Die Literaturszene ist in Aufregung, weil Frank Schirrmacher mit „Ego“ eventuell Murks abgeliefert hat, wie so oft. Ob dieses Bashing auch durch die Konkurrenz zwischen Welt und FAZ (erst das Krimiding, dann die Suhrkamp–Posse) befeuert wird, kann als Spekulation gelten. Wen wundert da eigentlich noch die intellektuell bizarr überhöhte Axolotl Roadkill-Debatte, bei der ein Plagiat zur Genette-Kunst gepimpt wurde?
Der arme Frank Schirrmacher – irgendwie tut er mir ja leid. Ist schließlich nicht der einzige Schluderer. Bei Volker Weidermanns „Buch der verbrannten Bücher“ bestätigten mir ausgewiesene Exilspezialisten, dass hier sogar die krassesten Fehler von Jürgen Serke wiederholt werden. Und bei dem fürchterlich kitschigen „1913“ von Florian Illies hatte ich das Gefühl, die Lasker-Schüler-Biographie von Sigrid Bauschinger ein zweites Mal zu lesen. Um den Unterschied zwischen echter, akribischer, werthaltiger Arbeit und schnellem Runtertippen sehen will, der kaufe sich einmal die grossartige [amazon asin=3518421727&text=Max-Frisch-Biographie von Julian Schütt], in jahrelanger Forschung entstanden und lege das überraschend dicke Büchlein von Volker Weidermann daneben. (Nichts an dieser Biografie ist begeisternd – sie ist einfach nur fürchterlich.) Es wird zu viel zu schnell geschrieben.
Die facebook-Diskussion (leicht gekürzt).
Richard Lorenz schnell schreiben ist zur mode geworden… Jan Drees und es wird zu schnell gelesen, weil der Druck in den Redaktionen immens ist – und Tiefenrecherche ein Superluxus wird. Seiten bauen, Freie betreuen, eigene Texte schreiben, Klatsch recherchieren (den das Feuilleton braucht, das liebe ich ja gerade daran), dann bei Gerichtsterminen sitzen (wg. Suhrkamp), ständig ist irgendein neuer „Starautor“ zu Gast und das Halbwertszeit eines Buches sinkt auf unter 4 Wochen. Der lange Atem wird niemandem gegönnt. Dann besser schnell wegloben und interviewen (SPIEGEL bei Schirrmacher) und wieso habe ich „1913“ nicht genauer untersucht? Weil ich keine Zeit hatte, weil mich eine Recherche zur Buchhändlerausbildung im vergangenen Jahr schon sechs Wochen gekostet hat: für quasi „nichts“. PS: Ich lese Schirrmacher dennoch im Urlaub.
Kornelia Roßkothen Und Heerscharen von Korrektoren und vermutlich auch Lektoren sind entlassen worden. Jan Drees ja, das kommt hinzu – manchmal haben selbst Lektoren in den besten Verlagen nur 3 Tage Zeit für einen Roman— übermüdet sind die eh alle. Jakob Vicari Ich melde mal vorsichtige Zweifel an dieser Erklärung über Temporalstrukturen des Literaturbetriebs an… Warum zeit? Jan Drees lieber Jakob, es werden mehr Bücher im kürzen zeitraum für eine immer kürze Marktphase produziert (Backlist war einmal).Schirrmacher ist heute erschienen – liegt aber mit 4 Gebrauchtexemplaren bereits im Amazon-Markteplace. „1913“ von Illies gibt es ab 11,99 Euro gebraucht bei Amazon.
