Was haben David Finchers „The Social Network“ mit Occupy, Arthur Rimbaud und dem Begriff der Inflation zu tun? Der italienische Marxist Franco ‚Bifo‘ Berardi schreibt mit „Der Aufstand“ begeisterungswürdig „über Poesie und Finanzwesen“.
Selbst „Deregulierung“, der Kampfbegriff des Neoliberalismus, ist aus der Kunst in den Kapitalismus gewandert. Es war der französische Dichter Arthur Rimbaud, der ein „Dérèglement de sens et des mots“ forderte, und damit „die spirituelle Skyline der spätmodernen Poesie“ schuf. So erinnert es der italienische, aktuell in Deutschland stark gehypte Marxist Franco ‚Bifo‘ Berardi in seiner 2011 entstandenen, gerade auf Deutsch erschienenen Studie „Der Aufstand“. – Sprachlos ist bei ihm nicht nur derjenige, der gerade auf seinen überzogenen Dispostand schaut. Sprachlos ist der gesamte europäische Kontinent, weil sich alle in einer Semi-Inflation befinden. „William Burroughs sagt, eine Inflation finde im Grunde dann statt, wenn mehr Geld nötig ist, um weniger zu kaufen. Ich behaupte, dass eine Semio-Inflation stattfindet, wenn man mehr Zeichen, mehr Worte und mehr Information benötigt, um weniger Bedeutung zu kaufen. Die Semio-Inflation ist ein Problem der Beschleunigung. Wenn die alte Vorstellung von der Beschleunigung der Zukunft das wichtigste Werkzeug der kapitalistischen Ziele ist, so handelt es sich dabei um eine Art Hyperfuturismus.“
Nicht nur die Gedichte Rimbauds und die Wirtschaft des Euroraums sind dereguliert, sondern quasi alle Bereiche des modernen Lebens. In jedem Winkel warten, Deleuze/Guattari folgend kleine Kriegsmaschinen, die den „Wettbewerb“ sichern, die dafür sorgen, dass wir uns im permanenten Vergleich befinden und unser komplettes Begehren auf das Überflügeln unseres Nächsten ausgerichtet ist. Nur: Wie konnte es so weit kommen? Was führte zu Wirtschaftsdepression und Burn-Out-Epidemie, zu den Revolten von London, Athen, Madrid, zum großen, in einer Spirale der Radikalisierung steckenden „Aufstand“ einer Jugend, die man um ihre Zukunft betrogen hat?
Nach Berardi ist die Begründung einfach – für den Leser das darauf Folgende verblüffend. Es ist so: Wort und Referent waren einst aufeinander bezogen wie die erste Goldmünze, deren aufgedruckter Wert exakt dem Wert des Materials entsprach. Wer die erste Goldmünze einschmolz hatte immer noch den gleichen Wert in der Hand und wer zum Beispiel das Wort Freundschaft aussprach konnte sich eines festgesetzten Werts sicher sein. Dann ging es relativ schnell den Bach runter. In der Sprache kamen die Symbolisten und trennten das Wort vom Referenten (die Buchstabenfolge „Baum“ sollte plötzlich nicht nur eine Pflanze bezeichnen, sondern unendlich viel mehr). Etwas mehr als hundert Jahre nach Rimbauds „Brief des Sehers“, in dem er seine weitreichende Idee des Dérèglement niederschrieb, verkündete Richard Nixon das, was als Dereferentialisierung der modernen Ökonomie bezeichnet werden kann. „Der Präsident der USA brach die Vereinbarungen von Bretton Woods, als er verkündete, dass der Dollar von nun an in keinerlei Beziehung zur Realität mehr stehen werde; dass sein Wert von nun an nicht mehr durch sein Verhältnis zu einem Standard oder zu einem ökonomischen Referenten bestimmt werde, sondern durch einen Sprachakt.“
War der aufgedruckte Wert des Dollars bis dahin abgesichert durch eine real existierende Menge Gold, schwirrten fortan Zahlen und echtem, in der Realität hinterlegtem Wert durch die Körper des hyperbeschleunigten Kapitalismus. Inzwischen ist die Sprache komplett auf Berechnung umgestellt. Nahezu jeder Begriff lässt sich in die Excel-Tabellen von Wirtschaftsberatern, Ratingagenturen und Zentralbankern einpflegen: auch der Begriff der Freundschaft. Dafür empfiehlt Berardi, den Film „The Social Network“ von „Fightclub“-Regisseur David Fincher anzusehen. Dieser zeigt nämlich mehr als die ersten Jahre von Facebook und dem Gründer Mark Zuckerberg, den man sich laut Berardi kaum als glücklichen Menschen vorstellen kann. „Man könnte ihn ebenso gut als Verlierer beschreiben, zieht man seine Beziehungen zu Frauen und Kollegen in Betracht. Zu wahrer Freundschaft scheint er nicht fähig, und der Erfolg seiner Website gründet ausschließlich auf der künstlichen Substitution (Ersatz) von Freundschaft und Liebe durch standardisierte Protokolle. Existenzielle Unzufriedenheit und kommerzieller Erfolg sind zwei Seiten derselben Medaille: Geschickt analysiert Fincher die psychologischen Bedürfnisse von Zuckerbergs Generation, indem er seine intime Seelenlandschaft als Einsamkeit und affektive Frustration zeichnet.“ Freundschaft als Protokoll. Zuneigung als Klick. Wer hätte vor hundert Jahren gedacht, dass sich damit mehr als 220 Milliarden Börsenwert schaffen lassen? Es wird Zeit, dass unsere Körper wieder echtes Begehren spüren. Ein Aufstand ist der erste Weg dorthin. Auch wenn es aussichtslos erscheint.