Dorian Steinhoff, der 2013 mit seinem Erzählband „Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern“ debütierte liefert endlich einen neuen Prosatext. Er beschließt die „Zwölf-Farben-Reihe“ (hier im Blog) mit seiner Erzählung „Die dunkle Jahreszeit“. (Das Beitragsbild ist von Marco Piecuch.
Doch Dorian Steinhoff bricht das Konzept der Reihe in mehrfacher Hinsicht. Das fängt damit an, dass sein Cover weiß, also in einer Nicht-Farbe gestaltet ist, die im Titel sogleich in ihr Gegenteil verkehrt wird. Prosa plus Poetik, so hält es jeder der Bände, doch Dorian Steinhoff verweigert sich der gestellten Aufgabe. „Das hier fühlt sich nicht gut an. Ich habe mich den ganzen Tag davor gedrückt. Ich will keinen Text über meine Poetik schreiben. Ich habe kein Bedürfnis, einer Leserschaft die Hintergründe meines Schreibens nahezubringen. Ich kann mein Schreiben auch nicht gänzlich erklären, ich glaube, das kann niemand.“
So beginnt seine Poetik unter dem Titel „Ein Lügner, der die Wahrheit sagt“ und selbstverständlich spielt seine Interpretationsverweigerung mit dem romantischen Ideal des musengeküssten Genies – auch wenn der Autor unprätentiös daherkommt (wir waren gemeinsam für ein paar Wochenenden beim „Atelier NRW“ im Kloster Knechtsteden). „Zuerst war die Poetikvorlesung, dann die Poetik, schreibt Juli Zeh. Hier verhält es sich ähnlich. Zuerst gab es die Edition 12 Farben, jetzt schreibe ich diesen Text.“ Obwohl er ankündigt, keine Erklärungen abgeben zu wollen, macht er eben das eine Seite später. „Die Erzählung Die dunkle Jahreszeit basiert auf und zitiert aus der Reportage Auf Raubzug in Krefeld von Dorit Kowitz. Erschienen in: DIE ZEIT No 09/2015. Bisher habe ich drei Mal Zeitungsartikel als Grundlage von Erzählungen benutzt. Im Verhältnis zu der Menge an Artikeln, die ich lese, ist das sehr wenig.“
Er beschreibt seine selektive Sichtweise auf die Welt („Alles ist potentieller Stoff“), wie sich eine Geschichte erst im Kopf zusammensetzt, bevor aus ihr ein Text werden kann, dass er die besten Einfälle nach dem Sport hat, „in diesem Erschöpfungszustand“. Er formuliert, weshalb der Text „größtenteils nur aus Handlungs- und Sprechakten sowie Beschreibungen der personell wahrnehmbaren Außenwelt“ besteht. Der Text: „Die dunkle Jahreszeit.“
Die Geschichte beginnt mit einer Gerichtsszene. Das männliche Opfer eines Einbruchs schildert, wie die gefangenen Verbrecher aus Rumänien im deutschen Gerichtssaal sitzen, wie der eine weint und erklärt, „er habe finanzielle Probleme gehabt.“ Deshalb ist er losgezogen, in der dunklen Jahreszeit, um den Reichen zu nehmen, was die Armen ihr Leben lang entbehren müssen. Abwechselnd kursiv und recte gesetzt schneidet der Text die Geschichte des einen Einbrechers und die Geschichte der bestohlenen Kleinfamilie gegeneinander.
Da ist dieser rumänische Student, der seiner Freundin etwas bieten will, in Deutschland auf dem Bau arbeitet, Geld nach Hause schickt, aber nach einem Unfall einfach fortgejagt wird, ohne Bezahlung. Da ist der Familienvater, ursprünglich Handwerker, der nach schlechten Jahren lediglich technische Hilfskraft in jener Sparkassenfiliale ist, in der bereits seine Frau am Schalter sitzt. Der eine ist also gefallen, der andere beinahe. Irgendwie weiterkommen wollen sie beide. – Weil der Bestohlene weiß, wie es ist, ohne Hoffnung zu sein, weil er die Hartz IV-Empfänger an jedem Monatsersten in der Filiale beobachtet, weil er glaubt, dass Europa sinnlos ist, wenn die einzelnen Bewohner kein Mitgefühl füreinander aufbringen, weil er auf finanziell höherer, doch von der psychischen Verfasstheit auf der gleichen Höhe ist wie dieser rumänische Student und Hilfsarbeiter, öffnet er sich dem Schicksal des anderen. Rührselig ist diese Geschichte an keiner Stelle, Sie entbehrt der aktuell so oft gelesenen Lakonie (die nichts anderes ist als politisch korrekte Ironie).
„Vor Gericht hat ein anderes Einbruchsopfer dem Richter auch Fotos vorgelegt. Als Zeugin. Da waren lauter Steine drauf abgebildet. Smaragde, Rubine und sowas. Sie sagte dann wirklich, sie liebe Steine. Alles, was glitzert. Und kicherte danach. Der Richter hat sich die Bilder in Ruhe angesehen und dann gefragt, wo sie denn gewesen sei, als eingebrochen wurde. Bei Ikea, sagte sie. Möbel fürs Kinderzimmer kaufen. Ich hab gelacht. Konnte ich mir nicht verkneifen. Der Strafverteidiger hat sofort alles angezweifelt. Steine im Wert von über 100 000 Euro zu Hause rumliegen haben, aber Möbel bei Ikea kaufen, das passt doch hinten und vorne nicht, hat er gesagt.“ Diese Frau wollte auch ihren Schnitt machen, sich das Geld von den Reicheren holen – von der Versicherung. Der Handwerker, der nun als Sparkassenhilfskraft arbeiten muss, saß ebenfalls da, ungläubig und offensichtlich verwirrt ob der Dreistigkeit, die er hier mitansehen musste, die Dreistigkeit des Bürgertums, das die Rumänen mindestens hinter Gittern, am liebsten nicht im Land haben will. Es ist eine dunkle Zeit.
Dorian Steinhoff: „Die dunkle Jahreszeit“, Edition Zwölf Farben, 80 Seiten, 12 Euro