Linksschläger, Staatsschutz-Spezi, erst Molotow-, dann Bombenwerfer. Es geht um Ex-Bundesaußenminister Joschka Fischer . Während Christian Y. Schmidts gerade neu aufgelegte Joschka-Biographie auf Wahrheit abgeklopft wird, schauen wir uns das Ganze als Generationenroman an.
Es wird immer noch diskutiert über Christian Y. Schmidts neu aufgelegte Joschka-Fischer-Biographie „Wir sind die Wahnsinnigen“ – die erste Ausgabe erschien vor der Bundestagwahl 1998, ist also schon ein Weilchen her. In den vergangenen Tagen lieferten sich Ex-Titanic-Redakteur Schmidt und Soziologe Detlev Claussen dennoch eine Art Schlagabtausch, was nicht nur an dem neuen Vor- und Nachwort liegen kann. Nur: warum? Was ist 2013 noch interessant an den immer wieder aufgelegte Geschichten um den politisch nur noch im verborgenen aktiven Joschka Fischer, seine geworfenen oder vielleicht auch nur gereichten Steine, an seiner ewig durchdeklinierten Reise vom Linksradikalen zum Millionär – mit einem Umweg über die Stationen Turnschuhminister, Mehrfach-Gatte, Marathonläufer, Außenminister und so weiter?
Es berührt eben dann alle, die in den 68er bis Mittsiebziger Jahre keine Häuser besetzt, die in den 80ern nicht gegen Atomkraftwerke demonstriert und in den 90ern den Wahlkampf gegen Helmut Kohl nicht mitbekommen haben, wenn jemand wie Christian Y. Schmidt in akribischer Klein-Klein-Schilderung ein komplettes Milieu nachzeichnet und Radikalisierungen nicht nur behauptet, sondern im Leser provoziert: „Gemeinsam wollte man die Polizei anklagen. Die hatte sich in den Wochen zuvor nicht nur ordentlich verdreschen lassen, sondern auch selbst kräftig zugelangt. Dabei war es vor allem im Polizeigewahrsam zu üblen Exzessen gekommen – man schlug z. B. Gefangenen mit dem Hammer auf die Füße oder ließ verprügelte Opfer ihr eigenes Blut vom Zellenboden auflecken – , was nun tatsächlich an die Praxis südamerikanischer Folterknechte erinnerte.“
Interessant sind zwei Dinge: wie bereits lange aus dem Amt verabschiedete Politiker am eine junge Generation verkauft werden, die damals nicht dabei gewesen ist. Altkanzler Helmut Schmidt ist dann „der mit der Zigarette“. Margret Thatcher wird postum Chartsstürmerin. Joschka Fischer ist auf ewig der Mann mit dem Stein in der Hand. Dazu kommt, dass uns langsam die Altnazis wegsterben, weshalb nun geradezu fragwürdig an der Verfolgung sogenannter Mittäter gearbeitet wird. Aber das haut, rein nachrichtlich betrachtet, keinen mehr vom Hocker. Nun geht es an DDR- und Grünen-Vergangenheit, irgendwie muss die Maschine in Gang gehalten werden. Das Buch von Christian Y. Schmidt ist in dieser Hinsicht perfekt.
Vor 15 Jahren war es ein Stachel im Fleisch der Wahlkämpfer. In 15 Jahren, wenn vielleicht die Quellen offengelegt werden, könnte es ein historisch wichtiges Dokument sein. Heute ist es vor allem: Eine spannende Räuberpistole, die andere Joschka-Fischer-Bücher aus allein unterhaltenden Gründen übertrifft. Denn man kann „Wie sind die Wahnsinnigen“ in der Tat voraussetzungslos lesen. Man muss kein Politologe, kein Marx-Kenner, kein Grünen-Gründungsmitglied sein. Die Debatte, die sich Altlinke immer wieder mal liefern, wer wann wen oder was wie verraten hat, ist für Nichtdabeigewesene gähnend langweilig. Aber die Geschichten, die sich die Jungs da um die Ohren hauen, die sind brutalst relevant.