„In den dunklen boutiquen der ichbildung / finden wir kinder, gefahren und penisse vor.“ Vor fünf Jahren veröffentlichte Monika Rinck auf Seite 22 der abgefeierten „Lyrik von JETZT“-Anthologie das kleingeschriebene, großgedachte Gedicht „shopping für melanie klein“. Damit fing es an. – Auf einmal klangen deutsche Gedichte wie Blumfeld- oder Die Sterne-Texte und Albert Ostermaier schmachtete teeniegerecht: „schmink dir diese blicke ab die an mir kleben bleiben.“
Die beiden jungen Lyriker Björn Kuhligk (Jahrgang 1975) und Jan Wagner (1971) dokumentierten auf 430 Seiten 74 Helden der neuen, hippen Dichterszene: „vögel blühen, in den bäumen zwitschert die sonne“ (Sybil Volks). Alle schauten auf Silke Scheuermann, Hendrik Rost, Marion Poschmann, Nikola Richter, Bastian Bötcher, Franzobel, Hendrick Jackson, Marcel Beyer, Ron Winkler, Rapahale Urweider und die anderen (unbekannten) Lyriker. Es war der große Aufbruch. Dichter wurden Stars. Im März 2007 überraschte die Hildesheimer Literaturzeitschrift „bella triste“ mit einer Sonderausgabe zur deutschsprachigen Gegenwartsdichtung. Beigelegt war ein goldfarbenes Poster mit gezeichneten Dichterportraits. – Poesie traf Bravo.
Jetzt ist 2008: Silke Scheuermann ist leider zur Prosa gewechselt und macht ihre Sache dort nicht wirklich gut. Marion Poschmann schrieb den „Schwarzweißroman“. Poetry-Slammer Bastian („Bas“) Böttcher veröffentlichte 2004 den schnell geschnittenen Roman „Megaherz“. Albert Ostermaier begeisterte mit „Zephyr“, seinem Debütroman über die französische Rockband „Noir Désir“, ihren Leadsänger Bertrand Cantat und dessen Mord an der Schauspielerin Marie Trintingant. Nikola Richter rief mit ihren Geschichten die später vielzitierte „Generation Praktikum“ aus. Marcel Beyer, der bereits 1995 den Roman „Flughunde“ veröffentlicht hatte, wurde vor wenigen Wochen mit „Kaltenburg“ auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominiert.
In diesem Herbst versuchen Björn Kuhligk und Jan Wagner mit Lyrik von JETZTzwei an den vergangenen Erfolg anzuknüpfen. Wieder sollen die heimlichen Shootingstars und -sternchen im Rampenlicht inszeniert werden. Dieses Mal haben sie 50 Stimmen versammelt, davon überraschender- und lobenwerterweise 26 weibliche. Bezug nehmend auf das bella triste-Plakat muss man sagen, dass hier nicht alles golden glänzt. Selbstverständlich gibt es Phrasen, die aus einer Loriot-Dichterparodie stammen könnten, wenn Helikopter rotieren, der Himmel fern, die Kriege tobend sind: „Milch ich / lecke Mole / frischli Schrft kühl / Licht rankt lockt.“
Andere Gedichte wirken wie Short-Story-Absätze, die in Verse zerstückelt wurden. Aber der Sound von Stefan Schmitzer hat Atmosphäre, Ideen: „malventee & zitrone, judith / butler-zusammenfassung für die uni.“ Die märchenhaften Bilder von Angela Sanmann sind Träume: „nenn mich rapunzel / mir wachsen die haare / zum fenster hinaus in den garten umgarnen / die bäume.“ Dunkel ist der Ton von Nancy Hüninger: „Den Körper ausgerichtet zur Krim, / so schlafe und wache ich, den Atem / angehalten, den Pulsschlag umgekehrt.“
Stefan Heuer ätzt und rumpelt und furzt und sticht heraus. Nora-Eugenie Gomringer (leibliche Tochter von Eugen Gomringer, dem „Vater der Konkreten Poesie) klingt und klirrt und klimpert. Judith Zander („Immerhin“) schwärmt von „limonadenlicht“ und „sankt-elms-feuer / illuminati.“
Doch für wahren Horror, endlich, zum Schluss, sorgt die „fötotomische ballade“ von Carl-Christian Elze, der zwei Seiten weiter sanft erinnert: „glühwürmen stoßen / niemals zusammen, sie sind / perfekt beleuchtet.“ Das ist „Lyrik von JETZT“ hoch Zwei. Es sind 50 perfekt beleuchtete Glühwürmchen – mal sehen, wer den Winter überlebt.
Björn Kuhlig, Jan Wagner: „Lyrik von JETZTzwei“, Berlin Verlag, 288 Seiten, 19,90 Euro