Max Christian Graeff Es ist genau so, wie Du sagst, Jan. Seitdem alles zur Dienstleistung geworden ist und outgesourced und deligiert wird, ist es sogar in den kleineren Verlagen angekommen. Alltag: Da kommt ein fertiger Umbruch mit der Bitte: „Schnell nochmal drüberlesen“. Man tut dies, stellt neben vielen Fehlern auch inhaltliche Unlogik und Peinlichkeit fest, macht zwei Nächte lang Anmerkungen und Rettungsversuche, man mahnt das komplette Fehlen und den Bedarf eines Lektorats an (und kriegt zurück: Na, Du solltest ja schnell nochmal drüberlesen). Dann setzt ein fremder Grafiker ein paar Korrekturen um, baut in den ihm unbekannten Inhalt neue Fehler ein, der Autor reklamiert Einmischung von unbekannter Seite, der Verlag schliesst das File und es wird gedruckt. Man schreibt eine Rechnung über 150 Euro (was, so viel? Es ging doch nur um ein paar Fehler) und wünscht sich als nächsten Tagelöhnerjob einen Bagger und ein Abbruchhaus.
Jan Drees wer also heute, am Tag des Erscheinens (der freilich nicht stimmt, weil der Verlag trickst und das Buch garantiert schon vor einer Woche ausgeliefert hat) EGO rezensiert, der kommt „zu spät“, ich hörte vorhin schon: „Das Thema ist ja quasi durch“, In mein „Letzte Tage jetzt“ hat Eichborn damals über 150 Fehler reingebaut! dann beim Cover Fehler gemacht (sodass es rosa wurde), hinterher in der zweiten Auflage zwar die Fehler alle aufgelistet bekommen – aber „oh, haben wir vergessen, nachzutragen“. Denk‘ nicht, beim Kassettendeck war es anders. Da liefert der eine Lektor ein hervorragendes Manuskript ab und der andere verrumst es durch Formatisierungsfehler und am Ende sind nur 50 % des Covers gedruckt, weil man eine Fläche vergessen hat, mitzudrucken. Nach „Letzte Tage, jetzt“ hatte ich erstmal keine Lust mehr zu schreiben. (an dem Teil habe ich damals 5 Jahre gearbeitet) und, habe ich das Paul Brodowsky jemals gesagt? Die machen aus dem Satz: „Sie packt ihre Milch Holz Katzen-Bücher ein“ – „Sie packt Milch, Holz und Katzenbücher ein.“ Damit genau das nicht passiert habe ich dem Lektor vorab sogar das Buch geschenkt. Und? Hat er reingesehen? Nein. Die rechte habe ich dann zurückgeholt. Irgendwann schreibe ich’s neu
Jakob Vicari Mein lieber Jan, ich habe meinen Kittler gelesen und würde nachhaltig in Zweifel ziehen, dass Bücher in der langsamen Zeit besser waren. Kornelia Roßkothen Max Christian Graeff So ähnlich hatte ich mir das vorgestellt. Florian Voß aber Illies mal auseinander nehmen, das wäre unbedingt nötig. Mir sowieso ein Rätsel, warum der so eine Wichtigkeit bekommen hat, insbesondere als Feuilletonist. Jan Drees Lieber Florian, das ist ja nicht schwer – man kaufe sich die Bauschiger-Biographie und lege diese neben „1913“ . Ich habe dazu gerade nur keine Zeit (ich muss ja noch meine Bücher zu Ende, also wirklich wie immer: Bis zum ENDE lesen!) – das erlaubt mir übrigens der Rundfunkbeitrag. Peter Glaser Man muß praktisch auf den an der Druckvorbereitung Beteiligten draufsitzen, dann geht’s. So habe ich es (unter Schwierigkeiten) geschafft, in meinem Erzählband „Geschichte von Nichts“ auf Seite 23 und 42 jeweils ein Rufzeichen neben der Seitenzahl unterzubringen. – „In Love / dear love / my love / detail is all.“ (W. C. Williams). Rufzeichen = Ausrufezeichen. Austriazismus. Florian Voß Es geht aber auch anders: letzte Woche habe ich mit meinem Herausgeber und Lektor Johannes Frank drei Tage an einem 6-Seiten-Text gearbeitet. Gut, das läuft dann natürlich auf Selbstausbeutung hinaus. Aber wenn man in erster Linie Lyriker ist, kann einen das ja nicht schicken.
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