„Können Tiere denken?“ – Das fragen sich sanft angependelte Freunde der veganen Lebensart ebenso wie viele Philosophen unserer Zeit. Nicht erst seit Schopenhauer ist bekannt, dass Mitleid geboten ist. Dass zu viel Mensch im Tier zu Problemen führen kann zeigt ein grandioser Geschichtenband des indisch-amerikanischen Schriftstellers Rajesh Parameswaran.
Wenn ein Buch den Titel „Ich bin Henker“ trägt, ist es ungewöhnlich, dass im Untertitel ausgerechnet „Liebesgeschichten“ angekündigt werden. Aber warum sollte sich ein Henker der Zuneigung versagen, beispielsweise der Zuneigung zu einem seiner baldigen Opfer? Das klingt bizarr, ist aber nicht weniger ungewöhnlich als die acht anderen Geschichten, in denen Geheimagentinnen Romeo-Aufträge erfüllen, außerirdische Flügelwesen in einem Paralleluniversum mit Erdlingen anbändeln, Hochstapler eine Fake-Praxis für Frauenheilkunde eröffnen und ein bisexueller Tiger in seinen Pfleger verknallt ist. Mit Raubtieren ist nicht gut Kuscheln, auch wenn wir beim Tierfilme-Schauen gerne in Verzückung geraten ob der drolligen Verrenkungen eines Flusspferdes oder des süßen Pfeilgiftfrosches. Wir wähnen uns den Viechern so nah, dabei lohnt es nicht, von ihnen auf uns zu schließen. Wir müssen akzeptieren, in den Augen mancher Warm- und Kaltblüter als Mittagessen dazustehen. Nicht alles ist anhänglich wie ein knuffiger Haushund, den man mit Knochen bestechen kann. Umgekehrt ist es aber ebenso fatal, wie beim Tiger in Rajesh Parameswarans erster Story. Man sollte als Tier nicht auf den Menschen bauen.
Aus Übermut und Versehen beisst dieser Tiger seinen Pfleger Kitch vor den Augen entsetzter Zoobesucher. Es ist ein Akt der Zuneigung. Doch als das Blut fliesst wird dem Tiger klar, dass er seinen Schwarm getötet hat. „Dann sah ich auf die andere Seite des Grabens, wo Dutzende von Menschen uns anstarrten, aufgeregt redeten und mit dem Finger auf uns zeigten. Irgendeiner von ihnen konnte Kitch doch sicher helfen, überlegte ich mir. Ich rannte auf und ab, brüllte und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, aber niemand machte den ersten Schritt und stieg über den Graben, um uns zu helfen.“ Das Dilemma ist klar. Man kann noch so viel Menschliches im Raubtier sehen. Fängt es an zu brüllen, reißt das Band entzwei. Hier wird es besonders blutig, denn Kitch ist nicht der einzige Mensch, der in dieser Geschichte das Zeitliche segnen wird, allein deshalb, weil der Tiger hofft, die Menschen würden ihm helfen können.
Tatsächlich rennen sie weg und schreien und bringen sich in tödliche Situationen, die der Tiger alle verantwortet, aber so keinesfalls beabsichtigt hat. Es ist eine Geschichte, die beispielhaft für die Erzählungen in diesem wahnsinnigen Band steht, der mal eben alles ausprobiert, was gerade als „technisch möglich“ durchgeht: Geschichten, die in Fußnoten stattfinden, Paradoxien, abbrechende Plots, Hauptfiguren, die sich beim Erzähler beschweren, Mystik, Rätselhaftes und so weiter. „Ich bin Henker“ ist ein schlimmer Beruf, aber auch ein gutes Buch. – Ob Erdmännchen– oder Schafskrimi, Mücken– oder Muh-Erzählung, Libellengedächtnis oder Werbestory mit sprechenden Katern: Tiere begeistern Literaten weiterhin. Vielleicht hat alles mit dem ersten (und einzigen) Witz der Bibel angefangen. Tiere gibt es seitdem überall, in Märchen, Fabeln in Krimis und natürlich in vielen Klassikern der Weltliteratur. Besonders empfehlenswert ist das Suhrkampbuch „Können Tiere denken?“