Er schrieb über James Tiptree Jr., bevor sich alle Welt auf diese geniale Autorin stürzte. Er legt Science-Fiction-Romane hin über Aufzüge ins All und Quantenschlösser: Der Amerikaner Mark von Schlegell, der inzwischen in Köln wohnt und nun mit „Dreaming the Mainstream – Tales of Yankee Power“ ein unterhaltsames Meisterwerk hingelegt hat.
H.P. Lovecraft schrieb ausdrücklich keine Literatur – und gehört zum Mainstream. Bob Dylans Album „Street Legal“ von 1978 wurde von den Kritikern verrissen, galt als Abkehr vom Mainstream, wurde dann 1999 neu abgemischt, und plötzlich als Meisterwerk in die Charts gebracht, bevor es wieder im Indienichts verschwand. Dass ausgerechnet eine völlige Einsiedlerin wie Emily Dickinson als Inbegriff amerikanischer Literatur gilt, an der kein Leser vorbeikommt, ist eine Ironie des Schicksals. Vielleicht ist es aber auch eine Ironie des Marktes. Denn der Markt lebt davon, das Verborgene ins Rampenlicht zu bringen. Die Leute, die eh im Rampenlicht stehen, werden niemals die Größe eines verkannten, dann aber doch entdeckten Genies bekommen. „Germany‘s Next Topmodel“ findet keine Topmodels und „Deutschland sucht den Superstar“ findet keinen Superstar. (Zitat Dieter Bohlen: „Hast du die Zeile nicht gelesen? Die Sendung heißt „Deutschland sucht den Superstar“. Sie heißt nicht „Deutschland findet den Superstar“.“)
Wie funktioniert der Mainstream und warum funktioniert er anders, als wir es für gewöhnlich annehmen? Das ist die Frage, der Mark von Schlegell in seinem gerade einmal 152-seitigen Buch nachgeht. Er schreibt über den Einfluss des Billigdrucks auf die Revolutionen des 18. Jahrhunderts und man erinnert sich daran, dass Thomas Manns „Die Buddenbrooks“ auch erst in der preiswerten Volksausgabe zum Mainstream werden konnten. Es geht um die ozeanischen Ausmaße des Verlagsflusses, der erst im 20. Jahrhundert die Welt durchfloss.
Es geht um das Phänomen des Schwarms und um Fans, die zum Mainstream unweigerlich dazugehören, und für die Mark von Schlegell ein paar grandiose Sätze übrig hat: „Angesichts diebischer Krähen, singender Wale und komödiantischer afrikanischer Graupapageien sind sich manche Philosophen einig, dass uns allein das geschriebene Wort von den Tieren unterscheidet. Der Fan beweist, dass diese Philosophen irren. Der Fan ist nie kein Tier. Der Fan lauert im Herzen des menschlichen Lesers, der sich in seiner Faultierbehaglichkeit wiegt. Der Fan hamstert. Der Fan pirscht sich an.“
Und so weiter: Die sehr krude, kluge, verspielte Essay-Geschichten-Sammlung „Dreaming the Mainstream“ macht Lust aufs Nachdenken (unter anderem über „Robot Messiahs“), führt einen nebenbei in das sehr amerikanische Spiel mit Metaphern ein („Only Revolutions“-Autor Mark Z. Danielewski hat vor einiger Zeit in Köln den Vortrag „Becoming Animals“ angekündigt, dann aber über ganz andere Dinge gesprochen). Labyrinthisch. Irre, Toll. – Zum Weiterlesen: Frankenstein war nicht das Monster, sondern sein Schöpfer. Die angebliche Massenpanik nach Orson Welles‘ Hörspiel „Krieg der Welten“ hat es nie gegeben.Der Mainstream schafft seine eigenen Mythen. Das hat viel mit der Kapitalisierung der Kunstszene zu tun, was Andreas Reckwitz im Band „Die Erfindung der Kreativität“ schildert. Alles über den weltweiten Mainstream hat Frédéric Martel in einem riesigen Werk zusammengefasst.