In dieser Woche kommen Persönliches und Frisch-Erschienenes zusammen: Der 2008 verstorbene David Foster Wallace („Infinite Jest“), gehörte zu den Giganten der zeitgenössischen Gesellschaftsanalyse. In seinem 1990 erstmalig veröffentlichten, 2014 nun bei KiWi erstmalig aufgelegten Essay „Signifying Rappers“ (mit Mark Costello) nähert er sich erstmalig einem größeren kulturwissenschaftlich relevantem Thema zu – und dieser LesenMitLinks-Blogtext über den Rapessay von DWF kommt anderthalb Tage, nachdem ich im „Like!“-Seminar beim Hildesheimer Dozenten Guido Graf über Literaturjournalismus und die Kriterien meiner Rezensionen sprach. Hängengeblieben ist die Frage aus dem Kreis der zuhörenden Studierenden, in welchem Verhältnis mein literarisches und mein literaturkritisches Schreiben zueinander stehen. Während „Signifying Rappers“ und ein Artikel des amerikanischen Journalisten Mark O’Connell genau dieser Frage anhand des Raps auf der einen und des DWF-Textes auf der anderen Seit nachgehen, will ich mich hier vor allem um jene Stellen kümmern, die sich poetologisch verwerten lassen, in folgender Art und Weise: Kann das Rezensieren eines Buchs hilfreich sein für den eigenen kreativen Schreibprozess? Oder sind diese Texte über Texte ein Bewertungsgenre, das mit einem abschließenden Like oder Dislike an seine Grenze stößt?
„Analytisch brillant wie Greil Marcus oder Diedrich Diederichsen.“ So steht es auf der Rückseite des „neuen“ Buchs von David Foster Wallace. Der schrieb seinen nun erstmalig auf Deutsch vorliegenden Essay allerdings bereits 1989 (Mark Costellos Beitrag dürfte darin gelegen haben, das Ganze gegenzulesen und vor Drucklegung mit Anmerkungen zu versehen), also satte 25 Jahre vor dem 21. November 2014. So viel Zeit muss sein: 1989, das ist acht Jahre nach The Adventures of Grandmaster Flash on the Wheels of Steel, zehn Jahre nach Rapper’s Delight der Sugarhill Gang und anderthalb Jahrzehnte nach den ersten Block Partys, als Hip Hopper ihre Soundsysteme illegal an Straßenlaternen anschlossen.
Einordnung: denn obwohl „Signifiying Rappers“ auf einen musikalischen Stil schaut, der bereits eine lange Historie nachweisen kann (inklusive erster Abgesänge auf den Rap Ende der 70er) gehört dieser Text ins „Early Bird“-Genre. In diesem blicken Feuilletonisten, Techniker oder Kulturwissenschaftler quasi als erste auf ein neues Phänomen der Moderne und versuchen, dessen Gesellschaftsfolgen abzusehen. Das fängt an beim Phaidros-Dialog Platons, in dem der griechische Philosoph im 5. Jahrhundert nach Christus die Schrift kritisiert. Das geht weiter mit Johannes Gutenbergs Analyse über den wahren Nutzen des Buchdrucks, den er nicht in der Vervielfältigung, sondern im schönen Schreiben „ohne Schreibrohr, Griffel und Feder“ erkannte (siehe Michael Giesekes „Der Buchdruck in der frühen Neuzeit“, S. 134), bis zum hellsichtigen „What is Record Art“-Essay von Westbam 1984 oder, gutes Beispiel der Gegenwart, Stefan Herbers Annäherung an Twitter im Technik & Motor-Teil der F.A.Z. im Jahr 2008.
„Rap-Abende im Middle East waren neuartig, knallig und chaotisch, und als MC stand jede Woche derselbe Gauner im Trainingsanzug auf der Ali-Baba-Bühne“, erinnert sich Costello im Vorwort, das er wiederum nachträglich im Juli 2013 verfasst hat. „In diesem Nächten stellte Dave immer eine wesentliche Frage: ‚Und – war das jetzt Scheiße? Oder war das quasi wahnsinnig, groß und frei?“ Bei Slate.com geht Rezensent Mark O’Connell im August 2013 hart mit dem Essay ins Gericht und artikuliert sein Unbehagen darüber, dass hier zwei Weiße ebenso hilflos wie immer wieder falsch liegend versuchen, eine für ihren Blick schwarz-codierte ästhetische Praxis zu klassifizieren, die spätestens in den Neunziger Jahren massiv von weißen Künstlern infiltriert wurde; bezeichnenderweise kommen die weißen Beasty Boys gar nicht vor. (Mark O’Connell: My Metonym for Self-Reference Weighs a Ton – When the ‚resoundingly and in all ways white‘ David Foster Wallace tried to write about hip-hop).
