Gleich mehrere Preise sackte Schauspielerin Verena Güntner für verschiedene Ausschnitte ihres Debütromans ein. „Es bringen“ erzählt von Erwachsenwerden in der Hochhaussiedlung – mit One Night Stands, Freibadnachmittagen, Pegelsaufen.
Etliche Schauspieler stürmen neuerdings die Bestsellerlisten. Theaterstar Joachim Meyerhoff ist mit seinem Roman „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ seit einem Jahr in den Top 20. Karen Köhler („Wir haben Raketen geangelt“) und Robert Seethaler („Ein ganzes Leben“) veröffentlichen im renommierten Hanser-Verlag, bekommen Preise, dutzendfache Interviewanfragen, Applaus. Jetzt folgt der Roman „Es bringen“ von Theaterschauspielerin Verena Güntner aus Ulm. Die 36-Jährige wurde mit dem Kelag-Preis beim Bachmann-Wettlesen 2014 in Klagenfurt ausgezeichnet (hier) und war Finalteilnehmerin beim Open Mike 2012 (hier) – jeweils für Ausschnitte ihres Debüts. Ist sie also eine weitere Mimin, die auf den Sprung in die vordersten Listenplätze der Buchcharts ist?
Ihr Plot hat alles, was dafür notwendig ist: Der 16-jährige Luis aus der Hochhaussiedlung ist halb so alt wie seine früh schwanger gewordene Mutter, hat eine begehrenswerte Zahnlücke und kann als Gang-Meister im Mädchen abschleppen bezeichnet werden– was er inzwischen mit Wetten verschärft. Dadurch gibt es nicht nur den den schnellen Kuss, die raue Zärtlichkeit in der Freibadumkleide, den One-Night-Stand im Esso-Tankstellenklo, sondern auch Kohle von seinen oft unterlegenen Wettfreunden. „Unser Esso ist das. Die Jungs und ich hängen da jeden Abend ab.“ Beim Esso wird Kasse gemacht. Beim Esso findet das ritualisierte Wettpissen statt. Beim Esso ist Vorglühen angesagt. Luis’ Affäre Jenny mit den großen Brüsten hebt sich nach jedem Sex ein Achselhaar von ihremLover auf, das sie dann in eine der nummerierten Streichholzschachteln steckt „‚Achselhaarsammlung, ohne Scheiß jetzt?‘, hab ich sie beim ersten Mal gefragt und sie: ‚Logisch, aber nur von den Guten, den Bringern. Sei stolz, du bist einer.“
Doch der Bringer muss sich in einem harten Umfeld durchsetzen, wo 12-Jährige vom Balkon springen, die besten Kumpels mit der eigenen Mutter rummachen, „die Kurzen“ vom Wippferdchen vertrieben und um ihr Taschengeld erpresst werden. „Die Kurzen müssen zahlen, ist schon immer so gewesen. Da musste ich, da mussten Marco, die Jungs, wir alle mussten da durch. Läuft friedlich ab, da mault keiner rum.“
Vor eine Jahr erzählte Stefanie de Velascos „Tigermilch“ (ebenfalls bei KiWi in Köln erschienen) von zwei Schülerinnen in Berlin, deren Leben aus Gelegenheitsprostitution, Alkoholräuschen, kaputten Familien, Knast und Pornosex besteht. Verena Güntner hat das männliche Gegenstück geschrieben, mit Bier statt Mariacron und Saft, Tankstellensex statt Prostitution, einer späteren Entführung statt eines Ehrenmordes. „Es bringen“ und „Tigermilch“ sind die verwahllosten Geschwister einer neuen, krass realistischen Underdog-Literatur, in denen Hochhäuser kein bisschen cool – sondern einfach nur deprimierend sind.