„Hitler, Scheiße und Lufthansa“, waren die ersten Wörter, die der Iraker Abbas Khider in Deutschland gelernt hat. Inzwischen schreibt er aus ganz anderen Wörtern grandiose Romane, wie aktuell den „Brief in die Auberginenrepublik“, in dem es weder um Lufthansa, noch um Hitler geht.
Onkel Murad ist „eigentlich ein netter Mensch“. Das weiß jedenfalls der irakische Oberst Ahmed Kadar zu berichten. Nur manchmal foltert der nette Onkel den einen oder anderen politischen Gefangenen und motiviert beispielsweise einen Häftling, in geselliger Runde religionskritische Witze zu erzählen: „Nachdem wir uns vom Lachen erholt hatten, erhob sich Murad, zückte seinen Dolch und näherte sich dem jungen Mann, der ihn mit großen Augen erschrocken anblickte. Langsam legte er ihm den Dolch an den Hals, sagte ’sehr witzig!‘, zog die Klinge mit einer raschen Bewegung durch seine Kehle und ließ den Jungen zu Boden sinken.“ Es ist eine Szene, wie sie immer wieder im Zusammenhang mit Diktaturen erzählt wird, zuletzt in Quentin Tarantinos „Inglouriuos Basterds“: Der Witz, der den Erzähler umbringt, das Lachen, das im Halse stecken bleibt. Für einen kurzen Moment besteht die Hoffnung, die Leichtigkeit des Friedens könnte auch im Krieg möglich sein. Meistens ist das ein Trugschluss. Es gibt keine Erholung im Kampf, man muss sich entweder angstvoll beherrschen, oder abhauen.
Der ehemalige Student Salim wird im Irak verhaftet, weil er mit Freunden verbotene Bücher gelesen hat. Durch Glück und Bestechungsgelder kann er das Gefängnis kurzzeitig verlassen und nutzt die günstige Gelegenheit, um nach Libyen zu fliehen. Es ist 1999, lange vorm arabischen Frühling. Gegen den Irak wurde ein Handelsembargo verhängt, weshalb es kaum etwas zu essen gibt – nur Auberginen, die werden im Übermaß verkauft. Deshalb stellen die Frauen des Landes tagein tagaus „Auberginen-Bällchen, Auberginen-Suppe, Auberginen gekocht, gegrillt oder gebraten“ auf den Tisch. Das klingt nicht allzu fürchterlich. Das ist der malerische Aspekt jener Zeit, wodurch aber nicht verhehlt werden kann, dass ein Volk in der Diktatur verharrt, abgeschnitten vom Rest der Welt.
Das Internet steckt in den Kinderschuhen. Emails werden nicht genutzt. Es fliegen auch keine Kommunikationsdrohnen, die alternative Handynetze aufbauen über die Stadtviertel Saddam City in Bagdad oder Gaddafi City in Bengali, wie zuletzt bei den Aufständen der Jasminrevolution in Tunesien oder den Demonstrationen am Tahirplatz in Kairo. Es gibt nur eine sehr teure Möglichkeit: Den Brief. Findige Geschäftsleute haben Geheimpostrouten über den panarabischen Raum gezogen. LKW-Fahrer transportieren gegen 200 Dollar Kassiber mit Liebesschwüren, Durchhalteparolen und Sehnsuchtsversen in das verbotene Land. Und Salim, der möchte seine Geliebte kontaktieren, setzt damit aber eine unheilvolle Maschinerie in Gang. Abbas Khider portraitiert in mehreren Episoden die Beteiligten dieses Postnetzes, lässt Militärs über den Zusammenhang von Bill Clintons Praktikantenverhältnis und der „Operation Desert Fox“ schwadronieren: „So ist es eben, die Amerikaner ficken und amüsieren sich, und wir sollen hier darunter leiden.“ Ein junger Polizist erklärt, warum etliche Christen als Zuhälter arbeiten. Die Ehefrau eines Geheimdienstmannes entdeckt ein fürchterliches Geheimnis und stellt einen die irakische Medienlandschaft vor, die klingt wie eine Mischung aus dem amerikanischen MTV, der „Bunte“ und KCTV, dem nordkoreanischen Staatsfernsehen: „Das Jugend-TV gleicht einer unendlichen Party, die für uns veranstaltet wird. Rund um die Uhr wird getanzt und gesungen. Man erfährt alles Mögliche, aber kaum die ständigen Nachrichten über Kriege oder das Handelsembargo. Die Babel-Zeitung ist voll mit spannenden Affären und geheimnisvollen Geschichten. Richtige Unterhaltung.“
Eben das, richtige Unterhaltung, ist „Brief in die Auberginenrepublik“ auch. Es ist keine Litanei, die ihre Leser beschwert. Die Episodenform, der Perspektivenwechsel, die sehr künstlerische Weise, einen Brief durch Arabien zu verfolgen, kommt leichtgängig daher. Abbas Khider war selbst zwei Jahre in irakischer Gefangenschaft, ist dann abgehauen, hat in Deutschland studiert und nach einer Form gesucht, die Folter zu verstehen. Ein Buch wie dieses ist der Triumph gegen die Barbarei. Abbas Khider hat „das letzte Wort“. Er benutzt dieses „letzte Wort“ nicht, um zu Parolen zu schreien, um auszurasten und laut zu werden. Er behält ganz kühl die Souveränität gegen die Dummheit der spitzelnden Nachbarn, sadistischen Gefängniswärter, arroganten Frauenunterdrücker. Er löst den Irak aus der heroischen „Achse des Bösen“ und macht ihn zur Auberginenrepublik. Das ist großartig gelungen.
Abbas Khider: „Brief in die Auberginenrepublik“, Nautilus, 158 Seiten, 18 Euro