Wie sähe eine Abizeit in einem Rollenspiel-Königreich aus? Stephanie Gleißner beschreibt in ihrem Debütroman „Einen solchen Himmel im Kopf“ – und legt ihre Leser gekonnt rein.
Kann es Märchen geben, in denen Vorwerksvertreter, „Sportbuben“ und Grungefans vorkommen? Genau diese Gruppen, vereint mit einer Heiligen, einem Brahmanen und einem Barden bilden das Personal von Stephanie Gleißners erstem Roman. Vordergründig erzählt sie eine klassische Girliestory: Zwei Oberstufenschülerinnen wachsen in einem nicht näher benannten „Hinterland“ auf, feiern Pyjamaparties, gehen Schwimmen, lernen fürs Abitur und schmieden Pläne für eine gemeinsame Zeit nach den Prüfungen. Annemut ist eine etwas lebenszugewandter als ihre Freundin Johanna, die sich selbst als Heilige sieht. Gut, das klingt strange – aber wer ist mit 16, 17, 18 nicht ein bisschen strange drauf? Während Annemut am See zuschaut, wie so genannte Sportbuben mit ihrem Rad vorbeifahren, sich „ihren anschwellenden, blutigen Herzmuskel“ vorstellt, verfolgt Johanna andere Sehnsüchte. Sie sammelt Heiligenerzählungen, „Geschichten der Um- und Abkehr von einem mehr oder weniger gottlosem Leben“, will selbst Heilige sein, fastet, stählt ihren Körper, entsagt „fleischlichen Genüssen“.
Zwei gegensätzliche junge Frauen haben sich also zusammengefunden, während immer mehr merkwürdige Dinge geschehen. Ein Mann aus dem Dorf wird zusammengeschlagen aufgefunden. Zwei Ponys werden in unregelmäßigen Abständen von gehässigen Kindern mit Süßigkeiten gefüttert, sodass ihre Bäuche grotesk aufgebläht sind. Johannas Mutter geht nicht einmal unauffällig mit einem Vorwerksvertreter fremd. Wie Wundmale breiten sich Schuppenflechte und Ekzeme auf Annemuts Körper aus. Es liegt etwas Mystisches über der Szenerie, eine dunkle Bedrohung, als kröche ein namenloses Unheil über dieses Hinterland herauf, eine bald einbrechende Düsternis, von der Annemut und Johanna mehr und mehr erahnen. „In der letzten Septemberwoche kamen die Föhnwinde. Sie deckten Häuser ab, entwurzelten Bäume, abgerissene Äste blockierten Straßen, die Holzhaufen am Waldrand kippten um, der Müll aus den öffentlichen Abfalleimern wirbelte durch die Fußgängerzone, die Bänke der Alten vor der Kirche blieben leer.“
In die Geschichte eingebettet, schnell überlesen, ist an diesem Satz nichts Bemerkenswertes. Aber wenn man sich die Situation näher betrachtet, wirkt das alles wie ein Traum. Dazu kommt die heilige Johanna, ein irgendwann am See meditierender Brahmane und zum Schluss ein DJ, der entrückt scheint wie ein mittelalterlicher Musikant, mehr Verführer denn Disco-Dienstleister. Er wird Auslöser einer nie wieder rückgängig zu machenden Wendung sein. Das Geheimnis dieses großartigen Romans verbirgt sich gekonnt.. Da sind die beiden jungen Frauen, da ist die Liebe, da sind Probleme mit den Eltern. Das Ganze mag in einem Dorf spielen, vermutlich irgendwo in Bayern (wer sagt schon „Sportbuben“), weil Buckelwiesen auftauchen, tippt man auf Oberbayern, es soll spielen im Hinterland des so genannten „Lohengebirges“. Man überliest das so schnell: Lohengebirge, ohne sich einmal zu fragen, wo das eigentlich liegen soll… Dieses Lohengebirge ist der Schlüssel – ist mit diesem Stephanie Gleißners Roman aufgeschlossen, erscheint eine zweite, dritte, vierte Welt. Das ist: Magie.
Stephanie Gleißner: „Einen solchen Himmel im Kopf“, Aufbau Verlag, 232 Seiten, 16,99 Euro