Vor einem Jahr wurde der iranische Musiker Shahin Najafi mit einer Todes-Fatwa belegt. Er musste abtauchen, stand lange unter Polizeischutz. Jetzt erscheint sein erstes Buch: „Wenn Gott schläft“.
Als der Musiker Shahin Najafi, vielfach als „iranischer Eminem“ bezeichnet, vor acht Jahren Asyl beantragten wollte, ging er direkt zu einem Polizeirevier in Frankfurt und streckte den Beamten seine Arme entgegen, damit sie ihn in Handschellen legten. Doch er wurde nicht festgenommen. „Sie lachten. Höflich begleiteten sie mich zu einem Kleinbus und ließen mich zu einem Erstaufnahmelager bringen.“ Inzwischen ist Najafi die deutscher Staatsbürger. Er spielt weltweit auf Konzerten, gibt viele Interviews. Morgen wird er in der „Akademie der Künste“ in Berlin anlässlich einer Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung auftreten.
Najafi ist ein gern gesehener Gast. Er hat viele Fans. Seine Videos werden im Netz hunderttausendfach angeklickt. Im Iran wurde er dagegen zum „Public Enemy“ erklärt und alles, was amerikanische Rapper oft nur zu Inszenierungszwecken aufbieten, kennt Najafi aus gefährlicher Nähe: Sein Gesicht im Fadenkreuz, wüste Beschimpfungen, Todesdrohungen aus fremden Lagern. In den Augen radikalislamischer Religionswächter ist er ein „dead man walking“. Auf seinen Kopf sind 100.000 Dollar ausgesetzt. Im Erstaufnahmelager dachte er: „War das ein Gefängnis? Ein gemachtes Bett daneben ein Waschbecken und ein paar Schlappen. Ich musste an die iranische Untersuchungshaft denken. Ich erinnerte mich an die Tage, in denen ich Zigarettenkippen rauchte, an die Kasernenzellen zur Zeit meines Militärdienstes, wo man sich vor Kälte zusammenkauern musste. Ich war in Deutschland, im Land von Nietzsche, Beethoven, Marx, Engels, Habermas…“
Sieben Jahre später, am 8. Mai 2012 veröffentlicht Najafi seinen Song „Naghi“. Auf dem Cover: Die bunte Regenbogenflagge der Homosexuellen, auf einer Moscheekuppel in weiblicher Brustform steckend. Der Titel selbst bezieht sich auf Ali al-Hadi an-Naghi, einem der zwölf Imane der Schiiten, die als direkte Nachfolge des Propheten Mohammed gelten. Naghi lebte beinahe ein Leben lang unter Hausarrest, bevor er von den Machthabern im neunten Jahrhundert vergiftet wurde. Im Songtext ruft Najafi diesen Heiligen an, „beim herzfurzenden Ableben des Imams, bei den Fossilien der Politiker in der Fremde.“ Wenige Stunden später ist Najafi zum Tode verurteilt. Eine allgemein gehaltene Fatwa, die Großajatollah Lotfollah Safi Golpaygani zwei Wochen zuvor ausgesprochen hat richtet sich nun direkt gegen den 1980 geborenen Musiker. Najafi kommt unter Polizeischutz. Er wird von Günter Wallraff versteckt. Es gibt etliche Medienberichte. Außenminister Guido Westerwelle wird aufgefordert, den iranischen Botschafter einzubestellen. Die deutsche Öffentlichkeit soll für Najafi auf die Straße gehen. Beides unterbleibt.
