Paulina Czienskowski, ausgezeichnete Magazinjournalistin und Tochter von Schauspieler Richy Müller, debütiert mit ihrem Roman „Taubenleben“. Bereits in jungen Jahren sucht ihre Heldin Grund und Anlass ihres Daseins – allerdings nur in der eigenen Biographie.
Die größte Angst der Großstädterin Lois ist, unbedeutend zu sein, vergleichbar mit jenen Tauben, die zwar allgegenwärtig, aber für den Lauf der Geschichte vernachlässigbar sind. Augenscheinlich möchte sie eher ein Pfau sein, denn wenn eine Taube stirbt, geht der Mensch achtlos vorbei. Das weiß Lois, seit sie als Neunjährige eine tote Taube gesehen hat.
„In jener Nacht wurde die Taube für mich zu einem Sinnbild kläglich gescheiterter Existenzen. Eine belanglose Gestalt, die in der Masse untergeht, unter Milliarden auf der Welt. Diese Banalität widerte mich an. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen und wollte sicherstellen, so sehr aufzufallen, dass ich niemals einfach derart untergehen würde.“
Mit dem Bild einer toten Taube beginnt Paulina Czienskowskis Debüt, das auf dem Klappentext eingeordnet wird mit einem Zitat aus der Modezeitschrift „Vogue“, die befunden hat: „Wie kaum jemand anders fängt Paulina Czienskowski das Lebensgefühl der Generation Y zwischen Anxiety, Sinnsuche, vermeintlicher Liebe als Ersatzreligion und der ständigen Beschäftigung mit sich selbst ein.“
Die keinesfalls mit ihrer Autorin zu verwechselnde Heldin des „Taubenleben“-Romans gehört auch zur apostrophierten Generation Y, also zu jenen Großstädtern, die in den frühen 1980er bis späten 90er Jahre geboren sind. Lois ist eine angstbesetzte, sinnsuchende, mich sich selbst beschäftigte Heldin, Halbwaise seit ihren 11. Lebensjahr, als der Vater gestorben ist. Von ihrer Mutter fühlt sich Lois vernachlässigt, mindestens in ihrem Selbstwert ungesehen.
„Ich könnte sie fragen, ob sie eigentlich wisse, dass Eltern den Grundstein für Spätschäden legen, dass es keine Rolle spielt, wie marginal die Dinge wirken mögen. Oder ihr sagen, dass ich mir oft die Frage stelle, wieso ich diesen intuitiven Drang habe, besonders sein zu wollen. Fragen, ob sie und mein Vater das erst in mir angelegt haben, gerade weil ich immer dachte, ihnen zeigen zu müssen, tatsächlich besonders zu sein.“
Nach einem Sinn sucht die ratlose Frau permanent. Unmöglich ist ihr, selbst Sinn zu schaffen. Ihrem Freund gegenüber verhält sich Lois ignorant. Echte Intimität ist in dieser Beziehung ebenso selten wie der nicht mit Intimität zu verwechselnde Sex: „Ich drehe mich um, würdige ihn keines Blickes, steige an ihm vorbei in die Dusche. Jetzt seufzt er, so als wäre ihm schon die ganze Zeit klar gewesen, dass unser Zusammentreffen an diesem Tag wieder mal genau so enden würde wie jetzt. Und dass das einzige Vertrauen in uns das in unser Scheitern ist.“
Sexuelle Nähe findet Lois in One-Night-Stands. Eine dieser Ein-Nacht-Begegnungen hat ungeschützt stattgefunden, weshalb sie einen HIV-Bluttests machen muss. „Die Sprechstundenhilfe rüttelt unliebsam an meinem Arm, auf dessen Beuge sie gerade ein festes X aus Pflasterstreifen klebt, darunter ein Stück Mull. Ich solle drücken, sagt sie, der Einstich blute. Und dass in drei Tagen das Ergebnis komme. Ich blicke ihr direkt ins Gesicht. Alles darin ist groß. Es wirkt bedrohlich auf mich, sie ist viel zu nah.“
Bei so viel Blut, Schuld und Schmerzen könnte „Taubenleben“ mit der Passion Christi assoziiert werden. Das allerdings wäre zu hoch gegriffen. Entlang rasch erzählter Szenen entfaltet Czienskowski das überpsychologisierende Tableau einer jungen Frau, die sich selbst beobachtet, aber während dieser Selbstbeobachtung nicht wirklich sieht. Erzählanlass und Aktualität ihrer Geschichte sind ebenso gesucht wie zahlreiche Sprachbilder, in denen aufgeschlagene Knie „wie Feuer“ brennen, die Sonne nicht scheint, sondern „ballert“ und Herzen „wie eine Trommel“ schlagen. Unklar bleibt auch, warum die Heldin bedeutend sein will, ihre eigene Mittelmäßigkeit jedoch nicht zu übersteigen sucht. Somit erscheint dieses flott getextete Debüt ebenso indifferent wie jene medial behauptete „Generation Y“, die hier gespiegelt werden soll. Aus dieser Taube wird kein Pfau, und so bleibt Tier wie Roman gefangen im „Sinnbild kläglich gescheiterter Existenzen“. Aufregender wird es nicht.
Paulina Czienskowski: „Taubenleben“, Blumenbar, Berlin, 210 Seiten, 20 Euro