„Der amerikanische Architekt“ stand wochenlang auf Platz 1 der amerikanischen Buchcharts. Die New York Times-Journalistin Amy Waldman erzählt von einer fiktiven 9/11-Gedenkstätte, die zum kollektiven Aufruhr führt. Denn der Architekt ist: Moslem.
Als das World Trade Center bei den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 in New York einstürzte war schnell klar, dass die Türme nicht wieder aufgebaut werden. Stattdessen soll eine Gedenkstätte an die vielen, im Ground Zero begrabenen Opfer erinnern. Das Komitee in Amy Waldmans Debütroman bekommt zwei Jahre nach den Anschlägen die Aufgabe, aus anonym eingereichten Entwürfen den besten aussuchen. Nachdem sie sich entschieden haben, dass ein Garten der Besinnung angelegt werden soll erfahren sie, dass der Gewinner Mohammed Khan heisst, aus den USA kommt und Moslem ist. Schnell bildet sich Widerstand gegen diese Entscheidung. Opferverbände klagen, dass sie zum zweiten Mal angegriffen werden. Medien und konservative Wissenschaftler versteigen sich in der Behauptung, ein Garten sei nichts anderes als das islamische Paradies, in das sich die Attentäter damals bomben wollten, somit keine Gedenkstätte für die Opfer, sondern ein Ehrengrab für Mohammed Atta und seine Komplizen.
Dazu kommt die generelle Klage über eine Gedenkstätte, artikuliert von einem Imam, der sich ereifert: „Wenn wir schon von Gedenkstätten reden – wo ist die Gedenkstätte für die halbe Million irakischer Kinder, die durch US-Sanktionen ums Leben kamen? Für tausende unschuldige Afghanen, die in der Folge der Anschläge getötet wurden, oder für die Irakis, die unter dem Vorwand einer Reaktion auf die Anschläge den Tod fanden? Für alle Musulime, die in Tschetschenien, Kaschmir oder Palästina abgeschlachtet wurden, während die USA tatenlos zusahen?“Am Ende wird sogar eine Fatwa gegen Mohammed Khan erlassen. Es wird immer ungemütlich, wenn Opfer ihr Leid gegeneinander aufwiegen. Die Stärke dieses sehr guten Buchs liegt im Ton. Nüchtern beschreibt Amy Waldman die Hysterie einzelner Szenen, die verborgenen Räume, in die man normalerweise nicht hineinschauen kann: geheime CIA-Befragungen am Flughafen, Deals im Hinterzimmer, politische Absprachen nachdem die Mikrofone ausgeschaltet wurden. Es ist ein Kitzel, der mit den geheimen „Homeland“-Ermittlungen verglichen werden kann. Auf welcher Seite man stehen mag, ob man überhaupt Seiten oder Fronten aufbauen möchte, überlässt Amy Waldman uns, den Leserinnen und Lesern.
Ausserdem fragt „Der amerikanische Architekt“ ganz konkret nach dem Wert unserer Demokratie. Mit welchen Konsequenzen muss gerechnet werden, sobald eine empfindliche Öffentlichkeit Einfluss gewinnt? „Wenn man der Öffentlichkeit diese Art von Macht gibt, gibt man praktisch alles, was hässlich ist, oder eine Herausforderung, oder schwierig, oder von einem Mitglied einer Gruppierung geschaffen wurde, die gerade nicht in ist, mehr oder weniger zum Abschuss frei.“ Irgendwann wird in diesem Roman das rote Blut fliessen. Das Buch steht freilich nicht allein auf weiter Flur. Schon kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 veröffentlichte der damals 21-jährige Shootingstar Nick McDonell die Geschichte „Der dritte Bruder“. Regelrechte 9/11-Epen kommen beispielsweise von Don DeLillo mit „Falling Man“, Jonathan Safran Foer mit „Extrem laut und unglaublich nah“ und John Updike: „Terrorist“. Wenn ihr lieber Sachbücher lest, aber keine Lust auf Verschwörungstheorien habt, lohnt sich auf jeden Fall „9/11 – Der Tag, die Angst, die Folgen“ von Bernd Greiner. Der Paradiesarten um den es in Amy Waldmans Buch geht hat eine lange Geschichte, clever dargestellt in einer kleinen Kulturgeschichte von Heinrich Krauss. Es wird eines der prägenden Themen der amerikanischen Gegenwartsliteratur bleiben.
(Amy Waldman: „Der amerikanische Architekt“, übersetzt von Brigitte Walitzek, Schöffling, 512 Seiten, 24,95 Euro)