Man kann es auch mit den Worten Costellos sagen: „Das Buch ist ein zutiefst hirnrissiges Produkt des Jahres 1989 und wimmelt nur so von kurzen und kryptischen Anspielungen auf Howard Beach, Dick Gephardt, das Kidnapping von Tawana Brawley und die Fernsehserien und Werbekampagnen des ganzen Katzenjammers der Post-Reagan-Ära. (Heutige Stichworte könnten Newtown, Nippelblitzer, Tanzende Babys und Wayne LaPierre sein.) Erinnert sich noch irgendwer an Arsenio Hall oder die California Raisins? Verpuffen diese Anspielungen bei Lesern unter Vierzig vielleicht?“ Das ist eigentlich nebensächlich, weil kaum jemand im Jahr 2014 von einem musikalisch eher ungebildeten Studenten mit einem gestrigen Blick erklärt bekommen will, was diese mittlerweile allbekannte Musikrichtung ausmacht, beziehungsweise: „Warum Rap, den Sie hassen, nicht ihren Vorstellungen entspricht, sondern scheißinteressant ist und wenn anstößig, dann bei dem, was heute so abgeht, von nützlicher Anstößigkeit“. Die dazu passenden Antworten dürfte im Jahr 2014 jede InTouch-Texterin internalisiert haben.
Interessant ist „Signifying Rappers“ dann, wenn einerseits Rückschlüsse auf die späteren großen Texte von DFW zulassen (was Mark O’Connell in seinem Artikel bereits leistet). Andererseits ist ein derartiger Text hilfreich, wenn neue Blicke, Kunsttechniken, Schreib-Verfahren manifest werden, die das eigene Ausdrucksrepertoire ergänzen. Was bedeutet beispielsweise im Sinne Ferdinand de Saussures die Dichotomie von Signifikant und Signifikat in Augenblicken wie jenen, wenn weiße irische Kids aus Boston der späten Sechziger James Browns „I’m Black and I’m Proud“ mitsingen, obwohl sie bereit dunkelhäutigen Italienern mit Skepsis begegnen? – Über derartige Phänomene hat James Toback 1999 den hoffnungslos unterschätzten Film „Black and White“ gedreht (der wiederum aufgegriffen wird in Thomas Meineckes „Musik“ von 2004.
https://soundcloud.com/slate-articles/david-foster-wallace-tried-to
DFW ist stets mit größtmöglicher Begeisterung an seine Untersuchungsgegenstände herangetreten. Dabei verstellt das Gefühl nie den analytischen Blick, was mit „Signifying Rappers“ belegt werden kann, wenn er minutiös einen immer wieder im Text auftauchenden Samling-Track mit dem Arbeitstitel „Ho, You`re Guilty“ (hier ein paar Blicke ins Buch) auseinandernimmt und beschreibt, wie das Demo im Studio entstanden ist und was ein Roland TR-909 Rythm-Composer ist, aus welchen Einzelteilen das ihm Fremde besteht: „Dann wird der Sound fett gemacht, mit Hörnern, Gitarren-Hooks, Glocken, Applaus aus der Konserve und allem Möglichen, was man von anderen Tapes übernehmen und auf dem Roland aufbereiten will. Am Ende wird das Demoband von ‚Ho, You’re Guilty‘ dann den 20 großen, kleinen und winzigen Labels angeboten, die das Demo als 12-Inch-Single rausbringen könnten.“
Die hier abgeschauten Techniken überträgt DFW nun auf seinen Text, den er selbst als „Sample“ bezeichnet. Abschweifungen nennt er „Riff“ (S. 69), die Mechanismen, die Rap als Unterschichtenphänomen marginalisieren werden mit dem Bild des „Loops“ (71) veranschaulicht: „Von den 513 Artikeln, die sich im Mai ’89 unter Rap/Hip-Hop im Verzeichnis der CD-Rom-Datenbank finden lassen, sind nur etwa ein Drittel Kritiken und Rezensionen einzelner Alben, weniger als ein Dutzend sind Versuche, sich kritisch mit der Musik auseinanderzusetzen. Der Rest fällt unter Überschriften, die einen Bezug zwischen Rap und Gans herstellen, Rap und der ‚verlorenen Generation‘, die WIR zunächst mal gar nicht ‚gefunden‘ haben. Eine These, die diesen Sampler legitimiert, lautet also ganz einfach, dass Kritiker und Autoren sich bisher einen Dreck darum geschert haben, die wichtigste und einflussreichste Pop-Bewegung dieses Jahrzehnts als etwas anderes als ein Präparat unter einem inversen Mikroskop der Sozio-Pönologie betrachten zu wollen.“ (71) Beachtenswert ist hier die immer wieder auftauchende Ablehnung gegen den Typus des einflussreichen Kritikers, der im schlimmste und häufigsten Fall auftaucht als „zickige Mätresse des Marktes“ (58).
