Schreibt negative Bewertungen!

Sind „Die 24 Gesetze der Verführung“ von Robert Greene eine Anleitung zum psychischen Missbrauch? Eine feministische Protestaktion überzeugte den Hanser- und den dtv-Verlag, das Sachbuch final aus dem Programm zu nehmen. Eine Debatte wurde nicht geführt.

„Es ist so so schlimm“, lautet das Resümee einer Instagram-Story des Accounts @schwester_sufragette. Es geht um „Die 24 Gesetze der Verführung“ des US-amerikanischen Bestsellerautors Robert Greene, der vor allem in Managerkreisen geschätzt wird für Bücher wie „Power. Die 48 Gesetze der Macht“ oder „Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg.“ Das hier beanstandete Werk wurde 2002 vom Münchner Hanser-Verlag in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Später folgte eine um über 50 Prozent gekürzte Fassung bei dtv. Manager haben weniger Zeit als Philologen.

Eine isolierte Person ist schwach

„Die 24 Gesetze der Verführung“ sind 554 Seiten dick und stellen bereits im Vorwort klar: „Dieses Buch ist dafür gedacht, Sie mit den Waffen des Charmes und der Überredungskunst auszurüsten, so daß die Menschen in Ihrer Umgebung nach und nach die Fähigkeit zum Widerstand verlieren, ohne zu wissen, wie oder warum das passiert ist: die Kunst der Verführung in Zeiten der Empfindsamkeit.“

So schlimm ist dieses Buch angeblich, weil es nicht von Verführung berichte, sondern tatsächlich eine Anleitung zum psychischen Missbrauch sei, aufgrund von Stellen wie jene, die eine Isolation des Verführungsopfers empfiehlt, denn: „Eine isolierte Person ist schwach. Indem Sie Ihr Opfer nach und nach absondern, machen Sie es Ihren Einflüssen leichter zugänglich. Führen Sie es aus seinem vertrauten Milieu heraus, entfremden Sie es von Freunden, Familie. Heimat. (…) Im Zustand der Isolation und Konfusion, ohne Unterstützung von außen, können Sie es leicht bringen, wohin Sie wollen.“

Unterschreibe unsere Petition

Der Blog FeministischesLesen.de greift im Dezember die Geschichte des Instagram-Accounts von Schwester Sufragette auf und fordert: Eine „Anleitung zu psychischer Gewalt darf nicht im Bücherregal stehen!“. Dem Protest schließen sich unter anderem die feministische Buchhandlung „She Said“ aus Berlin an, die Autorin Jasmin Schreiber, die 2020 mit ihrem Debütroman „Marianengraben“ einen Überraschungserfolg hatte und „Germany’s next Topmodel“-Kandidatin Jana Heinisch. Feministisches.Lesen.de appeliert:

„Schreibe eine negative Bewertung für das Buch und weise auf die Gefahren hin. Schreibe den Verlagen eine persönliche Nachricht – über die Sozialen Medien oder per Email. Verbreite die Protestaktion über deine eigenen Kanäle: Unterschreibe unsere Petition.“

Zeiten ändern sich

Kontaktdaten der betroffenen Verlage dtv und Hanser werden angegeben, Links zu einschlägigen Online-Buchhändlern und der Pfad zur Online-Petition auf change.org, die 112 Unterstützer*innen findet. Das Buch wird gelesen, seziert, oft nicht komplett gelesen, sondern stattdessen zurückgegriffen auf eine kurze Online-Vorschau. Am 18. Dezember reagieren dtv und Hanser mit diesem Social-Media-Statement und nehmen das Buch aus dem Programm.

„In den vergangenen Tagen haben uns Zuschriften erreicht, die sich an dem erstmals im Jahr 2002 in deutscher Übersetzung erschienenen Buch ‚Die 24 Gesetze der Verführung’ stoßen. Der Band ist seinerzeit bei Hanser und dtv als Kulturgeschichte publiziert worden, die mit Beispielen aus der Literatur eine Phänomenologie der Verführung entwickelt. Zwischengeschaltet sind Ansprachen im Ton eines Ratgebers. Das war als Spiel mit der Form gemeint, das Buch wurde wohlwollend aufgenommen.

Zeiten ändern sich. Die gesellschaftliche Debatte zu toxischen Beziehungen und psychischem Missbrauch hat zu Recht zugenommen, ebenso die Erforschung dieser Felder. Damit einher geht eine gestiegene Sensibilität – die einen solchen Umgang mit dem Gegenstand fragwürdig macht. Das geht auch uns so. Wir haben das Buch nun erneut betrachtet, in beiden Verlagen diskutiert und werden es nicht weiter verkaufen.“

Wenn uns ein Buch nicht passt

Es folgt überraschender Weise keine Pressemitteilung. Andere Häuser veröffentlichen in solchen Situationen umfangreiche Dossiers mit Hintergrundmaterial, wie Suhrkamp nach der Literatur-Nobelpreisvergabe an Peter Handke. So würdigen Verlage, in welcher Weise sie sich unterscheiden von einer Druckerei.

