Am Anfang wähnt man sich noch bei Mario Barth – später kriegt Poetry-Slamer Spider die Kurve und begeistert mit seinem irrsinnig komischen Comedy-Band „Die letzte WG von Prenzlauer Berg“.
Dabei ist schon der Titel großartig. Nach der Schwaben-Schwemme in Berlin kann sich vermutlich kein Slacker eine WG-taugliche Wohnung in Prenzlauer Berg leisten. Früher war hier einer der kreativsten Flecken des Landes. Heute gedeihen das süddeutsche Kleingartengefühl, die Verbotskultur, die Papis mit ihren Kinderwagen und Latte-Macchiato-Gattinnen in direkter Kastanienalle-Nachbarschaft. Glamour ist aus am Prenzlauer Berg.
Mit dem ostdeutschen Poetry-Slammer Spider gibt es wenigstens literarische Genugtuung, wenn er über eine Männer-Clique schreibt, die sich keinesfalls aus ihrer WG vertreiben lassen will: „Wir lebten nicht in der Gegenwart. Wir waren ja auch eine Generation, die sich schon vor Langem ,No Future!‘ auf die Fahnen beziehungsweise die Lederjacken geschrieben hatte oder gleich in den Karriereplan. Unseretwegen riefen die Nachbarn abends die Polizei. Ruhestörung. Vandalismus. Erregung öffentlichen Ärgernisses. Lebende Fossilien nennt man sowas in der Biologie, Milieuschutz in der Stadtentwicklung, entwicklungsverzögert in der Kinderheilkunde.“
Diese WG ist das letzte bisschen Anarchie in einer Welt, die nur dieses Maß kennt: „Gentrifizierung. Ein Wort, in Prenzlauer Berg in aller Munde, wie ein neues peinliches Biermischgetränk von Beck‘s.“ Manche Ecken Berlins können es mittlerweile mit Frankfurt oder Sydney aufnehmen, so teuer ist es, hier zu leben.
Spider schaut sich dennoch um, wo es auch ihm weh tun muss. Er gehört zur der Lesebühne „Liebe statt Drogen“ (LSD), die jeden Dienstagabend im Berliner „Schokoladen“ ein Programm aus neuen Texten, Tänzen und Songs präsentieren.
Seit 1997 gibt es die Truppe, die heute aus den Mitgliedern Micha Ebeling, Andreas “Spider” Krenzke, Tobias “Tube” Herre, Volker Strübing, Uli Hannemann und Ivo Lotion besteht. Das ist echtes Stehvermögen. Andere dagegen treibt es ins Umland. Auch das beschreibt Spider bravourös, wenn er sich über die Landflucht seiner Freunde lustig macht:
„Die Naturromantik treibt meinen Freundeskreis in die totale Agrarisierung. Sie holen heute die Verwirklichung des Morgenthau-Planes nach, der 1944 verworfen worden war. Die Umwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat. Insofern ist die Stadtflucht meiner Kumpels konsequenter Antifaschismus. Und er wird dort ausgelebt, wo die Bäume voller Wahlplakate der NPD hängen. Zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. Vorpommern: Das klingt wie Hinterpolen. Ich finde, Länder sollten sich nicht solche Namen geben, die an Versteckspiele erinnern.“
Deshalb ist es auch nur konsequent, wenn er von angeblichen „Stadtkindergärten“ erzählt, in die naturverblendete Jungen und Mädchen gehen müssen, damit sie endlich lernen, die verschiedenen Grautöne auseinanderzuhalten. Waldkindergärten gibt es wirklich genug. Sie werden beim Prenzlauer-Berg-Klientel selbstverständlich ebenso nachgefragt wie Sushi (laut Spider der klägliche Versuch von Fernostlern, eine Wurst nachzubilden), Biermischgetränke und Feel-Good-Kurse: „Du hast mich angesehn, ich hab‘s genau gesehn und find‘s wunderschön!“
Auf der ersten Seite rutscht Spider kurz ins Mario-Barth-Artige ab, wenn er beschreibt, wie ein Ehemann daran scheitert, Joghurt für die Familie einzukaufen: „So muss sich eine Frau im Baumarkt fühlen, wenn der Mann gesagt hat: ,Bring doch ein paar Bohrer mit.‘“ Da möchte man sich kurz schmerzgeplagt wegducken. Das klingt doch sehr nach Comedy für alle, die bislang nichts von einem Mann mit Namen Mario Barth gehört haben. Doch wenige Sätze weiter bekommt Spider die Kurve, wenn er schreibt: „In Joghurt gibt es mehr verschiedene Obstsorten als in der Obstabteilung.“
Auf diese durchaus kritische Weise rast er dann in kurzen Texten durch die Gegenwart und wundert sich über das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter: „Heute legt man sich im Solarium hin, auf eine Glasplatte, und wird von unten beleuchtet. Dann wird ein Deckel zugemacht. Ein bisschen mutet diese Maschine an wie ein großer Kopierer. Ich glaube aber nicht, dass man in Solarien heimlich vervielfältigt wird.“ Und er liefert den passgenauen Kommentar zur Anti-Gangsta-Rap-Szene: „Dann ham die Intellektuellen den Hiphop übernommen. Zuerst fand ick det sogar jut. Ick Idiot. Kamen lauter studierte Weiber auf eenmal in Klub. War ick voll der King mit meine Tattoos. Dumm fickt jut, ham se imma jesacht. Ey, die meinten mir! Bis ick det jeschnallt habe. Ick hatte mir sojar in eene verliebt.“ Mit diesem irrsinnig komischen Buch könnte es sogar passieren, dass Spider zurückgeliebt wird. „Die letzte WG von Prenzlauer Berg“ macht auf kluge Weise Spaß – und schämt sich nicht, an vielen Stellen sehr sehr albern zu sein.
Andreas „Spider“ Krenzke: „Die letzte WG vom Prenzlauer Berg“, Voland & Quist, 140 Seiten, 14,90 Euro