„Es ist grausam, nicht ertragen zu können, was man liebt“, erkennt die alleinerziehende Heldin am Ende von Bettina Steinbauers Debütroman „Zwei im Sinn“. Klara Marxen, eine durch und durch moderne Frau, lebt von ihrem Gatten getrennt. Ihr Leben gestaltet sich dennoch wohltemperiert, da ist kein Platz für Dramen. Die gut organisierte Akademikerin ahnt nichts vorm bald hereinbrechenden Liebeschaos. Behält sie permanent „Zwei im Sinn?“ Nein. Es ist die große Stille vor dem Sturm.
Die drei Kinder wohnen abwechselnd bei ihr, dann wieder bei Vater Heinrich und seiner neuen Frau Marlene. Alles wirkt reibungslos geklärt. „Klamottenkauf und Lernerei übernehme ich, Heinrich ist für Sport und Arztbesuche zuständig. Vor Elternabende drücken wir uns beide.“ Klara arbeitet als Öffentlichkeitsangestellte und Mädchen für alles bei einem physikalischen Institut, sichert in beruflichen Stressphasen „das Leben meiner Kinder mit Fremdbetreuung und Tiefkühlpizza. Am Wochenende werde ich sie ausgiebig verwöhnen.“ Sie ist ein praktischer Mensch, eine naturliebende Rucksackträgerin, die nebenbei Alltag, Arbeit und Kinder, Küche, Kirche schultern kann. Doch plötzlich taucht Arthur auf, ein ebenso glamouröser wie streitbarer Physikprofessor, ein raumfüllender, körperlich und intellektuell imposanter Mann. „Die Masse Mensch erschreckt ein wenig“, gesteht Klara schüchtern. „Ein Berg steht vor mir.“ Selbst in seinem Nachnamen „Eisenberg“ erhebt sich das Kolossale: Arthur Eisenberg! Das klingt unbezwingbar nach Mount Everest. Bettina Steinbauer charakterisiert Arthur im Interview als „Berseker, als Spieler, als Provokateur.“
Arthur ist verheiratet. Er hat vier Kinder aus zwei Ehen. Er verfügt über einen unstillbaren Hunger. Wie eine überfällige Raupe frisst, säuft und rüpelt sich dieser nimmersatte Bonvivant durchs volle Leben. Doch als Klara ihn anfangs fragt: „Mögen sie ihre Frau“, sagt er wahrheitsgemäß: „Ja, ich mag sie. Sehr sogar.“ Und dann ist es erst einmal still. Klaras Herz klopft. „Vorsichtig streift mir Eisenberg mit seiner Serviette über den Arm.“ Klara verfällt diesem faszinierenden, diesem ebenso lauten und machtbesessenen wie zarten und empfindsamen Mann. Während Arthur auf dem Podium Fragen beantwortet, „und sein Mund wissenschaftliche Sätze formuliert, tippt er unter dem Tisch auffordernde Buchstaben“, mit dem Mobiltelefon, an seine Gespielin: „Rapunzel, steck‘ die Haare hoch!“ Und Rapunzel, alias Klara, gehorcht. Das ist eine klassische Amor fou, in der es keinen Marx, nur die kleine Marxen gibt. Bettina Steinbauer hat kein Mitleid mit ihrer Debütheldin. „Es ist grausam, nicht ertragen zu können, was man liebt.“
„Zwei im Sinn“ erzählt von der großen Sehnsucht und vom kleinen Gefühl. „Abends, wenn ich mein Buch zugeklappt und das Licht gelöscht habe, schlafe ich auf der rechten Seite ein und wache am Morgen auf der rechten Seite wieder auf. Das zweite Kopfkissen hat einen Besitzer bekommen und wartet auf der linken Seite.“ Klara legt Hoffnungen in diese Beziehung, wünscht sich eine Zukunft, wo sie keine Zweitfrau-Rapunzel Arthurs sein muss: „Liebster, ich brauche keine Ohren, um Dich zu hören, keine Augen, um Dich zu sehen, meinen Mund lasse ich ohne Worte sprechen und mein Herz braucht keine Antwort, um bei Dir zu sein. K.“
Wird diese entwurzelte Frau rastlos bleiben? Wird sie ihr Zuhause wechseln, wie ihre drei Kinder, die Wanderer sind, zwischen Vater- und Mutterwelten? Wird sie weiterhin reisen, fliehen? Im Roman ist sie ständig unterwegs, fährt nach Wien, Berlin, Straßburg, in ein kleines Dorf an der Loire, kommt dann wieder zurück, an den Rhein, nahe des Kölner Doms, wo das wahre Leben wartet. Bettina Steinbauer (Jahrgang 1964) kommt ebenfalls aus Köln, hat zwei Kinder und ist verheiratet. Mit „Zwei im Sinn“ ist ihr ein atemraubend sinnliches Debüt gelungen. Sie berichtet vom großen Hunger, von tiefen Schmerzen und hohen Gefühlen, von der Melancholie allein und vom Glück zu zweit. Scheinen die Parteien auch festzustehen, auf den ersten Seiten – die Verhältnisse werden sich drehen. So sagt die Autorin im Interview: „Arthur ist in seine Widersprüchlichkeit rund. Das ist Klara nicht.“ Was passiert eigentlich, wenn sich ihre Sehnsucht nach einer Partnerschaft erfüllt. „Wir sie bleiben?“
Bettina Steinbauer: „Zwei im Sinn“, Solibro, 272 Seiten, 19,90 Euro