Alles gut: Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse kommen etliche Sachbücher mit Heiligenschein und Retteranspruch auf den Markt. Fünf Neuerscheinungen, die Klima-Revolutionäre, Shopping- Missionare und Konsum-Rebellen begeistern werden.
Die Klima-Revolution: 100 Tipps zur Rettung des Klimas fahren Rudi Anschober und Petra Ramsauer auf, nachdem sie wortmächtig die Apokalypse beschworen haben. Selten war Öko-Geschichte packender. Auf den ersten 150 Seiten gibt es Horrorneuigkeiten aus der Gegenwart. Erhabene Eisbären ersaufen auf dem offenen Meer, weil das rettende Festland plötzlich weggeschmolzen ist. Hochwasser überflutet die Atolle Kiribatis. Der kleine Inselstaat wickelt sich vorm Untergang gerade selber ab. Der Letzte macht das Licht aus. Zynische Reiseunternehmer verkaufen währenddessen auf der Nordhalbkugel Bonzenflugreisen an Orte, die bald vom Planeten verschwunden sein werden. Woanders versinkt die Welt im Staub. Gigantische Wüsten wachsen. Der Regenwald geht ein. Immer leiden die ärmsten Völker, die diesen Klimawandel am wenigsten zu verantworten haben. Jeder muss handeln, jetzt Ökostrom buchen, Genprodukte boykottieren, Internetjunkie werden und einen Laptop kaufen. Warum das alles unser Klima schützt? Nachlesen!
„Die Einkaufsrevolution – Konsumenten entdecken ihre Macht“
Die Einkaufsrevolution: Tanja Busse entdeckt die Macht des Konsumenten. Sie fragt Unternehmen wie Ikea, warum ein handgewebter Teppich für 1,95 Euro verkauft werden kann und bringt die Deutsche Bank in Bedrängnis, weil in ihrem Aktienpaket Firmen vertreten sind, die Landminen herstellen. „In der Anlagestrategie des DWS Akkumula gibt es keine ethischen oder ökologischen Auswahlkriterien.“ Das ist nicht die ketzerische Meinung von Tanja Busse, sondern Teil der unverfrorenen Anwort vom Service-Team der Bank. Dieses Buch zieht den richtigen Schluss: „Kaufen als Bürgerpflicht“ heißt die Parole. – Warum essen wir feine Hühnchenbrüste und -schenkel, aber nicht mehr das ganze Huhn? Was passiert mit dem Restfleisch? Können wir verhindern, T-Shirts zu tragen, die von Kinderhänden genäht wurden? Warum bekommt die Politik das Gift nicht aus der Quietscheente? Warum sollten Payback-Karten boykottiert werden? „Die Einkaufsrevolution“ ist ein
Augenöffner. Tanja Busse schildert in 13 Kapiteln die brutale Realität unterschiedlicher Branchen, verweist dann auf bereits vorhandene Lösungen und listet am Ende des Buchs zahlreiche „Informationsquellen für den politischen Konsumenten“ auf.
„Shopping hilft, die Welt verbessern – Der andere Einkaufsführer“
Shopping hilft die Welt verbessern: Ins gleiche Horn, nur wesentlich amüsanter, bläst Fred Grimm mit seinem Einkaufsführer „Shopping hilft die Welt verbessern“. Im Gegensatz zu Tanja Busse geht er weniger theoretisch vor. Nach einem selbsterlebten Einführungsteil kommen Anleitungen zum politisch korrekten und vor allen Dingen auch gesunden Konsum. Wunderbar ist sein süffisanter Erfahrungsbericht aus dem australischen New-Age-Badeort Byron Bay. Hier hat Fred Grimm gnadenlos alles ausprobiert. So verbrachte er „eine Stunde in einer mit Salzwasser gefüllten Kapsel, in der man sich fühlen soll wie in Mamas Bauch. Nach 20 Minuten kam es mir vor, als wären die neun Monate schon um.“ Danach wurde er massiert und „roch plötzlich wie ein Blumenbeet“. Tatsächlich geht es in diesem Kapitel um Kosmetik aus dem Chemielabor. Die zweiseitige Anfangsschilderung soll ein augenzwinkernder Alternativ-Vorschlag zu den allergieauslösenden Chemiecocktails der Kosmetikindustrie sein.