Interessante Kunst, und hier kommt man zum Nukleus späterer Romane und Erzählungen des Autors, löst Ängste aus, besticht ebenso durch ihre Fremdheit bei gleichzeitiger Anschlussfähigkeit ans Publikum (was DFW dem Punk beispielsweise abspricht). Dazu kommen, jeweils extrahiert aus dem Rap: die Faszination für ästhetische Brüche (Pop ohne Melodie, Gesang ohne Modulation), für die Neukodierung gängiger Begriffe („Ein Mann findet eine Frau fly. Sich selbst würde er niemals fly nennen, auch nicht im Anpreisen eigener Vorzüge“), oder auch für die Genese vermeintlich neuer Kulturtechniken (DFW bezieht das Sampling auf Johann Sebastian Bachs ‚Französische Suiten‘, in denen Hoftänze des 17. Jahrhunderts zitiert werden).
Woher kommt die Anschlussfähigkeit ans Publikum? Sind das schon diese Samples, die auch der Weiße aus Sitcoms der 60er kennt („DJ Jazzy Jeffs Wiederverwendung der Titelmelodie von Bezaubernde Jeannie“). Hier bleibt dann beim Leser die Vermutung, dass Anschlussfähigkeit im Meer der neuen Codes und neuen Wörter – wie ständig bei DFW vorgefunden, am meisten jedoch in „Infinite Jest“ – durch Pop hergestellt wird. Der rostige Anker im tobenden Meer mit seinen unbekannten Tiefen. DFW findet für die weiße Faszination des schwarzen Rap allerdings auch andere Gründe: „Weiße haben die ‚echte schwarze Welt‘ schon immer gern angestarrt, am liebsten aus der Ferne und auf der flotten Durchreise nach Geschäftshausen.“
Zuletzt und zurück zur Poetologie. Sampling ist bei DFW, ist bei nahezu jedem Autor der Gegenwart als legitime Technik angekommen, „und das alles im Namen des uralten ästhetischen Prinzips der Mimesis! Plato lebt, und zwar in der City!“ Ununterscheidbar ist manchmal, wo die Literatur Techniken des Rap nutzt (offensichtlich bei Dorota Masłowska, schon hintersinniger bei Junot Díaz) oder dann doch der Signifying Rapper „im Schutz der Immunität, die jeder ‚Geschichtenerzähler‘ genießt“ (122) mit Rückgriff auf die Traditionen reimt. Es zeigt aber: Alles ist interessant, alles kann literarisch relevant werden, solange es bei der Dichotomie des Eigenen/des Fremden bleibt und nicht das Eigene als das Eigene ausgestellt (deutsche Debütantenliteratur allzu oft) oder das Fremde als das Fremde im Nichts der blinden Verweise stehen bleibt. Was nicht unseren Vorstellungen entspricht, ist im besten Falle nämlich eben das: scheißinteressant.
David Foster Wallace, Mark Costello: „Signifying Rappers – Warum Rap, den Sie hassen, nicht ihren Vorstellungen entspricht, sondern scheißinteressant ist und wenn anstößig, dann bei dem, was heute so abgeht, von nützlicher Anstößigkeit“, übersetzt von Ulrich Blumenbach, KiWi, 228 Seiten, 12,99 Euro. / Hier geht es zum Mitschnitt in 1LIVE Plan B mit Moderatorin Christiane Falk