Kälte, Ketten und eine Frau stoßen den Chemiker Blum ins Chaos – und den Leser gleich hinterher. Alexander Gorkow warnt in seinem zweiten Roman „Mona“ vor rumänischem Alkohol, gasenden Austern und weiblichen Augen, die an Satzzeichen erinnern.
Blum ist Spezialist für Kühlkettensysteme. Das heißt, er entwirft Tiefkühlrouten für gefrorene Lebensmittel, die vom Schlachthof zum Supermarkt, „zwischen Anbieter und Verbrauchern“, nicht angetaut werden dürfen. So schreiben es moderne Gesetze vor. „Früher trank man in Paris Weißwein zum Fisch, weil der Fisch auf dem Weg vom Atlantik bis nach Paris schlecht geworden war. Die Pariser aber lassen sich seit jeher nichts vorschreiben. Wenn sie Fisch essen wollen, essen sie Fisch. Sie wollten ihn also essen, obwohl er schlecht geworden war. Die Enzyme des Weißweins töteten die Keime, in den meisten Fälle zumindest, und wenn nicht, starben die Leute an einer Fischvergiftung.“ Diese Sätze deuten auf den weiteren Verlauf des 190-seitigen Romans hin. Man ahnt es bereits.
Im Firmenauftrag fliegt Blum nach Bukarest, um einen Kühlketten-Vertrag auszuhandeln. Dort trifft er auf den zwielichtigen Besitzer einer Schlachthofkette, auf dessen seltsame Handlanger und auf die rätselhafte Mona. Monas Augenbrauen erinnern an Gedankenstriche. Achtung! Zeichen! Ihr Name wird für Blum Programm: Mona bedeutet im Arabischen „Wunsch“. Dieser hier soll nicht in Erfüllung gehen. Der Schlachthofbesitzer füllt Blum nämlich ab. Dann nötigt er den Betrunkenen zur Unterzeichnung eines sittenwidrigen Vertrags. Anschließend erpresst er ihn mit kompromittierenden Fotos, die ein Techtelmechtel zwischen Mona und dem hilflosen Angestellten dokumentieren. Der Systemspezialist Blum ist plötzlich in ein diffuses System gefallen, das er nicht mehr beherrschen kann. Er ist in Mona verliebt, was die Sache nicht simpler macht, weil die betörende Frau vermutlich Teil des Spiels ist. Die Affäre läuft aus dem Ruder, das Buch auch. Es wird kompliziert. Tage später findet sich der Held nach dem Genuss einer verdorbenen „gasenden“ Auster (siehe oben: Fische, Weißwein, Paris) im Kühlhaus wieder. Die Rumänen werden brutal. Blum wird es auch.
Blum flüchtet mit Mona. Es folgt eine Reise von Rumänien nach Paris, ein Übergang vom mystischen, düsteren Osteuropa in den modernen, leuchtenden Westen. Eine Rettung ist das nicht. Die Rumänen tauchen wieder auf und bedrohen die interkulturelle Amour Fou. Blum, längst von Sinnen, bringt die Typen kurzerhand um. „Wenn Sie wissen, was die Liebe ist, werden Sie mich verstehen, sonst, so Sie Glück haben, werden Sie es noch lernen.“ Die leuchtende Mona bleibt dem ordnungsliebenden Chemiker währenddessen ein Rätsel, obwohl sie ihm nicht von der Seite weicht. Aber: Sie legt beim Schlafen ihren Finger an die Nasenspitze, als sei sie ihr eigenes, autopoietisches System, in das niemand eindringen kann. Ist sie wirklich unverständlich? Mona spricht dieses fremde Auslandsdeutsch, das wie eine Geheimsprache wirkt: „Sogar Ficken also von ihren eigenen Kummervögeln von Securitate horchten sie im Relaisverfahren.“ Mona wirkt wie ein blauschimmernder Luftgeist, flüchtig, unbändig, wild. Wer ist Mona?
Der rationale, arbeitende Mensch (Blum) trifft auf ein flirrendes, faszinierendes Mädchen (Mona), das seine Sinne, sein Weltbild, sein Leben auf den Kopf stellt. Natur und Geist prallen aufeinander. Altes Thema. Max Frisch hat eine ähnliche Versuchsanordnung in „Homo Faber“ hochgehen lassen. Heinrich Manns „Professor Unrath“ taumelt auf gleichen Pfaden. Goethes „Wahlverwandtschaften“ verlieren ihre Moral zwischen Kunstgarten und Waldgrotte. Das Publikum fährt auf solche Geschichten seit jeher ab. Der Süddeutsche-Zeitung-Journalist Alexander Gorkow hat mit „Mona“ offene Erwartungen eingelöst und zugleich einen melancholisch-verschrobenen Liebesroman abgeliefert, der sich ganz zaghaft vom Mainstream abhebt.
Alexander Gorkow: „Mona“, KiWi, 192 Seiten, 17,90 Euro