad-Barre allein das taz-Leider-Leider-Abo wert“, schreibt Rezensent Willi Winkler und fährt fort: „inzwischen hat er seinen Witz noch weiter verkürzt und schreibt Gags für Harald Schmidt. Aber ein Buch und gleich so ein maues, das hätte es doch wirklich nicht gebraucht.“ DER SPIEGEL überschreibt den Soloalbum-Text vom September 1998 mit den Worten: „Amoklauf eines Geschmacksterroristen.“
Zigaretten, Alkohol, härtere Drogen
Diese Urteile gelten seitdem als gesetzt, wenn man über Benjamin von Stuckrad-Barre spricht. „Solche Wörter wie: der ist arrogant und Dings, also leider ich bin ich so veranlagt, dass ich mir immer nur das Negative rausnehme und das dann darüber die ganze Zeit nachdenke und darauf so hängenbleibe. Das zeigt, dass ich überhaupt nicht geeignet bin, fürs Showgeschäft. Weil das einfach für diesen Unterhaltungsbetrieb, der Literaturbranche auch, weil ich das alles so Ernst nehme und nicht ein souveränes Verhältnis zu mir als öffentlicher Figur habe. Das sind aber dann alles wieder Privatprobleme, wenn man es schafft, sie für den Text zu überwinden. Dass das Buch trotzdem entsteht und danach kann man wieder diese furchtbar interessanten Probleme mit der Selbstbespiegelung und so weiter haben, aber wenn mal das Buch trotzdem entsteht und man sich nicht darin verheddert und plötzlich nichts mehr herstellt, dann ist das eigentlich alles in Ordnung.“
Inzwischen tritt Stuckrad-Barre anders auf. Er ist weiterhin laut und provozierend. Aber dahinter gibt eine Melancholie, er wirkt vom Leben angepackt. Er hat „einiges durchgemacht.“ Zigaretten, Alkohol, aber auch härtere Drogen und die daraus resultierenden Erkrankungen sind Inhalt seine aktuellen Buchs „Panikherz“. Dort erzählt er, wie er das immense Geld, das er mit „Soloalbum“ verdient hat, wenig später auf den Kopf haut – mit Prostituierten, Koks, ausufernden Partys, und zwar so lange, bis gar nichts mehr geht; er sogar magersüchtig wird und depressiv, in mehrere Kliniken kommt, ganz unten ist.
Diese Erfahrungen nun als „Die Schattenseite“ des Erfolges zu bezeichnen ist Blödsinn. Aber man liest „Soloalbum“ heute anders als 1998, denn viele Probleme, die in „Panikherz“ geschildert werden, nehmen ihren Anfang in „Soloalbum“, beispielsweise dieser extreme Körperfetischismus, diese Sucht, immer dünner und dünner zu werden: „Ich weiß nicht, warum das alles nun wieder nicht funktioniert hat. Bin ärgerlich, die letzten Tage auf der Insel habe ich illusionsbenebelt kaum ausgehalten, habe in vollverblödeter Vorfreude den Spaß noch weiter eingeschränkt, fast nur noch geschlafen, gar nichts mehr getrunken, noch mindestens 2 Kilo abgenommen.“
Soloalbum im Kleinen
Ständig geht es in „Soloalbum“ ums Abnehmen Auch der Verlust von Kontrolle wird bereits hier angedeutet, allerdings begründet mit dem Liebeskummer des Helden: „Meine Pizza habe ich halbgar weggeworfen. Mit meiner Wäsche klappt es gerade noch. Da müßte schon noch einiges mehr passieren, bis ich das auch noch lasse. Nein, eine frische Unterhose und frische Strümpfe jeden Tag, daran führt kein Weg vorbei, sonst kann man es ja gleich lassen und im Bett bleiben. An den Wochenenden gehe ich wieder verstärkt dazu über, es ganz zu lassen und im Bett zu bleiben.“
Auch die spätere, vor allem in „Panikherz“ geschilderte Drogensucht klingt in „Soloalbum“ nicht mehr so lustig, wenn man es mit dem heutigen Wissen liest – auch wenn der Absatz im Buch über die Abendgestaltung beim Rolling Stone sehr, sehr heiter wirkt: „Wir bestellten also Pizza und Koks, durchaus bei verschiedenen Lieferservice-Unternehmen!, und dann mal gucken, was eher da war. Kam das Koks zuerst, mußte das Essen leider weggeschmissen werden, weil man dann ja keinen Hunger mehr hat, das nun wirklich nicht.“
Dass ich mich persönlich so intensiv mit „Soloalbum“ beschäftige, seit Jahren, liegt an einer sehr persönlichen Geschichte, die damit anfängt, dass ich unter dem Eindruck der Popliteratur im Jahr 2000, da war ich 20, selbst meinen ersten Roman veröffentlichte. „Staring at the Sun“ hieß der, nach dem Song von U2, einer Band, über die Benjamin von Stuckrad-Barre nie etwas Freundliches gesagt hat. Aber ich war U2-Fan und plötzlich auch Autor, ebenso dünn wie Benjamin von Stuckrad-Barre. Allerdings nicht, weil ich magersüchtig war, sondern ursprünglich Leistungssportler, 800-Meter-Läufer. Das strafft die Muskulatur und lässt den Körperfettanteil auf unter 8 Prozent schrumpfen.