Am 22. Dezember meldet sich noch einmal der Instagramaccount @schwester_sufragette mit einem zehnteiligen Posting und fragt: „(Wann) darf man fordern, Bücher aus dem Verkehr zu ziehen?“ In der Story wird offengelegt, welche Formen psychischer Gewalt in Deutschland verboten sind. Sogenannter psychischer Missbrauch, wie er angeblich propagiert wird in Robert Greenes’ Buch, gehört nicht dazu. Schwester Sufragette findet etwas Anderes – Artikel 1 des Grundgesetzes, „Die Würde des Menschen in unantastbar“, und schreibt:

„Wenn ein Buch uns nicht passt, wir mit ihm nicht übereinstimmen, wir denken, dieses Buch darf es doch nicht geben, dann haben wir also durchaus einen festen Maßstab, den wir anlegen können. Verletzt das Geschriebene die Würde von Menschen(gruppen)? Ruft es dazu auf, es zu tun?“

Explizite Verführungsstrategien

Dieses Posting bekommt 115 Likes. Dann ist Weihnachten. In den Skiorten liegt Schnee. Ebenfalls wie unter Schnee begraben sind Robert Greene und sein Buch, „Die 24 Gesetze der Verführung“. Bei Hanser ist die Hardcover-Ausgabe ohnehin seit 2010 vergriffen, nur die kleine dtv-Kompaktversion verkaufte sich im vergangenen Jahr rund 3000 Mal.

Wer dennoch ein Exemplar besitzt, der kann lesen – und sich wundern. Denn mitnichten ist dieses Buch ein Ratgeber, sondern tatsächlich eine Kulturgeschichte der Verführung. Es argumentiert entlang zahlreicher Schriftsteller der Weltliteratur von Ovid bis Shakespeare. Heinrich Manns „Professor Unrat“ ist selbstverständlich auch vertreten.

Das inkriminierte Kapitel über die Wahl des richtigen Opfers erzählt von Søren Kierkegaards „Tagebuch des Verführers“, von Kleopatra und Marcus Antonius, von Napoleon, der das französische Volk verführte. Die beiden letzten Kapitel analysieren explizit Verführungsstrategien in Politik und Werbung. Der Ton ist unterhaltsam – und ironisch. Deutlich wird: „Die 24 Gesetze der Verführung“ wollen selbst verführen.

Vom Grundgesetz unberührt

Diese Kongruenz von Form und Inhalt ist ein Stilmittel, und weil es ein Stilmittel ist, berührt der gut gemeinte Erregungssturm gegen dieses Buch die sensible Frage, nach der Statthaftigkeit manipulativer Erzählverfahren. Gibt es nicht nur Inhalte, sondern auch Formen des Erzählens, die in unsere empfindsame Gegenwart desavouiert?

Wer Robert Greene aus den Bücherregalen verbannen will, der muss auch die zitierten Werke streichen: den „Tristan“ des Gottfried von Straßburg, Flauberts „Madame Bovary“, Stendahls „Über die Liebe“ – sie alle erzählen von verführerischen Mächten, und können psychischer Gewalt motivieren. Auf dem Klappentext des Buchs ist die Dialektik augenfällig durch diesen Hinweis: „Ein Muss für alle, die Einfluss gewinnen oder sich vor falschen Verführern schützen wollen.“

Ein Dunkelfeld unserer Gesellschaft

Vom Grundgesetz wird Literatur selbstverständlich nicht berührt. Das Grundgesetz regelt – vereinfacht gesagt – das Verhältnis der Bürger zum Staat, nicht das der Bürger untereinander. So erscheint die Causa Greene am Ende zweifelhaft aufgrund ihrer pseudojuristischen Argumentation, aufgrund der böswilligen Falsch-, Viertel- und Nichtlektüre des Buchs, aufgrund des moralischen Furors, der vermuten lässt, wenige hätten Robert Greene, viele jedoch Georg Francks „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ gelesen.

Psychische Gewalt ist ein schreckliches Dunkelfeld unserer Gesellschaft, auf sie aufmerksam zu machen bleibt ein honoriges Anliegen. Die Ächtung eines ästhetischen Werks ist es dagegen nicht, die eher stille Entfernung dieses Werks aus einem Verlagsprogramm ebenso wenig. Wie konnte es passieren, dass ein Buch geradezu klammheimlich vom Markt genommen wurde?

Bis jetzt wurde die Chance zu einem echten Diskurs über Ästhetik, über Moral, über psychische Gewalt leichtfertig vertan. Man könnte diese Diskussion beginnen entlang Robert Greenes „Die 24 Gesetze der Verführung“, nicht in der gekürzten, sondern in der umfangreichen Version. Dafür müsste es nur: erhältlich sein.

Jan Drees

Ich bin Redakteur im Literaturressort des Deutschlandfunks und moderiere den „Büchermarkt“.

Im Jahr 2000 erschien mein Debütroman „Staring at the Sun“, 2007 folgte ein überarbeiteter Remix des Buchs. Im Jahr zuvor veröffentlichte der Eichborn-Verlag „Letzte Tage, jetzt“ als Roman und Hörbuch (eingelesen von Mirjam Weichselbraun). Es folgten mehrere Club-Lesetouren (mit DJ Christian Vorbau). 2011 erschien das illustrierte Sachbuch „Kassettendeck: Soundtrack einer Generation“, 2019 der Roman „Sandbergs Liebe“ bei Secession. Ich werde vertreten von der Agentur Marcel Hartges in München.

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