Männer sind Schweine, Fahrgäste verachtenswert und der Atomtod kommt bestimmt: In Karen Duves rasantem „Taxi“-Bestseller treffen sich die Geschlechter: mit Tempo!
„So ging das nicht weiter. Ich hatte die Ausbildung bei der Versicherung abgebrochen, die einzige Ausbildung, die ich je angefangen hatte.“ Mit diesen trostlosen Worten startete der schnellste, kurvenreichste, stärkste, übernächtigste Großstadtroman dieses Jahres zum 314-Seiten-Grand Prix. Bestsellerautorin Karen Duve („Regenroman“) schaut wie viele Kollegen (Sven Regener, Verena Carl) zurück in die Achtziger und fährt „Taxi“. – „Es gab vieles, was mir am Taxifahren gefiel: Die ganze Nacht aufbleiben, unverantwortlich schnell und unangeschnallt Autofahren und dabei wilde und merkwürdige Musik in den Spätprogrammen der Radiosender hören, die Busspur benutzen, wenn alle anderen Autos im Stau standen, jede Nacht in Bordelle eindringen, in üble Hafenkaschemmen“ und so weiter.
Die kurz vorm zwanzigsten Geburtstag stehende Heldin lässt es krachen. Im weißen Hamburg der schwarzen 80er Jahre rast sie durch kalte Nächte, warme Betten und stürmische Beziehungen. Nebenbei wird der Geschlechterkampf auf die Straße verlegt – oder in die Feierabendkneipe. Er kommt mit Schwung im Alltag an. Es gibt Begegnungen mit skurrilen Taxi-Kunden, zwergenkleinen Lovern und großen Angebern, außerdem äußerst scharfsinnige Gedanken über Sex, Grips, AIDS und Naturfilme. Letztere, die Naturfilme, waren laut Heldin „immer auch Snuff-Filme für den Raubaffen Mensch.“ Anschnallen, Jungs!
Die Heldin schwankt zwischen dem muskulösen und souverän auftretenden Journalisten Majevski und dem kleinen, klugen Marco, einem misanthropischen Nietzsche-Verehrer mit erstaunlichen Erotikqualitäten. Es wird ein innerer Kampf zwischen Körper und Geist, zwischen Tier- und Kulturwelt, zwischen Bett und Bücherregal. Dieser immer wieder thematisierte Widerstreit ist der bemerkenswerteste Aspekt des Romans. Unterhaltsam verknüpft Karen Duve hier einige der maßgeblichen 80er-Jahre-Dualismen. Ein letztes Mal geht es um BRD und DDR, Mann-Sein versus Frau-Bleiben, um Öko-Diskurse und „ich will Spaß, ich geb‘ Gas“-Palaver.
2008 ist der eiserne Vorhang längst abgerissen, Gender-Mainstreaming gang und gäbe, und selbst der Boulevard kennt sich aus in Sachen Klimakollaps, Bio-Fleisch und Altpapier. In den Achtzigern aber gibt es weder Internet noch Arbeitslosigkeit, keine Unimiseren, und der 11. September ist ein beliebiges Datum im Frühherbst jener Jahre. Mit dem weichgezeichneten Blick zurück erscheint diese Zeit im Roman als windgeschütztes Biotop. Die einen engagieren sich für Nicaragua, die anderen schauen neonbunte Kinofilme. Die paar Mark für ein Taxi sind immer drin und Bundeskanzler Helmut Kohl sitzt alle Probleme im Bonner Glashaus aus.
Es ist auch die Zeit von Karen Duves Kindheit. Die Abiturientin wächst im Hamburger Bezirk Wandsbek auf, beginnt eine Ausbildung zur Steuerinspektorin und bricht diese 1983 wieder ab. Anschließend arbeitet sie 13 Jahre lang als Taxifahrerin. Seit 1990 ist sie freie Schriftstellerin – eine der besten, die gegenwärtig in Deutschland veröffentlichen.
(Karen Duve: „Taxi“, Eichborn, 314 Seiten, 19,95 Euro, Hörbuch bei Eichborn/Lido, 272 Min, vier CDs gelesen von Anneke Kim Sarnau)