Im Juni veröffentlichen mehrere Künstler, darunter Doris Dörrie, Volker Schlöndorff, Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen einen Solidaritätsaufruf. Ab diesem Moment ist Najafi ein Symbol. Er wird mit dem indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie („Die satanischen Verse“) verglichen, gegen den 1989 eine Fatwa verhängt worden war. „Es gab viele Berichte, in Zeitungen, Radiosendungen, im Fernsehen“, erinnert sich Najafi. „Mich haben Talkshows angefragt, die ich aus Sicherheitsgründen abgelehnt habe. Ich wollte auch nicht die ganze Zeit mit meinem Gesicht in der Öffentlichkeit stehen.“
Heute sitzt Najafi in Köln auf dem Sofa, das frisch aus der Druckerei gelieferte Buch erst seit wenigen Minuten in der Hand. Der Polizeischutz wurde inzwischen zurückgefahren. „Aber die Polizei weiß weiterhin, wo ich wohne.“ Najafi wirkt kein bisschen aufgeregt, eher angestrengt, weil diese Fatwa wie ein Label an ihm klebt, das er am liebsten abschütteln würde. „Mir geht es um die Musik. Ich verstehe Menschen, die in solchen Dingen zurückhaltend sind, die nicht sofort auf die Straße rennen. Denn sie haben Angst. Sie wollen ihre Sicherheit nicht verlieren. Nicht nur in Deutschland. Das ist überall so.“
Davon, was „überall so ist“ erzählt Najafis Buch „Wenn Gott schläft“. Es verbindet Erinnerungen an seine Zeit im Iran, an erste Auftritte in Deutschland, an die Monate nach der Fatwa mit Gedichten und Songtexten, behutsam erläutert vom deutsch-iranischen Bundestagsmitglied Omid Nouripour (Die Grünen). Es ist keine Klageschrift geworden, kein reisserisches Monument der Angst, nicht einmal eine Kampfansage. Wenn Najafi schreibt, dass im Iran eine Männerquote an den Universitäten eingeführt werden musste, weil zwischenzeitlich zwei Drittel der Studierenden weiblich waren, wenn er von seiner einstigen Religiosität und den „bad boys“ berichtet, die mit Mädchen auf dem Mofa durch Teheran kurvten, während er und seine Freunde beteten, dann erzählt er von allgemeingültigen Empfindungen. Seine Texte erzählen anspielungsreich von der neuen Hinwendung des iranischen Volks zu Mythologie und Mystik, von bezahlten Beamten, die nach dem Dienst Taxi fahren müssen, aber auch von einem kleinen Jungen, der in einer Kindersendung im iranischen Fernsehen auf die Frage „was er schon selber machen könne“ antwortet: „Auf dem Klo mache ich meinen Pipimann selber sauber.“
Najafis Buch beweist Humor. Vielleicht weil sich mit dieser Haltung am ehesten Menschen auf der ganzen Welt erreichen und für den Kampf gegen eine Diktatur mobilisieren lassen. „Das iranische Volk ist jung – und depressiv“, schreibt Omid Nouripour in einer seiner Erläuterungen. „Iran hat die höchste Selbstmordrate der Welt unter jungen Menschen. Die Auswanderungsrate der Akademiker ist ebenfalls die weltweit höchste. In Teheran ist ein Schuss Heroin billiger als ein Liter Milch.“ Aus diesem kranken Land ist Najafi geflohen. Trotz Freundin. Trotz der vielen Partys, die er dort feiern konnte. Obwohl seine Familie weiterhin dort lebt. In Deutschland musste er sich zunächst durchschlagen, in Fastfoodrestaurants arbeiten, bei einem Teppichhändler Kunden die Tür aufhalten. Mit seiner Musik konnte er kein Geld verdienen. Bis heute ist er bei keinem großen Label unter Vertrag. Sein Manager Shahryar Ahadi ist eigentlich Fotograf. „Wir haben unsere Plattenpromo und sind total Underground. Wir verkaufen unsere Musik im Netz als Download und als CD.“ Von YouTube-Klicks wird kein Exilkünstler reich.
Kontakt zur deutschen Rapszene hat Najafi nicht, vielleicht auch deshalb, weil er längst in anderen Genres unterwegs ist, im Blues, Rock, Jazz. Mit der Bezeichnung „iranischer Eminem“, die ihm eine deutsche Zeitung verpasst hat, kann er nichts anfangen: „Ich habe keine Probleme mit Eminem, außer mit seiner Moral. Eminem hat Probleme mit Homosexuellen. Eminem beleidigt Frauen. Das ist meine Grenze. Ich unterstütze die Frauenrechte, ich unterstütze Homosexuelle.“ Dem Wahnsinn setzt Najafi Vernunft entgegen, die tatsächlich geschult ist an Nietzsche, Marx, Engels, Habermas. Er beschäftigt sich viel mit Sprache. Dass sein Deutsch exzellent sei, weist Najafi entschieden von sich, denn er habe keine deutsche Freundin, keine deutschen Freunde, er spräche auch daheim selten Deutsch. „Ich war auf der Volkshochschule. Als Asylbewerber musste ich für den eigentlich 400 Euro teuren Kurs nur 100 Euro bezahlen. Da ich damals 204 Euro vom Staat bekam, war das dennoch eine Menge. Aber es hat sich ausgezahlt.“
Denn nun können ihm alle zuhören, auch wenn er die Sache mit der Fatwa am liebsten vergessen würde. Nach seiner dreimonatige USA-Tour Ende vergangenen Jahres konnte wenigstens der Polizeischutz zurückgefahren werden. „Das iranische Regime hatte Zeit, sich um andere Probleme zu kümmern.“ Die Freiheit, seine eigene, die seiner Landsleute ist ihm wichtiger als Anklagen gegen den Großajatollah, der ihn verurteilt hat, wichtiger als ein kräftezehrendes Leben im Schatten dieses fürchterlichen Urteils, gegen das er seiner Meinung nach nichts ausrichten kann. Najafi hofft, dass die Sache irgendwann ausgestanden ist, dass er unbesorgt auftreten, dass er unbesorgt leben kann. Bis dahin gilt: „Ich lehne diese Fatwa schlichtweg ab.“
Shahin Najafi: „Wenn Gott schläft“, mit einem Vorwort von Omid Nouripour und Günter Wallraff, Kiepenheuer & Witsch, 160 Seiten, 8,99 Euro