1LIVE Klubbing konnte 2009 aus den Vollen schöpfen: Eine frivole Waldorfschülerin elektrisierte unsere Jungs, ein Berliner schickte seinen Held ins Paradies,Frank Schätzing fuhr mit dem Aufzug zum Mond – und Uwe Wöllner zog die Jeansjacke aus.
”Du sprengst gerade unser Sendeformat”, sagte 1LIVE Klubbing-Moderator, als die 18-jährige Waldorfschülerin Rebecca Martin in Aachen aus ihrem umjubelten Debüt “Frühling und so” vorlas. Da war es bereits nach Mitternacht und die Gäste warteten seit einer Stunde auf die angekündigte Sex-Lesestelle. In diesem Augenblick sah Mike nur eine Möglichkeit: “Wir überziehen in manchen Fällen bei 1LIVE Klubbing – ihr müsste jetzt schreien: Wir möchten Sex. Dann können wir das gerne machen.” Der Saal schrie! Rebecca Martin lenkte noch kurz ein: “So spannend ist es jetzt auch wieder nicht. Es ist auch ganz schnell.” Alle lachten – das Publikum wollte Literatur. Jetzt.
Schreiende Besucher, überzogene Sendungen, immer wieder ausgebuchte Säle – 2009 haben junge Schriftstellerinnen und Schriftsteller scharenweise ihre Fans animiert, das Wochenende mit Texten, Texten, Texten zu beginnen – immer freitags, von 23 Uhr bis Mitternacht. “Toll finde ich, wie kleine Verlage 2009 gepunktet haben”, sagt Mike über das Literaturjahr, “ich denke da zum Beispiel an Blumenbar mit Jasmin Ramadan und Alexaner Schimmelbusch oder auch der neu gegründete Poetenladen mit Katharina Bendixen. Diese Verlage bringen mit sehr viel Liebe viele interessante Sachen heraus. Und darauf freue ich mich 2010 ganz besonders.”
Neben den Neu-Berlinern Blumenbar und dem Leipziger Poetenladen schickten auch der gerade gegründete Hablizel-Verlag aus Lohmar seinen Spex-Debütanten Wolfgang Frömberg (”Spucke”) ins Rennen. Voland & Quist, die Bücher mit CD herausgeben, animierte noch vor wenigen Tagen Ahne zu neuen Zwiegesprächen mit Gott, und der Hamburger Mairisch-Verlag schickte Michael Weins mit “Delfinarium” und Finn-Ole Heinrich mit “Gestern war auch schon ein Tag” nach Köln.
In diesem Reigen konnte vor allen Dingen Thomas Klupp mithalten, Star-Debütant des Jahres, der im ebenfalls nicht allzu riesigen “Berlin Verlag” seinen Reiseroman “Paradiso” mitbrachte; die Geschichte eines notorischen Lügners, der auf dem Weg von Berlin nach München seinen halbseidenen Charakter derart kunstvoll ausstellt, dass es für diese Glanzleistung Vergleiche in Richtung Thomas Manns Hochstapler “Felix Krull” bis Christian Krachts “Faserland” hagelte.
”Sehr stark war auch die Entertainmentfraktion”, sagt Mike und erinnert sich an das “Feuchtgebiete”-Gegenstück “Fleckenteufel” von Heinz Strunk, an David Safier, der nach dem modernen Buddha-Roman “Mieses Karma” nun Jesus in Malente stranden lässt (“Jesus liebt mich“), an “Macho Man” Moritz Netenjakob und Sarah Kuttners “Mängelexemplar”. Unvergesslich war Uwe Wöllner (Christian Ulmen), der mit Fake-Redakteur “Herrn” Gero Schorch angereist war, um seine Autobiographie “Für Uwe” vorzustellen. Bei einem der vielen Fremdschäm-Momenten des Abends legte Uwe seine Jeansjacke ab, weil ihm O-Ton: “schweineheiß” wurde, um direkt im Anschluss das Publikum zu animieren. “Ihr könnt ja auch mitmachen.” Pubertär, immer daneben, auf peinliche Art und Weise fröhlich – dass der grenzdebile Uwe Wöllner, aus seinem Buch lesen konnte, sogar recht flüssig, erschien dieses Mal wie ein Wunder.
Ein besonderer Gast reiste sogar von New York zu 1LIVE: der mit österreichischem Akzent sprechende Amerikaner John Wray mit seinem unfassbar guten Roman “Retter der Welt”, eine Geschichte über den 16-jährigen Lowboy, der aus einer Nervenheilanstalt ausbricht und im U-Bahn-Netz von New York verlorengeht. Absolut großartig, “Ich habe bei dem Roman mit mir selber als 16-Jährigen angefangen”, verriet John während der Sendung, “was war mir wichtig, welche Ängste habe ich gehabt? Und an eines kann ich mich immer noch ganz klar erinnern: Ich habe auch eigentlich gemeint, dass ich, wenn ich niemanden finde, der mit mir Sex hat, dass die Welt deshalb untergehen würde.”
John Wrays Welt ist selbstverständlich nicht untergegangen, er hat es sogar geschafft, noch ein paar Welten zu erfinden. Wie alle anderen Gäste, die 2009 1LIVE Klubbing mit ihren Texten und Welten und Gedanken beehrten. In den vergangenen Tagen gab es einen Sternschnuppenregen über Deutschland, als Staubreste des erloschen Asteroiden Phaedon beim Eintritt in unsere Atmosphäre verglühten. Verglühen wird hoffentlich keiner der Autoren dieses Jahres – aber an Sternschnuppen erinnerten die meisten dann doch. Weil sie leuchteten.
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