Panikattacken, Imbisshexen, sarkastische Senioren und Einstiegskokser bevölkern den schillernden Roman „Das Schwein unter den Fischen“ von Jasmin Ramadan. Kann sie ihren Erfolg aus „Soul Kitchen“ wiederholen?
Mit der Verfilmung ihres ersten Romans war Jasmin Ramadan schnell im Gespräch. „Soul Kitchen“ begeisterte Fatih Akin, begeisterte die Kritik, begeisterte die Zuschauer. Das war Glück. Gleichzeitig strauchelte ihr Verlag „Blumenbar“ (bekannt durch Airen, Raul Zelik, PeterLicht) und die Autorin musste sich woanders umsehen – ihr jetziger Roman ist im Internet noch als „Fermanns Spezialitäten“ bei Blumenbar angekündigt. Inzwischen heisst er „Das Schwein unter den Fischen“ und erscheint bei Tropen. Man kann Blumenbar nur wünschen, dass es ihnen ergeht wie dem neuen Verlag von Jasmin Ramadan.
Nachdem Tropen eigenständig ins Rampenlicht rückte mit Autoren wie Jonathan Lethem und Christine Angot ist er schnell beim großen Verlagshaus Klett-Cotta untergekommen. – Es sind turbulente Zeiten in der deutschen Buchbranche. Es gibt große Umzüge von Frankfurt nach Berlin (Suhrkamp). Es gibt Übernahmen internationaler Häuser (Bloomsbury verkauft den Berlin Verlag an Piper) und spektakuläre Neugründungen (Hanser Berlin). Die Beschaulichkeit ist vorbei. Da passt Jasmin Ramadans Buch mit seinem aberwitzigen Personal und den Achterbahn ähnlichen Wendungen perfekt in diese Zeit.
Sie erzählt die nervenaufreibende „Coming of Age“-Geschichte von Stine. Nachdem sie von ihrer Mutter, einem französischen Au-Pair, bei Vater Reiner zurückgelassen wurde wie Moses einst in seinem Körbchen, gerät sie in einen reissenden Lebensfluss. Mutti bleibt abwesend und Stine muss sich Legenden ausdenken, um die verquere Situation zu rechtfertigen. Ihr Vater ist Imbissbudenbesitzer („Fehrmanns Spezialitäten“) und was er für Erziehung hält, ist lieb gemeinte Folter. Nachdem Stine als Kind ihre erste Panikattacke erleidet, „schloss er mich in unser Bad ein, bis ich nicht mehr wie am Spieß schrie und verzweifelt nach Luft schnappte. Als Belohnung bekam ich zum ersten Mal Taschengeld. Für jede Minute, die ich es ausgehalten hatte, zehn Pfennig. Ab diesem Tag sperrte Reiner mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Toiletten, Keller, Besenkammern, von außen mit breitem Klebeband umwickelte Telefonzellen oder schloss mich bei schlechtem Wetter auch mal in meinem eigenen Zimmer ein.“
Zu dieser, gelinde gesagt „unkonventionellen“ Art, Ängste abzubauen, gehört Reiners Vorliebe für seinen Autofahrermix „Rock Romance“, der ebenso abgeschmackt ist wie seine reale Rock-Romanze zu Ramona. „Ramona war zum Traurigsein immer zu besoffen. Mein Vater hatte sie trotzdem geheiratet – eine Frau, die, wenn ihr doch mal schlecht vom Saufen wurde, laut rückwärts zählte und dabei ihren Scheitel rieb. Sie hatten sich kennengelernt, als ich vier Jahre alt war und wir noch bei meinen Großeltern lebten. Eines Morgens nach der Frühschicht in der Brötchenfabrik hielt mein Vater an der nächsten Tankstelle, um bei einem stark gezuckerten schwarzen Kaffee und ein paar Mentholzigaretten die Wohnungsanzeigen zu studieren. Ramona hatte gerade Schicht und fauchte auf sein freundliches „Tach, schöne Frau!“ heiser zurück: „Schön war ich gestern Nacht!“
In diesem verraucht-klebrigen Klima, das scharf am Unterschichtendasein kratzt, schafft Stine dennoch ihr Abitur. Auf dem Weg dorthin wird sie öde entjungfert, mit Koks geködert, von einer Hexe im Imbissbudenvorraum zu „Sitzungen“ eingeladen. Sie schlägt sich mit Tante Trixi rum, die eine „Agentur für homosexuelle Seitensprünge, deren einziges Mitglied sie selbst war“, gründet. Als Pflegefachkraft trifft Stine später auf Kolleginnen, die herzzerreißend um kranke Meerschweinchen trauern und ihr Auto nicht durch den TÜV kriegen. Selten wirkte es abschreckender „was mit Menschen“ zu machen.
Was in der Realität nervt, diese ganz Distanzlosigkeit obskurer Persönlichkeiten, ist in Romanen oft unterhaltsam. So auch hier. Jasmin Ramadan lotst ihre Heldin durch etliche Stromschnellen, lässt sie von einem schwulen Psychiater therapieren, von Gastnonnen aus Indien besuchen, von aufgeblasenen Modelscouts nerven. Zum Schluss trifft sie einen schlüpfrigen Straßendirgenten. Chaos pur. Eine versöhnliche Weisheit bleibt allerdings im Gedächtnis hängen: „Das Leben ist ein Fass voll einfacher Lösungen, man muss es nur anstechen!“
(Jasmin Ramadan: „Das Schwein unter den Fischen“, Tropen, 272 Seiten, 17,95 Euro)