Hochmut, Geiz und Wollust, Jähzorn, Völlerei, Neid und die Faulheit gelten als Todsünden. Es sind derer sieben und im Debüt „Sieben Nächte“ von Simon Strauß begegnen wir allen – nur warum?
„Das hier schreibe ich aus Angst“, verrät Simon Strauß zu Beginn von „Sieben Nächte“, das kein Roman ist, keine Novelle, aber auch kein Tagebuch – sondern die allerfeinsten Herzergießungen eines, vielleicht nicht Klosterbruders, aber eines Kunstliebenden, eines poeta doctus. – Verwunderlich ist das alles nicht. Simon Strauß ist Theaterkritiker bei der F.A.Z., in dieser Funktion der Nachfolger von Gerhard Stadlmaier. Außerdem ist er der Sohn des großen Botho Strauß – und er hat nicht nur früh das Fechten, sondern auch die besten Privatschulen von innen gesehen; doch da ist er nun, dieser überaus gelehrte Mann, der befürchtet, kurz vor seinem 30. Lebensjahr ohne echte Kerbe da zu stehen, ohne die Erfahrung wahrer Irritation weitergehen zu müssen.
„Ich war schon weit weg, kenne mich aus in der Welt, habe mit vielen gesprochen, eine Menge Bilder gesehen, Stimmen gehört, stand hier und da auch im Wind, aber was mir wirklich etwas bedeutet, woran ich glaube, kann ich nicht sagen.“ – Diese vom Ich-Zweifel überschwemmte, mit dem Strauß’schem Bildungskanon angefüllte Figur verabredet deshalb mit einem Freund, der im Buch nur T. genannt wird, dass er an sieben Nächten je einer Todsünde ausgesetzt wird. Diese Erfahrung wiederum will er ad hoc notieren, auf jeweils sieben Seiten. Fertig ist das Buch, das Ich mit der erwünschten Kerbe versehen.
Dieser Plan ist mehr als jenes Moment, das die Geschichte ins Fort-Erzählen zwingt. Dieser Plan ist poetisches Programm und wurde ganz real von Simon Strauß umgesetzt – gemeinsam mit seinem Blumenbar-Verlagslektor Tom Müller: „Der eben diese Form von Impuls und Anschub gegeben hat, mich unvorbereitet, ich wusste nie wann das passieren würde, aber an einem Mittag kriegte ich eine Nachricht, heute Abend, Sünde XY an dem und dem Ort.“
Das sagt Simon Strauß im Interview. Damit steht seine Behauptung im Raum, dass sein Buch „Sieben Nächte“ authentisch ist. Simon Strauß beschreibt also nicht nur, wie sein Ich-Erzähler einen Maskenball besucht, der ihn erinnert an den Stanley-Kubrick-Film „Eyes Wide Shut“ – er behauptet, auf diesem Maskenball gewesen zu sein. Die Figur liegt auch nicht nur faul da, einen Tag hinweg, als er auf Anforderung seines Freundes T. die Wohnung nicht verlassen darf – das Erleben der Figur ist angeblich deckungsgleich mit dem Erleben des Autors, mindestens jedoch: Autofiktion.
Auch wer weiß, dass in diesen Tagen vornehmlich zählt das einzig wahre Abschreiben der Welt, auch wem deutlich vor Augen steht, dass in einer Gegenwart der politisch-gesellschaftlichen Meta-Narrationen, der Fake-News und alternativen Fakten das Literarische oft wahrer ist als die Realität, der wird sich bei dieser Entstehungsgeschichte dennoch fragen, was das Projekt soll, wohin es führt, aus welchem Antrieb es seinen discours initiiert: “Der einzige Kampf, der jetzt noch lohnt, ist der ums Gefühl. Die einzige Sehnsucht, die trägt, ist die nach dem schlagenden Herzen. Zu viel Gelände ist verloren gegangen an den Zynismus, der seine kalten Finger um alles legt. Der noch die letzte Kerze ausbläst, die letzte Fluchttür verriegelt, den letzten Vorhang herunterreißt.“
Diese Stelle aus dem Buch klingt wie eine Neuschreibung des New-Sincerity-Mainfests von David Foster Wallace, das in den 1990er -Jahren zu einer neuen Ernsthaftigkeit aufgerufen hat, die sich gegen die ironischen bis zynischen Schreibweisen der damaligen Gegenwart stellte. „Sieben Nächte“ sucht nach Lösungen für die hybride, allvernetzte Subjektgegenwart, ist aber trotz dieser Ansätze mehr im l’art pour l’art als in der engagierten Literatur verhaftet. Es sucht nach einer neuen Gemeinschaft, es sucht nach neuen Wegen, dem Realitätsgewitter eine raison du coeur entgegenzustellen. Das Buch ist in seinem romantischen Impetus natürlich konservativ, gleichzeitig hochmodern in seiner Form, es ist als Geste entworfen, im performativ-thesenhaften Stil eines Manifestes konzipiert.“Und deswegen ist auch sehr, sehr viel daran verletzlich, unfertig, angreifbar, nicht zu Ende gedacht und auch nicht aufs reine Denken hingeschrieben, sondern auf einen Affekt, auf einen Impuls hin,“
Dieses Affektiv-Impulsive, dieses Verletzliche und Angreifbare macht den Reiz von „Sieben Nächte“ aus, das sich fragend hineinwirft ins Leben. Denn während der Text erzählt, weiß er auf autoreferentielle Weise, dass selbst der Rückgriff auf das antike Konzept der Sieben Todsünden keine Rettung darstellt. Ein Schauen nach dem was war, hilft am Ende wenig, da wir Tag für Tag vor sich vergrößernden Möglichkeitsräumen stehen, gegen die unser Wirklichkeitssinn sich kaum noch zu wehren vermag. Ein möglicher Ausweg, und das zeigt dieses feinsinnige Buch auf radikal-romantische Weise, ist jener, den bereits David Shields in „Reality Hunger“ beschrieb. Ein möglicher Ausweg ist die Literatur – vielleicht ist es sogar der Einzige.
Simon Strauß: „Sieben Nächte“, Blumenbar, 144 Seiten, 16 Euro
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