„Falls Sie mal einen wirklich originellen Namen für Ihr Neugeborenes suchen sollten, werden Sie hier garantiert fündig. Azulene, Damar, Rutin, Zea oder Zizyphus heißt im Kindergarten garantiert sonst niemand. Die Liste ist vor allem Allergikern bekannt. Immer häufiger reagieren Menschen auf Duft- oder Konservierungsstoffe, wie sie in Kosmetika enthalten sind.“
„Goodbye, Logo“
Wer den dicken Wälzer von Fred Grimm nicht zu jedem Shopping-Ausflug mitnehmen möchte, um schnell mal nachzuschlagen, was jetzt geht und was nicht, der kann es auch einfacher haben. Der britische Lifestyle-Journalist Neil Boorman hat in einer aufsehenerregenden Aktion seine komplette Luxushabe auf einem Scheiterhaufen verbrannt und auf alle Markenwaren verzichtet. Nur das Apple-Notebook hat er behalten, aber auch dort den angebissenen Apfel rausgestanzt. Es war ein langer Weg „zum Feuer“, den Neil Boorman selbstironisch und gut nachvollziehbar hier durch den Staub, hin zu den Sternen, geht. Er charakterisiert sich selbst als Süchtigen, als Junkie beim kalten, erbarmungslosen Entzug. Dieses Buch ist mehr als ein Wortspiel mit Naomi Kleins Globalisierungskritiker-Manifest „No Logo“. Es macht deutlich, dass Marken (englisch: „Brands“) ihr Logo tatsächlich einbrennen in uns, so wie Farmer ihr Vieh mit glühenden Eisen markieren, branden – und dass wir uns beim Kauf „verkaufen“
lassen. „Je eher ich diese Mythen als das begreife, was sie sind, umso besser wird mein Leben werden.“ Einziger Wermutstropfen: Durch die Scheiterhaufen-Aktion, das signifikante Buchcover, durch die Eventisierung des „Goodbye, Logo“-Projekts ist Neil Boorman nun selbst eine Marke. Der Irrgarten Kapitalismus kennt keine Ausgangstür.
„No Shopping“
No Shopping: Judith Levine geht den radikalsten Weg des Quintetts und hat sich längst an die Spitze der Debatte geschrieben. Ein Jahr lang kaufte sie nur das Nötigste für sich, ihren Partner Paul und die diabeteskranke Katze ein – aus purem Interesse, weil es bisher niemand ausprobiert hatte. „Gut sein“ war also nicht der direkte Antrieb, eher Übersättigung nach jahrzehntelanger Shopping- Völlerei. Nur: Was ist notwendig? Gelbe Merkklebezettel? Oliven im Grünkohl? Küchenpapier oder Schwamm? Cracker? Wein? Kinokarten für einen feministischen Film aus Frankreich? „Ist es überhaupt möglich, sich dem Markt zu entziehen?“ Abendunterhaltung, Nippes, Medienträger: unwichtig! „Oder fünfzehn Dollar für eineinhalb Stunden Yoga, bei denen ich die Hälfte der Zeit kaum etwas anderes tue, als zu atmen.“ – Die Autorin merkt schnell, dass Verzicht in der heutigen Konsumgesellschaft mit Selbstausschluss gleichgesetzt werden kann. Man wird drittklassig unterhalten und kann bei privaten Partys nicht mehr mitreden, weil alle über die neueste Ausstellung, den heißen
Film, den aktuellen Bestseller reden. Deshalb ist dieses Buch so bemerkenswert. Es beschriebt ein Dilemma und nach der letzten Seite möchte man nicht weniger, aber „klüger“ einkaufen – und ist dabei glänzend unterhalten worden. Was der Verlag vielleicht nicht gerne hört: Man muss das Buch nicht kaufen. Die Stadtbibliothek leiht es bestimmt gerne aus.