Natürlich kamen wir zusammen
Es war dann wie „Soloalbum“ im Kleinen: ich wurde zu VIVA Interaktiv eingeladen und legte mich dort mit dem neuen, im Jahr 2000 noch unbekannten Moderator Oliver Pocher an. Ich wurde in der Zeitschrift MAX, die es damals noch gab, auf einer Seite präsentiert und meine Lesung in Frankfurt wurde von der FAZ verrissen. Ich lungerte auf den legendären Düsseldorfer Partys des Malers Jörg Immendorf rum, trank Champagner, schrieb an einer obskuren Fernsehserie, die nie über den Trailerstatus hinauskam, ich haute meinen immensen Vorschuss auf den Kopf, zog nach Hamburg, rasierte mir alle Haare ab und trennte mich nach dreieinhalb Jahren von meiner ersten Freundin.
Nun steckte ich also selbst im Liebeskummer, wie der Held in Benjamin von Stuckrad-Barres Debüt. Da meldete sich eine junge Wuppertaler Studentin bei mir. Ihr Plan war, eine Hausarbeit für die Uni zu schreiben über „Soloalbum“ von Benjamin von Stuckrad-Barre und mein Debüt „Staring at the Sun“. Sie hatte auch Stuckrad-Barre angeschrieben. Aber ich war derjenige, der zurückschrieb und ihr sagte, sie könnte mich anrufen. Es war Ende April. Ich hatte keinen Job. Ich hatte keine Idee, wie es weitergehen sollte. Das Geld war alle und die Freundin weg. Da rief das Mädchen an – und meine ganz persönliche „Soloalbum“-Geschichte nahm ihren Lauf.
Diese Studentin rief mich also in Wuppertal an und ich hatte eigentlich keine Lust, mit ihr zu sprechen, doch an diesem Abend redeten wir nur zehn, fünfzehn Minuten über mein Buch „Staring at the Sun.“ Und danach sprachen wir über acht Stunden lang über andere Dinge und draußen wurde es schon hell, als ich sagte, ich würde sie gerne sehen. Ich müsste kurz schlafen, aber ich würde mein letztes Geld nehmen und davon eine Bahnkarte von Hamburg nach Wuppertal kaufen, um sie noch heute zu besuchen.
Natürlich kamen wir zusammen. Und irgendwann fuhren wir zum Sommerfest der Literatur-Agentur Eggers & Landwehr, die mich inzwischen vertrat – und dort traf ich dann, ausgerechnet am Pissoir, das erste Mal Benjamin von Stuckrad-Barre. – Auf dem Rückweg von der Party warf mir dann meine neue Freundin vor, dass ich nicht so souverän sei wie Benjamin von Stuckrad-Barre, sie habe das beobachtet. Ich war unglaublich gekränkt und machte das, was man mit 21 dann halt macht: ich trennte mich von ihr am kommenden Morgen und bereute diese Trennung bereits auf der Fahrt nach Hause.
Nachts wieder im Hotelzimmer
Zurückbekommen habe ich diese Studentin nicht. Aber ich schrieb, angetrieben durch meinen Liebeskummer, ein neues Buch, in dem es auch um sie ging. Es heißt „Letzte Tage, jetzt“ und ist 2006 bei Eichborn erschienen. Benjamin von Stuckrad-Barre war überaus erstaunt, als ich ihm diese Geschichte vor wenigen Wochen in Köln erzählte: „Das ist für mich auch eine neue Information. Also, alles daran. Also, ein Satz mit sieben Fehlern, wie man an der Stelle gern sagt. Die Wuppertalerin fand es also souverän, dass ich nicht geantwortet habe, oder wie?“ – „Ich war damals total verunsichert.“ – „Ja, ich sicher auch. Wie alt war ich? 26. Also souverän ist so unter allen Wörtern, die speziell mich in der Zeit, wäre mir jetzt nicht eingefallen. Aber das sind so Zuschreibungen. Eine andere ist zum Beispiel: Du bist immer so arrogant und so. Dann sagt man: Ach so, ja. Finde ich eigentlich nicht. Ist schade. Das klingt nicht so gut: arrogant. Kann man jetzt auch nix machen. Oder man kann sich dann extra unarrogant oder so, aber das wird dann ja richtig bitter.“
Der Held in „Soloalbum“ wird seine Ex-Freundin selbstverständlich nicht zurückbekommen – da erging es ihm nicht anders als mir drei Jahre später. Die junge Frau ist endgültig nach Passau gezogen, um zu studieren. Meine damalige Liebe wohnt auch seit Jahren wonanders; und ich schrieb „Letzte Tage, jetzt“.
In Soloalbum geht es so zu Ende: Statt also seine Ex zu daten, besucht der Held mit Freunden ein Oasis-Konzert in Berlin, dort, wo das legendäre Hotel Adlon am Brandenburger Tor steht, das auf der vorletzten Seite auch kurz genannt wird. In diesem Hotel Adlon wird Benjamin von Stuckrad-Barre schon wenig später ein legendäres Gespräch führen mit den Kollegen Christian Kracht, Alexander von Schönburg, Eckhart Nickel und Joachim Bessing. Die Aufzeichnung erscheint 1999 als Buch unter dem Titel „Tristesse Royale“. Aber das ist eine neue, das ist eine andere Geschichte. In „Soloalbum“ wird der Held nach dem Oasis-Konzert keine Autorengespräche führen – aber „Tristesse Royale“ ist bereits da Programm.
„Nachts wieder im Hotelzimmer. Michael Hutchence ist gestorben, ach je, wir trinken auf ihn. Der hatte nun überhaupt nichts verstanden. 3 Wochen später schon hat seine Frau für 1,5 Millionen irgendwelche Sexerinnerungen verscherbelt, steht in der großen Zeitung. Das ist natürlich eine Menge. ich könnte mit dieser Summe ungefähr 10.000mal mit der Bahn nach Passau fahren. Aber das würde ja wahrscheinlich auch nichts ändern. Man weiß es nicht. Ja. „Definetly Maybe“, das ist der beste LP-Titel aller Zeiten.“ (Beitrag vom 5. Mai 2016)